Zeltlager in Berlin-Mitte geräumt: So unterschiedlich gehen die Bezirke mit Obdachlosen um
Berlin - Es war eine frostige Nacht, nach der eine Passantin am vergangenen Sonntagmorgen einen Mann auf einer Parkbank im Volkspark Humboldthain liegen sah. Er war tot.
Die Polizei sagte am Montag, der Mann (55) sei russischer Staatsbürger, er habe in einem Zimmer einer Obdachlosenunterkunft gewohnt. Hinweise auf Fremdverschulden oder einen Suizid gab es nicht. Eine Obduktion soll bis Ende der Woche die Todesursache klären. Sollte er aufgrund der Kälte gestorben sein, würde es sich um den ersten Berliner Kältetoten in diesem Winter handeln.
Situation der Obdachlosen in Berlin
Wenige Tage zuvor hat der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), ein Obdachlosenzeltlager nahe dem Hauptbahnhof räumen lassen. Ein Video zeigt, wie Polizisten einer obdachlosen Frau ein Tuch über den Kopf ziehen. Die Polizei sagt, es habe sich um einen hygienischen Selbstschutz gehandelt, schließlich soll die Frau Polizisten angespuckt und zudem Läuse gehabt haben.
Mittes Bürgermeister von Dassel hatte die Räumung des Camps angeordnet, Polizei, Ordnungsamt und die Stadtreinigung um Hilfe gebeten. Der Grünen-Politiker verteidigt die rabiate Räumung. Schuld an der aktuellen Situation der Obdachlosen in der Stadt sei der Senat. Berlin müsse zusätzliche niedrigschwellige Angebote für obdachlose Menschen entwickeln, die aufgrund ihres Suchtverhaltens, ihrer psychischen Erkrankung oder nur, weil sie einen Hund haben, die vielfältigen Angebote für obdachlose Menschen nicht in Anspruch nehmen können.
Wie geht Berlin mit seinen Obdachlosen um?
Nach der Auswertung des Einsatzes kündigt von Dassel an, das Bezirksamt werde den Einsatz sogenannter Bodycams für Beschäftigte „für konflikthafte Einsätze im Außendienst“ prüfen. Ziel sei, „zukünftig transparent und nachvollziehbar derartige Sachverhalte und im Raum stehende Vorwürfe aufklären zu können“.
Auf das Video über die Räumung und die gewaltsame Festnahme der obdachlosen Frau haben Politiker und Vertreter der Obdachlosenhilfe empört reagiert. Viele stellen jetzt die Frage, wie Berlin mit seinen Obdachlosen umgeht. Und warum ein Grünen-Politiker ein Obdachlosencamp mit Polizeigewalt räumen lässt, ohne Sozialarbeiter um Hilfe zu bitten, die erfahren sind im Umgang mit Obdachlosen.
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) kritisiert von Dassel für sein hartes Vorgehen. „Das ist keine Art und Weise im Umgang mit obdachlosen Menschen“, sagt Breitenbach der Berliner Zeitung. „So ein Vorgehen löst keine Probleme. Wir haben einen anderen Weg gewählt, der erfolgreicher ist.“
Die Sozialsenatorin meint ein Obdachlosencamp in der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. Dort hat der Bezirk in Absprache mit dem Ordnungsamt, der Polizei und der Senatssozialverwaltung Ende Dezember 2018 entschieden, ein verwahrlostes Zeltlager, in dem etwa 35 Obdachlose leben, nicht zu räumen, sondern die Obdachlosen zu betreuen und sie bis Ende April dort wohnen zu lassen. Der Bezirk duldet das Camp. Ein Vorgehen wie es Mitte praktiziert, lehnen Politiker und Sozialarbeiter ab. „Räumung ist Kriminalisierung“, sagt Jörg Richert, Vorsitzender der Karuna-Sozialgenossenschaft.
Obdachlosigkeit in den Griff bekommen
Jeden Tag besuchen Sozialarbeiter von Karuna die Bewohner. Das Lager wurde saubergemacht, mobile Toiletten aufgestellt, eine Feuerstelle errichtet. Statt Planen stehen nun Zelte auf Unterlagen, die vor Bodenfrost schützen. Die Bewohner haben warme Schlafsäcke. Sozialarbeiter suchen Wohnungen für die Obdachlosen. „Wir motivieren die Bewohner, sie brauchen endlich eine Perspektive“, sagt Jörg Richert. Nach der Räumung in Mitte fordert er eine stadtweite Verabredung, Obdachlose nicht zu kriminalisieren und ihre Lager nicht zu beseitigen.
Dieter Puhl, früherer Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, sagt, er habe auf dem Räumungsvideo „zu viele Menschen in Uniform gesehen. Wegen einer Frau, das war nicht nötig.“ Auf der SPD-Klausurtagung am vergangenen Wochenende in Rostock hat Puhl den Genossen vorgeschlagen, eine Osteuropakonferenz einzuberufen, um Obdachlosen aus diesen Ländern ärztliche und therapeutische Hilfe in ihren Herkunftsländern anzubieten. Berlin brauche auch eine weitere Bahnhofsmission mit fachgerechter Betreuung. Berlin müsse die zunehmende Obdachlosigkeit endlich in den Griff bekommen. Puhl: „Sonst fliegt der Politik das Problem um die Ohren.“