Zurück im Schloss Charlottenburg: Ehrenplatz für einen geadelten Kammertürken
Lange fehlte Ludwig Maximilian Mehmet von Königtreu im Privatissimum Sophie Charlottes. Aus dem Familienerbe Götz Alys kam ein Exemplar mit eigener Geschichte.

Ein gut aussehender junger Mann, heiter, sogar leicht verschmitzt blickend, der Kragen bequem geöffnet, auch die goldenen Schlaufen am tannengrünen Wams sind nicht gerade akkurat geschlossen. Diesen entspannten Menschen ließ Kurfürstin Sophie Charlotte, ab 1701 Königin in Preußen, malen und in ihrem privatesten, gleich neben dem Schlafgemach gelegenen Raum im Schloss Charlottenburg hängen, dem Toilettzimmer.
Ludwig Maximilian Mehmet, der lässige Typ mit dem schlichten Turban, gehörte als Kammerherr zum Hofstaat ihres Bruders in Hannover, ein sogenannter Kammertürke, wie man sie an den europäischen Höfen jener Zeit häufig sah. Mehr als 200 Jahre lang hing sein Gemälde auf der rot gewirkten Stofftapete in diesem Raum. Das Inventarverzeichnis von 1705 führt es auf; 1926 entnahm es die Hohenzollernfamilie als ihren Besitz, und es verschwand ohne Hinweis auf seinen Verbleib.
Zur großen Freude der verantwortlichen Kustodin Franziska Windt kehrte Ludwig Maximilian Mehmet vergangene Woche ins Toilettzimmer zurück, neu gefasst in einem eleganten goldschimmernden Rahmen, von Staub befreit und von der Hand der Restauratorin Eva Wenders de Calisse leicht ausgebessert. „Wir freuen uns wirklich sehr“, sagt Franziska Windt.

Zur eher handwerklichen als feierlichen kleinen Zeremonie der Neuaufhängung im Toilettzimmer war auch der Historiker Götz Aly gekommen, Nachfahr von Friedrich Aly (um 1670 im Osmanischen Reich geboren, am 9. Dezember 1716 in Berlin gestorben und auf dem Friedhof der Parochialkirche beerdigt, wie auch seine Frau Marusch, ebenfalls osmanischer Herkunft). Friedrich Aly war einer der beiden Kammertürken der Königin Sophie Charlotte.
Der Nachfahre hat das Bildnis des Mehmet der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten geschenkt, und mit den Traditionen einer Linie seiner weitläufigen Aly-Familie hängt es zusammen, dass Mehmet, der Hannoveraner Kammertürkenkollege, nun wieder im Schloss zugegen ist. Denn das Gemälde ist nicht das Original, sondern Produkt einer Ende des 19. Jahrhunderts passend zum Zeitgeist erfundenen Familienlegende.
Das Deutsche und das Osmanische Reich pflegten enge Freundschaft, die Monarchen besuchten einander, ein osmanischer Stammbaum schien hierzulande statusfördernd, und die Aly-Familie beschloss (und mancher will es bis heute so glauben): Dieses Bildnis im Charlottenburger Schloss zeigt unseren Urahn, Mehmet hin oder her. Elsa Aly, eine angeheiratete begabte Malerin, fertigte 1909 und 1910 zwei Kopien an, „gut gelungene“, wie die Restauratorin heute anerkennend sagt. Sicherlich saß Elsa Aly mit ihrer Staffelei häufig im Toilettzimmer und malte. Die eine Kopie wurde in einem Familienzweig weitervererbt; die andere wanderte als Erbe an Götz Aly. Er beschloss, diese Kopie an das Schloss Charlottenburg zu verschenken und übergab sie im Sommer 2022.
Mit 15 in Kriegsgefangenschaft
Was aber hat es mit dem so fesch gemalten Herrn auf sich? Ludwig Maximilian Mehmet wurde 1670 als Sohn einer osmanischen Familie der Oberschicht in Koroni im Süden der griechischen Halbinsel Peloponnes geboren. Ob sie Türken waren, sei dahingestellt wie in den anderen Fällen auch – das osmanische Kolonialreich umfasste damals einen riesigen Raum von Marokko rund ums östliche Mittelmeer bis hinauf zum Balkan. Ein osmanischer Kammertürke oder eine Osmanin bei Hofe konnte aus Palästina, Libyen, Ägypten oder Albanien stammen.
In Mehmets Fall ist klar: Seine Eltern lebten als Teil der Herrscherklasse in türkisch-kolonial besetztem griechischen Gebiet. Als venezianische Truppen und eine aus Braunschweig-Lüneburg stammende Söldnertruppe die Festung Koroni 1685 einnahmen, geriet der 15-Jährige in Kriegsgefangenschaft. Gefangene zu machen, war damals eigentlich nicht üblich.

„Er hatte doppelt Glück“, sagt Franziska Windt, „er überlebte und gelangte in eine hohe Position.“ War er ein beklagenswertes Opfer deutscher Beutemacher? „Wir wissen nicht, wie er sich fühlte, als er in Gefangenschaft kam und seine Familie verlor – ein damals nicht seltenes Schicksal“, gibt die Kunsthistorikerin Windt zu bedenken, „aber er hatte Perspektiven.“ Vom Gemälde blickt jedenfalls keiner, der an einem Opferschicksal leidet.
Tatsächlich heiratete er nach evangelisch-lutherischer Taufe mit hochrangigen Paten in Hannover die Tochter eines angesehenen Brauers, hatte Kinder, bekam ein großes Haus zum Geschenk, ging mit seinem Fürsten 1716 nach London, wo dieser als Georg I. zum König von Großbritannien gekrönt wurde. Die Welfendynastie sitzt bis heute auf dem britischen Thron: Königin Elizabeth II. wie auch ihr Mann Philip und also auch der am 6. Mai zu krönende König Charles sind allesamt Nachfahren Georgs aus Braunschweig-Lüneburg.
Dessen Kammerherrn erhob der Kaiser 1716 sogar in den erblichen Reichsadelsstand, der dann den Namen Ludwig Maximilian Mehmet von Königtreu führte. Er sollte der einzige nobilitierte Kammertürke bleiben.
Zurück ins Schloss Charlottenburg, in Sophie Charlottes intimes Kabinett, das glücklicherweise kaum Schäden im Zweiten Weltkrieg erlitt. Selbst die fein bemalte Decke ist erhalten. Hier wurde die hohe Dame angekleidet, frisiert, dekoriert. In einem Nebengelass stand auch der „Leibstuhl“, für – genau – den königlichen Stuhlgang. Interessant, was Sophie Charlotte für die Ausgestaltung dieses privaten Raumes im funkelnagelneuen, 1701 vollendeten Schloss wählte. Franziska Windt nennt drei Kriterien des Ausstattungskonzepts: „Schönheit der dargestellten Menschen, ihre Internationalität und religiöse Vielfalt“.

Da hängt heute wie schon zu Charlottes Zeiten die umwerfend schöne Fürstin Marfa Fyodorovna Bariatinskaya, Gemahlin des russischen Gesandten Andrej Artamonowitsch Matwejew, den Zar Peter I. im Jahr 1699 zwecks Erkundung westlicher Errungenschaften nach Berlin beordert hatte.
„Die erste Moscowitische Dames“ in Berlin
Der Botschafter hatte einen Kanzler bei sich, und beider Gemahlinnen preist Johann von Besser, Oberhofmarschall am Brandenburger Hof, im selben Jahr in höchsten Tönen: „… so beyde sehr schön von Gestalt, und die erste Moscowitische Dames waren, die man jemals in Berlin gesehen“. Den Botschafter beschrieb Bresser als „sehr vernünftigen und curieusen Mann“ und „die Gemahlin hatte nicht allein ebenfals viel Verstand, sondern auch eine so schöne Gestalt, dass Ihre Churf. Durch(laucht) die Churfürstin sie würdig geschätzet, sie abmahlen zu lassen“. 1703/04 ließ sie die „schöne Marfa“ in das Toilettzimmer hängen.
Franziska Windt erklärt, was bei einem Besuch dort zu sehen ist: ein „ebenmäßig feines Gesicht, gerahmt von einem Perlenkragen und einer Kokoschnik, einer perlenbesetzten Haube, wie sie von verheirateten Frauen in Russland getragen wurde“. Die Dame trägt ein dunkelrotes besticktes Kleid und einen kostbar glänzenden, pelzumsäumten Brokatmantel.
Neben ihr prangt das Bildnis eines griechischen Erzbischofs aus Philipopel, dem heutigen Plowdiw in Bulgarien, der sich mehrere Jahre in Berlin aufhielt – eine eindrucksvolle Person. Das Gemälde eines griechischen Juden, das ebenfalls in der Porträtrunde vertreten war, konnte inzwischen zumindest identifiziert werden. Als verlustig gilt ein italienischer Musiker, wahrscheinlich Katholik.
Die Osmanin und die Liebe zum Hofapotheker
In der Gesellschaft vertreten ist das nun wieder vollständige osmanische Quartett: Mehmet hat seinen Platz gefunden zwischen dem Bildnis der Osmanin Ummi, dargestellt als Maria, die Sophie Charlotte bereits aus ihrer Kindheit und Jugend in Hannover kannte. An der Wand gegenüber wird deren Bruder gezeigt – gemalt als Jesuskind.
Prominent und in üppigem Rahmen hängt rechts neben dem zurückgekehrten Mehmet die am 16. April 1689 in der Berliner Hofkirche getaufte, von der Schlossherrin für ihre Schönheit, Gewandtheit und Klugheit geschätzte Osmanin Sophia Charlotta, die den Hofapotheker Johann Adam Possart kennenlernte und die Erlaubnis erhielt, diesen zu heiraten. Auch dieses Porträt entstand im Auftrag der Königin, die offenbar gern das Bildnis einer Freundin bei sich hatte.
Und so lässt das stille Kabinett einer gebildeten Adeligen eine Ahnung aufkommen, wo ein Ursprung des heutigen vielfältigen Berlin liegt – nicht ganz dem Schönheitsideal entsprechend, aber durchaus international und voll offener Neugier.
Schloss Charlottenburg, Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 10 Uhr bis 16.30 Uhr.