Zwangsräumung: Fehlalarm in Britz
Sogar einen Kuchen hatten sie gebacken – die Forderung „Räumung verhindern“ aus Schokostückchen stand auf weißem Zuckerguss. Mehrere Transparente wurden ausgerollt, auf denen unter anderem gefordert wurde: „Keine Profite mit der Miete!“ oder „Stoppt Zwangsräumungen!“.
Etwa 80 junge Leute, fast alle in Schwarz gekleidet und guter Kampfes-Dinge, hatten sich am Montagmorgen an der Jahnstraße/Ecke Britzer Damm eingefunden. Sie wollten einer Familie, Mieter des Hauses Jahnstraße 87-89, beistehen, die von akuter Zwangsräumung bedroht sei. Die Gerichtsvollzieherin, so wurde am Wochenende von der Initiative kurzfristig bekannt gegeben, werde am Montagmorgen um 9 Uhr erwartet.
Gar Dramatisches wurde verkündet: Fünf Familien sollen aus diesem Haus raus, geräumt und gekündigt. Die neuen Hauseigentümer, so teilte die Initiative mit, „hat nie eine neue Kontonummer angegeben und das JobCenter hat die Miete weiter auf das Konto der Vorbesitzer überwiesen.“ Skandal! Auf Kosten armer Mieter werde geräumt, damit reiche Vermieter die (leeren) Wohnungen teurer weitervermieten könnten…
Nur: Es gab am Montag gar keinen Termin für eine Zwangsräumung in diesem Haus, wie der Eigentümer und das Landgericht übereinstimmend erklärten. Statt dessen gab es seitens der Demo-Initiatoren eine Menge Infos, die nicht oder nur zum Teil stimmten.
Fristgerechte Kündigung
Wie zum Thema „keine neue Kontonummer mitgeteilt“: Einer der gekündigten Mieter, nennen wir ihn Aladin Ü., musste am Morgen vor dem Haus einräumen, er sei selbst schuld daran, dass seine Miete zwei Monate lang nicht beim neuen Hauseigentümer einging. „Ich habe den Brief vom Juli, in dem mir der Eigentümerwechsel inklusive neuer Kontonummer für die Mietzahlung mitgeteilt wurde, viel zu spät zum JobCenter gebracht“, sagte er.
Er holte den Brief aus der Wohnung und zeigte ihn schuldbewusst herum. Für ihn und seine sechsköpfige Familie hat seine Schusseligkeit schlimme Folgen: Die Mietzahlungen für seine 94 Quadratmeter große Wohnung, für die rund 750 Euro warm im Monat fällig werden, ging zwei Monat lang nicht an der richtigen Adresse ein. Es folgte die fristgerechte Kündigung zum 30. Juni.
Der Mieter, dessen Wohnung angeblich am Montag geräumt werden sollte, nennen wir ihn Cerkan S. blieb indes dabei, keine neue Kontonummer für die Mietüberweisung erhalten zu haben. Ob er diese wichtige Angabe im Schreiben der Hausverwaltung übersehen hatte oder ob er davon ausging, dass das JobCenter, das monatlich 738 Euro für die Vierzimmerwohnung überweist, das schon ordnungsgemäß weiter erledigt, konnte er am Montag nicht sagen. Seine Mietschulden beim neuen Hauseigentümer betrugen schließlich 6500 Euro. Auch das Amtsgericht Neukölln bestätigte die Räumungsklage des Vermieters: Dafür, dass die Miete pünktlich auf dem richtigen Konto eingeht, sei der Mieter verantwortlich, hieß es.
Der neue Hauseigentümer, die GRUW Global Wohnen GmbH & Co. KG, erklärte der Berliner Zeitung am Montag, alle Mieter ordnungsgemäß und umfassend mit allen notwendigen Daten versorgt zu haben. Insgesamt fünf Familien wurden in dem Haus Jahnstraße 87-89 inzwischen gekündigt.
Nächste Demo in der Wissmannstraße
Die Mieter-Aktivisten der Initiative „Zwangsräumung verhindern!“ haben sich indes nicht die Mühe gemacht, Fakten und Hintergründe herauszufinden. Für sie steht der Feind ohnehin von vornherein fest: Der Kapitalismus, der Arme vertreibt und Reiche bevorzugt. Die Methode, Mieter auf möglichst perfide Weise aus den Häusern zu bekommen, habe Methode, verkündeten die Aktivisten am Morgen vor dem Haus.
Als dann die Wahrheit (schwarz auf weiß im Schreiben der Wohnungsverwaltung) bekannt wurde, war es einigen Aktivisten sichtlich peinlich. Anderen nicht, Hauptsache das „Schweinesystem“ wurde angeprangert. Egal, gegen 10.30 Uhr war die Demo vorbei, und auch die 50 Polizeibeamten, die wegen möglicher Tumulte vorsorglich zwei Straßenecken weiter stationiert waren, fuhren wieder ab.
Der Termin der nächsten Demo steht indes schon fest: An diesem Freitag soll ab 8.30 Uhr der Eingang des Hauses Wissmannstraße 10 (nahe Herrmannplatz) in Neukölln blockiert werden. Dort sei „wieder eine Zwangsräumung“ angesetzt, hieß es.