Milosevic nutzt einen umstrittenen ARD-Beitrag zu seiner Verteidigung: Nicht zu verhindern

Vor fast genau einem Jahr löste ein Film in der ARD heftige Kontroversen aus. Am Abend des 8. Februar lief im Ersten die Dokumentation "Es begann mit einer Lüge, Deutschlands Weg in den Kosovo-Krieg". Längere Ausschnitte waren davor auch im Politmagazin "Monitor" zu sehen. Die Autoren Mathias Werth und Jo Angerer versuchten nachzuweisen, dass Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Öffentlichkeit und das Parlament mit zum Teil gefälschtem Material über Massaker der Serben an Zivilisten im Kosovo belogen hatte, um die notwendige Zustimmung für das Eingreifen der Nato zu erlangen. Scharping warf dem zuständigen WDR daraufhin Verkürzungen und Verfälschungen vor und verlangte eine Entschuldigung.Die hat es nie gegeben. Der WDR steht zu seinem Film und ist jetzt darüber empört, dass der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic den Beitrag am Donnerstag vor dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal zu seiner Verteidigung benutzt hat. Dies sei "absurd und dreist", sagte Chefredakteur Jörg Schönenborn. "Er hat unser Material zu seinen Zwecken missbraucht", erklärte WDR-Sprecher Rüdiger Oppers.Überraschen kann Milosevics Verhalten allerdings nicht. Die Dokumentation, die zwei Jahre nach dem Kosovo-Krieg eigentlich die rot-grüne Bundesregierung kritisieren wollte, gibt Milosevic unfreiwillig Argumentationshilfe. Der leugnet die Massaker der Serben an den Albanern und will nachweisen, dass Hunderttausende Albaner im Kosovo nicht vor den Serben, sondern vor den Nato-Bomben geflohen seien. Der WDR-Film bedient diese Linie insofern, als er vorwiegend mit albanischen Augenzeugen zu belegen versucht, dass das angebliche Zivilisten-Massaker von Rugovo am 29. Januar 1999 so nicht stattgefunden hat, sondern die Toten Opfer eines Gefechts zwischen der UCK und der serbischen Armee gewesen sind. Ferner, so der Film, habe es das serbische Konzentrationslager im Sportstadion von Pristina nie gegeben. Die Bilder von den Massenhinrichtungen seien von Rudolf Scharping manipulativ zur Rechtfertigung der Nato-Bomben eingesetzt worden.In Serbien war die Dokumentation damals mehrfach im Privatsender YU-Info mit eingesprochener Übersetzung zu sehen - illegal, denn die Rechte sind nie gekauft worden. Als der WDR von der Ausstrahlung erfuhr, erwirkte er von den Verantwortlichen in Serbien eine Unterlassungserklärung.In Deutschland begann nach der Ausstrahlung eine kontroverse Debatte. Den Autoren wurde unter anderem verkürzende Darstellung, Manipulation und Fälschung vorgeworfen. Der FAZ-Korrespondent Matthias Rüb, der mehrfach gegen den Film polemisierte, warf den Machern "Nassforschheit", "Bulldozer-Journalismus", "hämisch-apodiktischen Ton" und "manipulative Machart" vor. Arno Luik sprach im Magazin "Stern" dagegen von einer "Sternstunde im deutschen Fernsehen".Der Übersetzer des Filmteams, Besnik Hamiti, erhob Vorwürfe gegen die Autoren. Er erklärte im Nachhinein, dass sie Zeugenaussagen weggelassen oder verkürzt hätten, die nicht der These ihres Beitrages entsprachen. Ein Zeuge der Massaker zum Beispiel, der vor laufender Kamera die grausamen Vorgänge beschrieben hatte, sei im Film nicht gezeigt worden. Unregelmäßigkeiten habe es auch beim Interview mit einem Zeugen gegeben, der bestritt, dass im Stadion von Pristina jemals Albaner zusammengepfercht wurden. Der Mann war auf einem Balkon gefilmt worden, von dem er angeblich das Stadion einsehen konnte. Es wäre aber der falsche Balkon gewesen, behauptet Hamiti. Die Autoren verteidigten sich. Der andere Balkon wurde gewählt, weil dort "das Licht besser war". Der Zeuge des Massakers habe das Geschehen nicht mit eigenen Augen gesehen und sei deshalb nicht im Film aufgetaucht.Dass sich Milosevic jetzt des Films bedient, sei praktisch "nicht zu verhindern", sagt WDR-Sprecher Oppers. Ärgerlich sei, dass der Ex-Präsident, der in Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist, die Möglichkeiten der liberalen Medien in Deutschland für seine Zwecke nutze."Er hat unser Material zu seinen Zwecken missbraucht. " Rüdiger Oppers, WDR-Sprecher.WDR/MATHIAS WERTH Szene aus dem ARD-Film "Es begann mit einer Lüge". Bewohner eines Kosovo-Dorfes berichten über ihre Erlebnisse.