Mit der Dokumentation über den St.-Pauli-Killer beginnt eine weitere Staffel der ARD-Reihe "Die großen Kriminalfälle": Dreifachmord im Polizeipräsidium
Na, dann schießen Sie mal los!", sagte Staatsanwalt Wolfgang Bistry zu Beginn einer Vernehmung von Werner Pinzner im Sicherheitstrakt des Hamburger Polizeipräsidiums. Es sollten seine letzten Worte sein, denn Pinzner, auch genannt "Der Killer von St. Pauli", schoss los - und zwar mit einer Pistole. Pinzners Anwältin hatte die Pistole besorgt und seine Frau schmuggelte sie mit ins Verhandlungszimmer. Und damit erschoss Werner "Mucki" Pinzner erst den Staatsanwalt, dann seine Frau und zuletzt sich selbst. Das Unfassbare war geschehen: Mord und Selbstmord im Polizeipräsidium, von einem Auftragskiller aus dem Rotlichtmilieu, der vorher bereits acht Morde gestanden hatte - eine Ungeheuerlichkeit, die damals und heute noch die Vorstellungskraft aller Beteiligten und der Öffentlichkeit überstieg.Diese wahre Begebenheit vom 29. Juli 1986 ist das Ende eines der spektakulärsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte, der jetzt für das Fernsehen noch einmal aufgerollt wird. Die Dokumentation "Der St.-Pauli-Killer" bildet heute den Auftakt zur dritten Staffel der erfolgreichen ARD-Serie "Die großen Kriminalfälle". Eine gute Idee offenbar. Die ersten beiden Staffeln mit Folgen über den Tod des Schauspielers Walter Sedlmayr, die schrecklichen Frauenmorde des Fritz Honka oder die Geschichte der Gladowbande aus Berlin kamen beim Publikum hervorragend an. Die Aufbereitung dieser wahren Fälle ist qualitativ extrem hochwertig. Die Dokumentationen sind nicht um Sensationshascherei bemüht, sondern um Authentizität. Die Autoren drehen an Originalschauplätzen, zeigen Fotos und entscheidende Beweismittel oder haben Vernehmungsbänder aufgetrieben, die zu hören sind. Zudem lassen die Macher auskunftswillige Zeitzeugen aus allen Lagern zu Wort kommen, achten aber streng darauf, dass niemand geschädigt wird - auch nicht der Täter, wenn er nach Verbüßung seiner Strafe wieder um Eingliederung in die Gesellschaft bemüht ist. Blutbad nicht zu verhindernAuch diesmal ist es den Machern gelungen, fünf interessante, ganz unterschiedliche Fälle aus verschiedenen Jahrzehnten und verschiedenen Regionen Deutschlands zu finden. Solche Dokumentationen, betont ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann, seien nur möglich, wenn die entsprechenden Leute bei der Polizei mitmachen. Gerade im Fall Werner Pinzner war die Kooperationsbereitschaft bemerkenswert. So kommt erstmals die Protokollführerin zu Wort, die 1986 die wilde Schießerei unter dem Schreibtisch überlebte und bis zu dieser Dokumentation mit niemandem über ihre Ängste sprach. Die drei Kommissare, die damals in diesem Fall ermittelt haben, arbeiten auch heute noch bei der Kripo in Hamburg. Einer von ihnen ist Hauptkommissar Rolf Bauer (54), der damals Aktenführer der Soko 85/5 im Fall Pinzner war und vorher die Kontakte zur Unterwelt herstellte, was überhaupt erst zur Verhaftung Pinzners führten. "Ich bin seit 26 Jahren bei der Mordkommission. Aber ganz klar: Pinzner war der Fall meines Lebens", sagt Bauer. "Wir konnten das Blutbad damals nicht verhindern. Es ging alles so schnell. Im Kino kann ein Schwarzenegger vielleicht dazwischenspringen, aber in der Realität geht so etwas nicht", erinnert sich Bauer. Wütend wird Rolf Bauer heute noch, wenn er an das Urteil für die Anwältin denkt, die wegen Mithilfe zum Mord zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt wurde und aus Gründen der Resozialisierung im Film fehlt: "Ich wusste, dass die Anwältin eine Gefahr darstellte, konnte ihr aber nichts beweisen. Das Miststück ist damals zu gut weggekommen." Die Dokumentation, so Bauer, sei aber sehr gut gemacht, wenn auch nur ein Bruchteil dessen gezeigt wird, was damals alles passierte. "Außenstehende können sich gar nicht vorstellen, wie sehr das Privatleben vieler Menschen bei so einem Fall leidet. Meine Frau sagte damals: Noch so eine Sonderkommission und ich lasse mich scheiden ."Die großen Kriminalfälle, ab heute jeweils montags, 21.45 Uhr, ARD.Foto: NDR/POLIZEIPRÄSIDIUM HAMBURG Die Verhaftung des St. Pauli-Killers Werner Pinzner am 15. April 1986