Nach dem angedrohten Konkursantrag nährt Horst Kahstein, Präsident des Fußball-Kultvereins 1. FC Union Berlin, neue Hoffnung bei den Fans: Spielchen auf der Klaviatur der Gefühle

"Mann, Kahstein, sei ehrlich!" Der Mittzwanziger droht mit den Fäusten. Seine Augen sind weit aufgerissen, der rot-weiße Schal mit dem Aufdruck "Eisern Union" hängt ihm wirr um den Hals. Während sich Horst Kahstein, seit November 1994 gewählter Präsident des Fußball-Regionalligisten 1. FC Union Berlin, hilfesuchend mit einem defekten Mikrofon abmüht, über das ab und an seine plärrende Stimme zu hören ist, stecken ihm andere Anhänger des Kult-Vereins ihr letztes Bares zu. "Rettet Union", rufen sie. 50 Mark, zusammengedreht zu einer schmalen Rolle, gibt`s von Mario Eichler, einem arbeitslosen Werkzeugmacher: "Damit wir weiterspielen können."Kahstein hebt erneut zu einer öffentlichen Erklärung an, wie es denn nach dem in der Woche mehrfach angekündigten, aber nicht abgegebenen Konkursantrag um den Verein stehe. "Die Wahrheit, die Wahrheit", rufen einige, werden aber von skandierenden Chören "Eisern Union, Eisern Union" übertönt. "Es fällt mir nicht leicht zu reden", startet der Präsident einen neuen Versuch und bekommt wieder 20 Mark zugesteckt, die er an den hinter ihm postierten Schatzmeister des Vereins, Rene Büttner, weiterreicht.Der scheint gerührt ob der grenzenlosen Treue der Fans und erinnert sich spontan an bessere Zeiten. "Das ist ja nur mit 1968 zu vergleichen, als wir in Halle den FDGB-Pokal gegen Jena holten oder mit 1988. Da hat der Mario Maek mit seinem Tor in der 90. Minute in Karl-Marx-Stadt den scheinbar sicheren Abstieg aus der Oberliga verhindert." Büttner murmelt etwas von "wir sind halt das Schalke des Ostens" und verfolgt weiter den geschickt inszenierten Auftritt seines Präsidenten. Populismus kommt an Der ruft nun mit festerer Stimme: "Unseren Verein kann man nicht wegdiskutieren aus dieser Stadt" und weiß genau, daß ihm tosender Beifall sicher ist. Als er mit Drohgebärde ins Mikrofon zischt, "der Deutsche Fußball-Bund kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen", umarmen ihn die freudetrunkenen Anhänger. Solcher Populismus kommt an.Später, als Kahstein über die "sportfeindliche Politik der Grünen" referieren will, erlahmt das Interesse. Ein Fußballplatz, wo zuvor die von vorübergehender Arbeitslosigkeit bedrohten Kicker von Regionalligist Union ein verdientes 2:0 gegen Zehlendorf erkämpfen, ist wohl nicht der rechte Ort für solch ein Thema. "Wir woll`n die Mannschaft sehen", schreit das bunte Auditorium. Der Präsident entkommt im Getümmel.Als Kahstein seinen Auftritt hinter sich gebracht hat, ist Reinhard Lauck, den alle nur "Mäcki" rufen, längst auf dem Weg von der Alten Försterei in die Innenstadt. Der "Mann mit dem Hammer", der von 1968 bis 1973 das Union-Trikot trug und sein Debüt im gewonnenen FDGB-Pokalfinale 1968 gegen den FC Carl Zeiss Jena gab, wollte ursprünglich nicht ins Stadion kommen. Die Hilferufe der Vereinsführung unter der Woche hatte er registiert. Mehr aber nicht. "Als ich mal vor einem Jahr ein Spiel sehen wollte, da haben die mir Eintrittsgeld abgenommen", schimpft Lauck, "obwohl ich denen gesagt habe, daß ich ein paar Jahre meine Knochen für Union nicht geschont habe."Doch die Aussicht, vielleicht den vorerst letzten Auftritt einer Union-Mannschaft zu erleben, trieb den früher kernigen Mittelfeldmann noch einmal an den Ort seiner großen Tage. "Es wäre eine Frechheit, wenn die in der Kreisliga C beginnen müßten", sagt Lauck, der sich noch regelmäßig mit einigen Kämpen aus der Pokalsieger-Truppe beim Bier trifft. "Aber sonst", sinniert er beim Betrachten seiner Nachfolger, "ist die innige Beziehung zum Verein gebrochen." Seit der Wende habe sich niemand mehr von den wechselnden Vorständen für die Alten interessiert, beschwert sich der 33fache DDR-Nationalspieler. "Mir bricht es das Herz, wenn ich sehe, was hier in den zurückliegenden Jahren für eine Schlampenwirtschaft geherrscht hat."Während "Mäcki" die Flanke eines Unioners emotionslos mit den Worten kommentiert, "den hätte ich früher reingemacht", werden über den Stadionfunk neue Spenden verkündet. Ein Jörg Helmer aus Köpenick gibt 2 000 Mark und der Arbeiter-Samariter-Bund, Ortsverband Hellersdorf, der mit drei Mann und einem Krankenwagen im Stadion ist, verzichtet auf das übliche Honorar von 200 Mark. Ein paar längst pensionierte Alt-Unioner fragen, ob sie ihren Jahresbeitrag gleich im Stück einzahlen können. Drei Millionen minus Fußball-Anhänger vergeben gern. Union-Anhänger scheinbar besonders schnell. 35 000 Mark pro Spieler sollen Kahstein-Vorgänger Detlef Bracht und der damalige Cheftrainer Frank Pagelsdorf an Nicht-Abstiegsprämie gezahlt haben. Obwohl der Verein nie gegen den Abstieg, sondern immer um den Aufstieg in die zweite Bundesliga spielte. Normalbegabte Drittliga-Kicker sollen Gehälter um die 10 000 Mark plus Prämien kassiert haben. Einige Fußball-Lehrer aus Ost und West glaubten sich an der Alten Försterei in einem Selbstbedienungsladen.Das aktuelle Minus der Köpenicker gibt Schatzmeister Büttner mit drei Millionen Mark an, davon 1,5 Millionen langfristige Verbindlichkeiten. Der Rest teilt sich auf die Forderungen der Berufsgenossenschaft (800 000 Mark), Krankenversicherung, Finanzamt und Gehälter auf. Die Kassen sind leer. Total leer. Die Januar-Gehälter sind nicht bezahlt.Während Präsident Kahstein nach dem Spiel für einen regionalen und zwei überregionale TV-Sender parliert, spricht sein Schatzmeister Klartext. "Was wir mit der Ankündigung, in Konkurs gehen zu müssen, erreichen wollten, haben wir erreicht. Der letzte Hilfeschrei hat viele Leute wachgerüttelt." "Inzwischen", sagt der Berliner Rechtsanwalt Hanns-Ekkehard Plöger, der den formulierten Konkursantrag im Schreibtisch seiner Kanzlei aufbewahrt, "stehe man in aussichtsreichen Verhandlungen mit einem sehr großen Weltkonzern." Der wolle Union kurzfristig zu Barem verhelfen und später einen Fünf-Jahres-Vertrag abschließen. Es soll sich, so sickerte durch, um den großen US-amerikanischen Sportartikelhersteller Nike handeln."Mäcki" Lauck, der Mann mit dem Hammer, trägt adidas und glaubt nicht an die Retter mit dem großen Geldkoffer. Er spricht lieber von früher und kehrt mit einem nagelneuen Union-Schal um den Hals nach Hause zurück. Ein jugendlicher Fan hatte ihn erkannt, um ein Autogramm gebeten und die Reliquie überreicht. Zumindest für den Alt-Unioner ist die Fußball-Welt in Ordnung. Wenigstens für einen kurzen Moment. +++