Nach dem zweiten Freispruch für Safwan Eid bleibt der Brand von Lübeck, der schlimmste Anschlag auf ein Ausländerwohnheim in der deutschen Nachkriegsgeschichte, ungeklärt: Die gescheiterte Suche nach einem Schuldigen

KIEL, 2. November. Gefasst betritt der Angeklagte an diesem kühlen Herbsttag den großen Saal im Kieler Landgericht. Wieder sind die Kameras und Mikrofone auf ihn gerichtet. Safwan Eid kennt das. Er hat einen neun Monate dauernden Prozess in Lübeck hinter sich und jetzt noch einmal seit September ein Dutzend Verhandlungstage in Kiel. Er lächelt routiniert.Heute, am letzten Tag in diesem Prozess-Marathon, ist der Andrang der Medien besonders stark und der Zuschauerraum voll besetzt. Gleich wird Richter Jochen Strebos das Urteil im zweiten Prozess um die Brandkatastrophe im Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße verkünden. Zehn Menschen starben damals in der Nacht zum 18. Januar 1996, 38 wurden verletzt.Safwan Eid weiß: Es wird wieder einen Freispruch geben. Wie im ersten Prozess in Lübeck. Alle Verfahrensbeteiligten wissen das. Seit langem. Dennoch sieht der 23jährige Libanese ernst aus an diesem Tag, die Anspannung ist ihm deutlich anzumerken.Genau genommen stand der zweite Freispruch bereits vor Beginn dieses erneuten Prozesses fest. Aber das Verfahren musste sein. Es war 1998 vom Bundesgerichtshof nach dem ersten Freispruch angewiesen worden: Zu prüfen sei noch, was der Angeklagte in Gesprächen mit Familienangehörigen sagte, als er 1996 in Untersuchungshaft war, verlangte der dritte Strafsenat in Karlsruhe. Die Bundesrichter sahen offenbar noch Verdachtsmomente gegen Eid. Prozessbeobachter, die sich mit den Mitschnitten dieser Gespräche befasst hatten, winkten bereits damals ab. Sie sollten Recht behalten. Keine belastenden IndizienSchon vor einigen Wochen hatte Richter Jochen Strebos bilanziert: Die Gesprächsmitschnitte enthielten keine belastenden Indizien. Auch andere angebliche Verdachtsmomente, auf die der Bundesgerichtshof verwiesen hatte, lösten sich während der Kieler Verhandlung in Nichts auf. Seitdem drängt der Richter auf ein schnelles Ende des Verfahrens.Als Jochen Strebos an diesem Dienstag kurz nach zwölf Uhr den Freispruch bekannt gibt, herrscht im Saal atemlose Stille. Safwan Eid steht wie versteinert da. Nicht einmal ein Lächeln entlockt ihm der Freispruch. All die vielen Verdächtigungen, die im Laufe der Zeit gegen ihn ausgesprochen wurden, haben ihre Spuren hinterlassen.Auch die Mitglieder der Familie El-Omari, die im Verfahren als Nebenkläger auftrat, nehmen den Freispruch schweigend auf. In Lübeck hatten sie noch lautstark protestiert. Sie werden nach der Verhandlung kommentarlos aus dem Saal gehen. Anders als der Schwarzafrikaner Jean-Daniel Makodila, ebenfalls ein Nebenkläger. "Wir haben einen Schuldigen gesucht und keinen gefunden", sagt er und reicht dem Freigesprochenen die Hand.Richter Jochen Strebos beginnt mit der mündlichen Urteilsbegründung. Im Saal steigt die Spannung, denn jetzt muss sich das Gericht genauer positionieren. Wird trotz des Freispruches ein Restverdacht bleiben, so wie es nach dem Spruch der Lübecker Richter war? Wird es Kritik an den Ermittlungen der Lübecker Staatsanwaltschaft geben? Wird die tendenziöse Übersetzung der Gesprächsprotokolle durch den BKA-Dolmetscher Aziz Yachoua zur Sprache kommen? Wird das Gericht erklären, dass der Brand tief in einem Hausflur entstanden ist und damit suggerieren, dass die Täter aus dem Haus kamen? Gehen die Richter davon aus, dass der einzige Belastungszeuge, der Sanitäter Leonhardt, für sie glaubwürdig ist? Werden die durchaus verdächtigen Jugendlichen aus Grevesmühlen mit ihren Brandspuren im Gesicht irgendeine Erwähnung finden? Von der Beantwortung solcher Fragen hängt ab, ob der schlimmste Anschlag auf ein Ausländerwohnheim in der deutschen Nachkriegsgeschichte nun nach dem zweiten Freispruch für Safwan Eid zu den Akten gelegt wird und die wahren Täter, wer sie auch immer waren, sich sicher fühlen können.Der Richter sieht kein MotivRichter Strebos findet zu Gunsten Eids klare Worte: Es gebe "gewichtige Argumente für die Unschuld", sagt er. Dann zerpflückt er mit ruhiger Stimme die Punkte der Anklage, die für die Kammer "von Anfang an nicht sehr überzeugend" waren. Ein Motiv sei nicht ersichtlich, einen Streit im Haus habe es nicht gegeben, insbesondere keinen mit dem Angeklagten.Die Anklage habe zur Grundlage "fast ausschließlich" die Aussage eines einzigen Zeugen sowie Tonbandmitschnitte von Gesprächen Safwan Eids im Gefängnis gehabt, sagt Strebos. Dieser Zeuge wollte in der Brandnacht von Safwan Eid den Satz "wir waren s" gehört haben sowie Details der Brandlegung. Doch selbst wenn Safwan Eid die Sätze so gesagt haben sollte, erklärt der Richter distanziert, sei dies noch lange kein Geständnis. Auch Täterwissen hätte er damit nicht offenbart, denn die angeblichen Details der Brandlegung stimmten mit den tatsächlichen Verhältnissen im Brandhaus nicht überein. Die Lübecker Richter hatten noch dem Hauptzeugen geglaubt. Bereits zu Beginn seiner Ausführungen lässt Jochen Strebos und auch darin geht er weiter als seine Lübecker Kollegen völlig offen, wo der Brand wirklich entstanden ist. Die verdächtigen Grevesmühlener Jugendlichen werden in der Urteilsbegründung freilich nicht erwähnt.Schließlich wendet sich Strebos den im Gericht vorgespielten Tonbändern zu und zählt ausführlich sechs Falschübersetzungen und sechs Falschinterpretationen auf. Das Abspielen dieser Bänder hätte nichts Belastendes ergeben, dafür aber Entlastendes, wiederholt er seine Zwischenbilanz. Zum Abschluss des Vortrages ist Safwan Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke die Freude über Richter Strebos Worte anzusehen. Sie und ihre Kollegin Barbara Klawitter haben heute einen selten klaren Erfolg errungen, im Ergebnis einer ungewöhnlichen Verteidigerleistung.Safwan Eid dagegen schaut immer noch ernst in die Runde. Als könnte er noch gar nicht begreifen, dass er ab heute wieder ein freier Mann ist.