Nach einer Serie von Pleiten stellt sich der Siemens-Chef auf der Hauptversammlung in München den Aktionären. Er kämpft um seine Karriere - und den Ruf des Unternehmens: Die zwei Gesichter des Klaus Kleinfeld
MÜNCHEN. Vor der Münchner Olympiahalle ziehen ein paar Enten auf dem grauen See des Parks ihre Runden. Es liegt Schnee bei Minus vier Grad, am Uferrand hat sich Eis gebildet. Drinnen, unter dem schwungvollen Dach, wird es gerade heiß für die zwei wichtigsten Männer bei Siemens, den Vorstandsvorsitzenden, Klaus Kleinfeld, und den Chef des Aufsichtsrats, Heinrich von Pierer. Es ist Hauptversammlung, und sie kämpfen um ihre Karriere, und den guten Ruf von Siemens.Strahlend und düsterKleinfeld beschwört das Gute: Siemens, das 160 Jahre alte Traditionsunternehmen, meldet jeden Tag 20 Patente an, bietet 162 000 Menschen in Deutschland einen Arbeitsplatz und entwickelt sich derzeit geschäftlich "sehr erfreulich", der Umsatz ist im letzten Geschäftsjahr um 16 Prozent gestiegen. Den zur Hauptversammlung erschienenen Aktionären entlockt er sogar einen kleinen Applaus. Diese Erfolge sind "das Gesicht mit dem strahlenden Ausdruck", wie Kleinfeld es nennt, und darüber redet er sehr lange. Doch Siemens hat in den letzten Monaten ein paar ganz tiefe Kratzer abbekommen. Kleinfeld nennt es das "andere Gesicht mit dem düsteren Ausdruck".Das ist eine sehr zurückhaltende Beschreibung für das, was Aktionäre als "tiefste Vertrauenskrise in der jüngeren Geschichte von Siemens" bezeichnen. Da war zunächst einmal das Debakel um BenQ, die ehemalige Handysparte von Siemens, die 2005 an den taiwanesischen Konzern abgegeben wurde, der das Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern gegen die Wand fuhr. Im Herbst 2006 musste Insolvenz angemeldet werden. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die Vorstandsgehälter um 30 Prozent erhöht wurden. Zwar wurde eine Auffanggesellschaft von Siemens mitfinanziert, und der Vorstand verzichtete zumindest für ein Jahr auf die Gehaltserhöhung. Kleinfeld gilt seitdem trotzdem als Raffke, und das BenQ-Debakel soll Siemens 420 Millionen Euro gekostet haben.Richtig schlimm kam es jedoch Mitte November. Da brodelte ein schon länger intern bekannter Schmiergeldskandal über: Staatsanwaltschaften in der Schweiz, Liechtenstein, Italien und vor allem in München begannen Ermittlungen. Zuerst sollte es um 20, dann um 200, schließlich um 420 Millionen Euro gehen, die im Ausland zur Beschaffung von Aufträgen geflossen sein könnten.Kleinfeld, erst seit zwei Jahren im Amt, steht in diesem Fall weniger in der Schusslinie, sondern vielmehr sein Vorgänger Heinrich von Pierer, der den Konzern von 1992 bis 2005 führte, und unter dem sich das Schmiergeldsystem entwickeln konnte. Von Pierer ist jetzt Aufsichtsratsvorsitzender. Zu seinen Aufgaben gehört damit die Kontrolle und Aufklärung des Skandals. Viele reden von einem unauflösbaren Interessenkonflikt.Jetzt steht von Pierer vor den skeptischen Aktionären und gibt bekannt, dass er nicht mehr an den Sitzungen des Prüfungsausschusses teilnehmen wird, sich also nicht mehr direkt an der Aufklärung des unter ihm gewucherten Korruptionssystems beteiligt. Und er findet zum ersten Mal Worte der Betroffenheit, als er darüber spricht, dass er ja eigentlich Anti-Korruptionsvorschriften eingeführt hatte, die so etwas verhindern sollten. "Ich bedaure zutiefst, dass dies offenbar nicht in ausreichender Weise gelungen ist", sagt er. Viele haben ihm deshalb den Rücktritt nahe gelegt. Er will aber nicht aufgeben, es sähe zu sehr nach einem Schuldeingeständnis aus: "Ein Rückzug würde später ganz anders interpretiert werden. Das halte ich für unzumutbar." Der eigene Ruf scheint von Pierer wichtiger als der von Siemens.Der letzte Knall kam einen Tag vor der Zusammenkunft der Aktionäre in München. Da segelte ein Bußgeldbescheid der Europäischen Union ins Haus. Siemens muss wegen Kartellabsprachen eine hohe Strafe bezahlen. Kleinfeld wiegelt ab. Die Argumente der Kommission seien nicht nachvollziehbar.Wer in der Halle herumgeht, gewinnt den Eindruck, dass es den Aktionären nun wirklich reicht. Viele haben inzwischen das Vertrauen in das Führungsduo verloren. Burkhard Endres zum Beispiel, der aus Landshut angereist ist, ein Kleinaktionär seit 1975. Er sagt: "Ich werde Vorstand und Aufsichtsrat mit Sicherheit nicht entlasten.""Der Image-Schaden macht mir persönlich am meisten Sorgen", sagt Endres, "das alte, solide Siemens gibt es jetzt nicht mehr." Auch die Rentner Falko und Elke Knoll, die ihre Altersvorsorge unter anderem in Siemens-Papieren angelegt haben, sind entsetzt. "Keine Entlastung, na klar", sagt Falko Knoll, "bei den jüngsten Skandalen waren 90 Prozent Vorsatz und zehn Prozent Schlampigkeit."Theater auf der FührungsebeneAm Mikrofon hat unterdessen die stundenlange Schimpftirade der Anteilseigner begonnen, die sich zu Redebeiträgen gemeldet haben. Fast alle fordern die Verweigerung der Entlastung und sprechen von einem Theater auf der Führungsebene, von Versagen ist die Rede. Sogar einflussreiche Aktionäre wie der britische Fonds Hermes sprechen sich überraschend für einen Wechsel der Führungsmannschaft aus. Dieser Tag wird für Kleinfeld und von Pierer wahrscheinlich trotzdem ohne Konsequenzen bleiben, denn die großen institutionellen Anleger werden die Führung wohl entlasten. Überstanden ist die Krise aber noch lange nicht, zu tief ist der Vertrauensbruch.Als in Einzelabstimmungen Aufsichtsrat und Vorstand entlastet werden, erzielt von Pierer das schlechteste Resultat. Doch auch die anderen werden abgestraft.------------------------------Foto: "Unsaubere Geschäftspraktiken haben keinen Platz bei Siemens", sagt Vorstandschef Klaus Kleinfeld.