Schüsse bei Zeugen Jehovas in Hamburg: Das ist bisher bekannt
In einem Gebäude der Zeugen Jehovas werden acht Menschen durch Schüsse getötet, weitere verletzt. Was bekannt ist und was nicht – ein Überblick.

Die Identität des mutmaßlichen Täters soll mittlerweile geklärt sein, viele andere Details zu den tödlichen Schüssen bei der Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg sind noch unklar. Vor allem stellt sich die Frage nach dem Motiv für die Tat. Offenbar gibt es jedoch Hinweise auf eine psychische Erkrankung des mutmaßlichen Amokläufers. Eine Drogenvergangenheit wurde inzwischen ausgeschlossen.
- Der Tatablauf: Am Donnerstag kurz vor 21 Uhr fallen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas mehrere Schüsse. Die Polizei wird darüber gegen 21.15 Uhr durch zahlreiche Anrufe informiert. Der mutmaßliche Täter soll zunächst auf eine Frau im Fahrzeug auf dem Parkplatz geschossen haben. Sie konnte laut der Polizei leicht verletzt fliehen. Anschließend soll der Täter durch das Fenster in das Gebäude unter „permanentem Schusswaffengebrauch eingedrungen“ sein. Einer Anwohnerin zufolge soll es vier Schussperioden mit jeweils mehreren Schüssen gegeben haben. Erkenntnissen der Polizei zufolge gab er mehr als 100 Schüsse ab.
- Die Opfer: Die Polizei Hamburg erklärte am Freitagmorgen, dass acht Personen ums Leben gekommen sind. Die Getöteten sind zwei Frauen, vier Männer sowie ein ungeborenes Kind im Alter von 28 Wochen. Die Männer und Frauen seien zwischen 33 und 60 Jahre alt, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit. Medienberichten zufolge soll es zahlreiche Verletzte gegeben haben. Der Polizei zufolge waren 50 Personen bei der Veranstaltung im Königreichsaal anwesend.
- Der Täter: Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus. Es gab demzufolge auch keine Hinweise auf einen flüchtigen Täter. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um ein ehemaliges Mitglied der Zeugen-Jehovas-Gemeinde handeln, den 35-jährigen Philipp F. Er soll zudem Sportschütze gewesen sein.
- Das Motiv: Die Hamburger Polizei stuft die Schüsse während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas laut Informationen aus Sicherheitskreisen als Amoktat ein. Ralf Peter Anders, Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg, sagte am Freitag in Hamburg vor Journalisten, es gebe keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund.
- Ebenfalls ausgeschlossen wurde eine frühere Drogenauffälligkeit des Täters. Hierzu gäbe es entgegen zuvor veröffentlichter Berichte keine Hinweise, wie das bayerische Innenministerium am Samstag mitteilte. Es gebe keinen entsprechenden Eintrag bezüglich Drogendelikten.
- Das Motiv: Warum der Täter geschossen hat, ist noch unklar. Offenbar gibt es jedoch Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Die Waffenbehörde hatte nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F. erhalten. Laut des unbekannten Schreibers sei das Ziel gewesen, das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Philipp F. überprüfen zu lassen, sagte Meyer am Freitag bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Staatsanwaltschaft und Innenbehörde.
Die unbekannte Person habe ferner geschrieben, dass die psychische Erkrankung von F. möglicherweise ärztlich nicht diagnostiziert sei, da sich F. nicht in ärztliche Behandlung begebe. F. habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegen die Zeugen Jehovas und auf seinen ehemaligen Arbeitgeber gehegt, sagte Meyer.
Die Beamten der Waffenbehörde hätten nach dem Hinweis weiter recherchiert. Anfang Februar wurde F. von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolgt. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer. Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen. Seit dem 12. Dezember 2022 hat sich F. laut Meyer im legalen Besitz einer halbautomatischen Waffe befunden. Es handelt sich auch um die Tatwaffe.
Große Anteilnahme: Politiker kondolieren nach Gewalttat
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und weitere hochrangige Politiker haben sich derweil zutiefst betroffen von der tödlichen Gewalttat in einer Kirche der Zeugen Jehovas in Hamburg gezeigt. Er habe die Nachricht „mit großem Entsetzen“ entgegen genommen, erklärte Steinmeier laut einer Sprecherin am Freitag im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Meine Gedanken sind bei den Toten und ihren Familien – ihnen gilt meine tiefe Anteilnahme an diesem Tag des Schmerzes.“
Steinmeier zeigte sich sicher, dass viele Menschen in Deutschland in diesen Stunden aufrichtiges Mitgefühl empfänden. Den Verletzten wünschte der Präsident baldige Genesung. Steinmeier dankte auch den Einsatzkräften vor Ort.
Bundespräsident #Steinmeier kondoliert anlässlich der schweren Gewalttat in Hamburg:
— Cerstin Gammelin (@BPrSprecherin) March 10, 2023
„Mit großem Entsetzen habe ich die Nachricht von der schweren Gewalttat in Hamburg erhalten. Meine Gedanken sind bei den Toten und ihren Familien… (1/2)
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zeigte sich „erschüttert“ über die „grausame Gewalttat“. Ihre Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen, schrieb sie auf Twitter. Auch sie dankte den Einsatz- und Rettungskräften.
Die grausame Gewalttat in #Hamburg erschüttert mich sehr.
— Bärbel Bas (@baerbelbas) March 10, 2023
Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Vielen Dank an die Einsatz- und Rettungskräfte vor Ort. https://t.co/zrhPUlJmfm
Scholz und Faeser äußern nach tödlichen Schüssen Betroffenheit
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) haben am Freitag ihre Betroffenheit geäußert. Scholz schrieb im Onlinedienst Twitter von einer „schlimmen Nachricht aus Hamburg“. „Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen, meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen – und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben“, erklärte Scholz.
Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen. Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) March 10, 2023
Faeser schrieb bei Twitter, sie sei „erschüttert über die furchtbare Gewalt in einer Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg“. „Die Hintergründe werden mit Hochdruck ermittelt“, fügte sie hinzu.
Ich bin erschüttert über die furchtbare Gewalttat in einer Gemeinde der Zeugen Jehovas in #Hamburg. Meine Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen & den Gemeindemitgliedern. Die Hintergründe werden mit Hochdruck ermittelt. Vielen Dank an @PolizeiHamburg & Rettungskräfte.
— Nancy Faeser (@NancyFaeser) March 10, 2023
Mit dpa/AFP
Die streng organisierte Gruppe wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem Geschäftsmann Charles Taze Russell (1852-1916) in den USA gegründet und finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unter dem Nazi-Regime war die Glaubensgemeinschaft verboten und wurde verfolgt.
Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die „Weltzentrale“ ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.
Die Zeugen Jehovas haben keine bezahlten Geistlichen. Ihre Gottesdienste finden in „Königreichssälen“ statt. Ihre wichtigsten Publikationen sind „Der Wachtturm“ und „Erwachet!“. Die Zeugen Jehovas glauben an einen bald bevorstehenden Welt-Untergang.
Dem Staat stehen die Zeugen Jehovas distanziert gegenüber. An Wahlen nehmen sie aus religiösen Gründen nicht teil. Übermäßiger Alkoholgenuss, Tabak und das Feiern nach dem christlichen Festkalender werden ebenso abgelehnt wie Bluttransfusionen.
