Die Bundesnetzagentur hält es unter bestimmten Bedingungen für möglich, dass eine Gasnotlage im kommenden Winter vermieden werden kann. Dies geht aus dem neuesten Szenarienkatalog der Behörde hervor, der am Montag veröffentlicht wurde.
Eine Variante beschreibt die aus Sicht der Behörde nötigen Maßnahmen unter der Annahme, dass die Ostseepipeline Nord Stream 1 bis Juni 2023 weiterhin dauerhaft nur zu 20 Prozent der Maximalkapazität ausgelastet ist, wie es aktuell der Fall ist. Um im kommenden Winter eine Gasmangellage zu verhindern, sei dann neben einer Verbrauchsreduktion um 20 Prozent auch eine Reduktion der Transitmengen in Nachbarländer um 20 Prozent nötig.
Gasnotlage vermeiden: Transitmengen verringern, Importkapazitäten erhöhen
Sollen die deutschen Gasspeicher zudem am 1. Februar zu 40 Prozent gefüllt und soll die Versorgung auch im nächsten Winter gesichert sein, müssen dem Modell zufolge zusätzlich noch die Importkapazitäten etwa für Flüssigerdgas erhöht werden. Die ersten LNG-Terminals sollen laut Bundesregierung schon im kommenden Winter in Betrieb gehen.
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Bei einer sogenannten Gasmangellage übersteigt die Nachfrage das Angebot. Nach Ausrufung der höchsten Gefahrenstufe im Notfallplan Gas würde den bestehenden Regeln zufolge die Bundesnetzagentur das dann noch zur Verfügung stehende Erdgas nach Bedürftigkeit zuteilen.
Menschen müssen mehr Energie sparen
Selbst unter der Annahme, dass kein russisches Erdgas mehr nach Deutschland fließt, ist laut Bundesnetzagentur eine Mangellage im kommenden Winter noch vermeidbar. Die Transitmengen müssten dann jedoch noch weiter reduziert werden, sollte es keine Importerhöhung geben.
„Für diese Szenarien müssen die Verbraucher aber mindestens 20 Prozent einsparen – also viel mehr als bislang“, sagte Behördenchef Klaus Müller der Zeitung Welt am Sonntag. „In allen anderen Szenarien droht schon im Dezember eine Gasmangellage, oder wir weisen am Ende der kommenden Heizperiode niedrige Speicherfüllstände auf.“
Müller: Ohne Sparen und zusätzliches Gas haben wir ein Problem
„Wenn wir nicht kräftig sparen und kein zusätzliches Gas bekommen, haben wir ein Problem“, sagte Müller. Private Haushalte seien im Fall einer Gasmangellage nicht vor verordneten Einschränkungen geschützt. Denkbar sei auch, nur noch das Beheizen einzelner Räume zu erlauben.
„Ich will über nichts spekulieren, weil wir diese Diskussionen noch führen“, sagte Müller. „Ich will aber deutlich sagen: Um Arbeitsplätze zu sichern, halte ich Sparmaßnahmen für private Haushalte, solange sie nicht den geschützten, lebensnotwendigen Bereich berühren, für legitim.“
Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke?
Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke schloss Müller nicht aus. Es gebe Herausforderungen, die Kohlekraftwerke mit Kohle zu versorgen, und eine besondere Situation in Frankreich, wo man auf deutschen Strom angewiesen ist. „Außerdem sehen wir mit Sorge, dass viele Menschen sich strombetriebene Heizlüfter kaufen“, sagte Müller. „Das ist eine wahnsinnig teure Idee, weil es selbst bei den aktuell astronomisch hohen Gaspreisen noch 50 Prozent teurer ist, mit Strom zu heizen als mit Gas.“
In einer Umfrage des Vergleichsportals Verivox gaben zehn Prozent der Befragten an, sich in den vergangenen sechs Monaten eine Elektroheizung gekauft zu haben, also einen Heizlüfter, einen Heizstrahler oder einen Radiator. Elf Prozent planen, dies zu tun, und 19 Prozent denken darüber nach. Die Umfrage fand nicht nur unter Gaskunden statt, sondern war repräsentativ für die Bevölkerung im Alter von 18 bis 69 Jahre. Die Zahlen sind hoch, auch weil nur etwa die Hälfte der deutschen Haushalte mit Gas heizt. Ein Viertel tut dies mit Öl und der Rest zum Beispiel mit Fernwärme.
Bedenken wegen Elektroheizungen
Der Boom bei den Elektroheizungen löst Bedenken aus. Es gibt Sorgen, dass es zu Stromausfällen wegen Überlastungen im Netz kommen kann. Mobile elektrische Direktheizungen lohnten sich für Räume, die nur kurz und sporadisch erwärmt werden sollen, sagte Verivox-Energieexperte Thorsten Storck. „Für eine ganze Wohnung sollten sie nicht eingesetzt werden.“
Die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv), Ramona Pop, forderte die Bundesregierung auf, etwas gegen den Handwerkermangel zu tun – damit Menschen mehr Gas einsparen könnten. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher, die technische Maßnahmen zur Senkung ihres Gasverbrauchs ergreifen wollen, scheiterten an Engpässen. „So sind derzeit die Wartezeiten für die Umrüstung auf elektrisch betriebene Wärmepumpen oder die Installation von Fotovoltaikanlagen auf dem eigenen Dach sehr lang. Die Bundesregierung sollte Maßnahmen ergreifen, um den Mangel an Handwerkern zu bekämpfen“, sagte sie der Rheinischen Post.
Energiegipfel gefordert
Mit Blick auf die nötigen Einsparungen fordern die Energiepolitiker der SPD-Bundestagsfraktion einen Energiegipfel im Kanzleramt und einen Energiesparpakt von Bürgern, Unternehmen und Staat. „In einem Energiesparpakt gilt es, nun solidarisch so viel wie möglich Energie einzusparen“, sagte die energiepolitische Sprecherin der Fraktion, Nina Scheer, dem Blatt.
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi schlug einen Preisdeckel für Strom und Gas vor. „Pro Person und Jahr sollten 1000 Kilowattstunden Strom und 3000 Kilowattstunden Gas zu einem festen Preis bei zusätzlichen Hilfen für finanziell Benachteiligte garantiert werden“, sagte Gysi der Welt am Sonntag. Das könnten zum Beispiel zehn Cent pro Kilowattstunde für Gas und 30 Cent für Strom sein für diese Mengen. „Alles, was darüber verbraucht wird, ist teurer. So werden Menschen abgesichert und zugleich zum Energiesparen angeregt“, sagte der frühere Chef der Linksfraktion.
