Keine Cancel Culture: ZDF-Fernsehgarten strahlt Partyhit „Layla“ unzensiert aus
Um den Song tobt seit Wochen eine Sexismus-Debatte. Zuschauer der Familiensendung mit Moderatorin Andrea Kiewel konnten sich heute ein eigenes Bild machen.

Der Partykracher „Layla“ sorgt seit Wochen für hitzige Diskussionen in Deutschland. Ist der Sommerhit des Jahres über die in ihm als „Puffmama“ bezeichnete Layla sexistisch – womöglich auch rassistisch? Mehrere Volksfeste untersagten im Zuge der Debatte das Abspielen des Songs. Doch Zuschauer des ZDF-„Fernsehgartens“ bekamen ihn heute Nachmittag – auf dem finalen Höhe- und Endpunkt der Sendung – dann doch völlig unzensiert zu hören. Das Motto der Sendung lautete, gemäß dem Klischeebild deutschen Trash-TV's: „Mallorca vs. Oktoberfest“.
„Layla“ hatte in diesem Jahr bereits mehr als 60 Millionen Streams erreicht und steht nun seit fünf Wochen nonstop auf Platz eins der deutschen Single-Charts. An dem zum duseligen Mitgrölen geeigneten Ohrwurm entzündete sich eine Debatte über Kunstfreiheit und vermeintliche Zensur.
Immerhin: Neben der Bezeichnung als „Puffmama“ reimen DJ Robin & Schürze in ihrer Ballermann-Hymne die Worte „schöner, jünger, geiler“ auf den Namen Layla. Inzwischen wurden aufgrund des großen Erfolgs des Songs sogar eine kindgerechte und auch eine internationale Version des Partyhits angekündigt. Selbst Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte sich öffentlich zu dem Lied. Die Verbannung des Chart-Hits von einem Volksfest in Würzburg sei ihm „eins zu viel“ gewesen.
Seichter Jugendspaß oder Grenzübertretung?
Die Frage, ob das von vielen gefeierte Lied einfach ein mit etwas Augenzwinkern und Humor zu verstehender Jugendspaß ist oder vielmehr Ausdruck von tief sitzendem Sexismus, Frauenfeindlichkeit und womöglich auch Rassismus, polarisierte in den vergangenen Wochen eine breite Öffentlichkeit.
Zahlreiche Medien polemisierten daraufhin über das angeblich spaßbefreite Deutschland: Die Debattenlage, so spotteten viele, erscheine diesen Sommer so dürftig, dass selbst ein seichter Schlager-Song einen derartigen Sturm auslöse. Andere wiederum befürchteten im Streit um „Layla“ und insbesondere das drohende Verbot des Songs auf Volksfesten die Ausläufer einer vermeintlich enthemmten Cancel Culture. CDU-Chef Friedrich Merz hatte Letztere kürzlich politisch wohlkalkuliert – wenngleich fernab der Faktenlage – auf Twitter als „größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit“ bezeichnet.
„Die größte Bedrohung für die #Meinungsfreiheit ist aus meiner Sicht inzwischen die Zensurkultur, auch #CancelCulture genannt. Ich sehe mit größter Besorgnis, was an den Universitäten in den USA passiert; das schwappt jetzt auch nach #Europa über.“ (tm)https://t.co/Xhq8dcImt3
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) July 26, 2022
Die Interpreten des Songs Layla selbst wiederum konnten ihren eigenen Erfolg kaum fassen: „Für mich bedeutet das sehr viel, weil man sehr viel Herzblut in die Musik steckt. Wenn man damit dann die Leute begeistern kann und es solche Ausmaße annimmt, ist das Wahnsinn. Phänomenal“, sagte Songschreiber Schürze (31) der DPA. DJ Robin (26) wiederum erklärte: „Dass so viele Ballermann-Songs oben in den Charts sind wie noch nie, zeigt, dass die Leute wieder Lust auf Feiern und Mallorca-Songs haben.“ Die wochenlange Debatte hatte aus Sicht der beiden maßgeblich zum Erfolg des Songs beigetragen. „Das war hervorragend für uns“, sagte Schürze. „Das hat uns natürlich befeuert, das brauchen wir gar nicht zu diskutieren.“
Nun war es heute Nachmittag an den TV-Zuschauern und Besuchern des ZDF-„Fernsehgartens“ mit Moderatorin Andrea „Kiwi“ Kiewel, sich ein eigenes Bild zu machen. DJ Robin & Schürze performten ihren lang erwarteten Sommerhit vor einem auf den Zuschauerrängen freudig schunkelnden und in den ersten Reihen vor Aufregung förmlich in die Luft springenden Publikum – einige von ihnen trugen tropische Sommerhüte und Blumenschmuck in Deutschland-Farben und grölten vor Euphorie.
Hier ist der Song, auf den Sie alle gewartet haben: In etwa diesen Worten kündigte Kiewel den Sommerhit der zwei Männer an, die letztlich eine gegenüber den vielen Diskussionen vergleichsweise unspektakuläre, aber doch sichtlich enthemmte und seitens der beiden überglücklich wirkende Playback-Performance abgaben.
Kulturpolitische Sensibilität vermisst man
Wer von der Cancel-Debatte um „Layla“ – außer den Performern selbst – letztlich profitiert, ist unklar. Dass sich dadurch ein gesteigertes Bewusstsein gegenüber Frauenfeindlichkeit und Xenophobie in der deutschen Gesellschaft festgesetzt hat, scheint das ZDF sichtlich stolz widerlegt zu haben. Ob die Ausstrahlung des Hits kulturpolitisch unverantwortlich war, liegt wohl im Auge der Betrachterin. Wenn man den Song ernst nehmen wollte – inklusive der in ihm liegenden Vorstellung einer exotisierten Sexarbeiterin namens Layla – und die Diskussion um ihn beispielsweise mit der laufenden Debatte um vermeintlich und faktisch antisemitische Kunstwerke auf der Documenta vergleicht, kommt man doch ein wenig ins Stutzen.
Wäre ein Bruchstück der Sensibilität, die im Kontext der Documenta derzeit bis zur Kulturstaatsministerin Claudia Roth reicht, nicht auch im Kontext eines TV-Formats wie des „Fernsehgartens“ angebracht? Legen wir dieselben Parameter dort deshalb nicht an, weil es sich nicht um Antisemitismus, sondern „nur“ um vermeintlichen Sexismus und Rassismus handelt?
Oder ist ein Format wie der Schlager-Pop-Song prinzipiell weniger ernst zu nehmen als ein Kunstwerk im Kontext einer renommierten Ausstellung – und muss daher einfach schmunzelnd wegrationalisiert werden? Letzteres würde von einem mindestens veralteten Kunstbegriff zeugen. Wer ernsthaft versucht, vor diesem Hintergrund über „Layla“ nachzudenken, kommt schnell in ein Terrain, wo das Nachdenken selbst absurd erscheint, weil der Inhalt so sichtlich verblödet wirkt. Vielleicht haben die Kritiker recht, vielleicht sind die Diskussionen um das Lied übertrieben. Vielleicht müsste man „Layla“ schlicht und einfach ignorieren.
