„Letzte Generation“ am Frankfurter Tor: „Ich kann verstehen, wenn du genervt bist“

Mega-Chaos am Vormittag in Friedrichshain, kilometerlange Staus: Polizei hat weiträumig abgesperrt. Update: Seit 12.25 Uhr ist die Straße wieder frei.

Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ blockieren die Kreuzung am Frankfurter Tor. Zahlreiche Aktivisten klebten sich auf dem Asphalt fest.
Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ blockieren die Kreuzung am Frankfurter Tor. Zahlreiche Aktivisten klebten sich auf dem Asphalt fest.dpa/Paul Zinken

Gegen 10 Uhr morgens geht am Donnerstag eine Schülerin auf einen älteren Mann zu, dessen Hände am Boden festgeklebt sind. Ob es keine andere Protestform gebe, fragt sie. Die Schülerin Elodie Rottmann ist 16 Jahre alt und auf Klassenfahrt in Berlin. Der ältere Mann sitzt auf der Straße und blockiert das Frankfurter Tor. „Es wird doch jetzt schon was gemacht“, sagt Elodie Rottmann. „Es passiert das Gegenteil“, entgegnet der Aktivist. „Wir sind die letzte Generation, die etwas gegen den Klimawandel tun kann. Auch ihr“

An diesem Donnerstag sorgen Klimaschützer der „Letzten Generation“ für ein massives Verkehrschaos in Berlin. Etwa 50 Menschen in orangefarbenen Warnwesten haben sich mit Sekundenkleber auf die Straße geklebt. An der Frankfurter Allee sowie der Karl-Marx-Allee kommt es an diesem Vormittag zu Verkehrsbehinderungen. Der Autoverkehr staut sich mittlerweile zurück bis zur Warschauer Brücke.

Viel Kritik und ein wenig Unterstützung

Immer wieder entbrennen heftige Diskussionen zwischen den Aktivisten und Passanten am Frankfurter Tor. Die Kreuzung ist in alle Richtungen blockiert. Die Polizei ist vor Ort und hat inzwischen erste Demonstranten von der Straße weggetragen. Es ist noch immer weiträumig abgesperrt.

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Die Autofahrer sind besonders genervt und rings um das Frankfurter Tor gibt es kein anderes Thema. „Ich muss zum Flughafen, habe drei Bestellungen“, ruft ein Mann, dessen Auto direkt vor einem Klima-Aktivisten mit Sonnenschirm steht. „Ich kann verstehen, wenn du da genervt bist“, entgegnet der und bleibt doch sitzen. Andere Menschen pöbeln im Vorbeigehen, dass die Aktivisten arbeiten sollen. Doch es gibt auch Unterstützung: Ein Radfahrer hebt die Faust und ruft: „Richtig so!“ Vier Passanten reden an den Treppen zur U-Bahnstation auf einen der Gegner der Aktion ein.

Ein Polizeibeamter löst mit Sonnenblumenöl die festgeklebte Hand eines Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ vom Asphalt auf der Kreuzung am Frankfurter Tor.
Ein Polizeibeamter löst mit Sonnenblumenöl die festgeklebte Hand eines Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ vom Asphalt auf der Kreuzung am Frankfurter Tor.dpa/Paul Zinken

Ziel der Aktion ist eine Ankündigung von Olaf Scholz „diesen fossilen Wahnsinn“ zu stoppen. Gemeint sind die Ölbohrungen in der Nordsee. Jugendliche kämpfen bei der Bewegung neben Rentnern, mit ihren Händen auf dem Asphalt. Einige von ihnen waren vorher bereits bei Extinction Rebellion aktiv. Inzwischen hat die Bewegung etwa 250 Mitglieder, sie reisen aus ganz Deutschland an, um in Berlin die Politik zu einer Priorisierung des Klimaschutzes zu bewegen.

Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann war an diesem Tag bereits vor Ort, berichten die Aktivisten. Ein Video auf dem Telegram-Kanal der Gruppe zeigt ein kurzes Statement: „Ich bin hergekommen, um zu zeigen, dass es eine Solidarität gibt und wir gemeinsam anpacken müssen, um die Klimakrise zu bewältigen“, sagt Herrmann.

Doch auch die Aufmerksamkeit der Berliner hier am Frankfurter Tor ist wichtig für die „Letzte Generation“. „Die Menschen kommen ins Gespräch und das ist hilfreich für unsere Gesellschaft“, sagt Raúl Semmler. Es tut dem Aktivisten leid, dass sie Menschen in ihrem Alltag stören. 40 Jahre lang hätten Klimaschützer es anderes probiert, ohne Erfolg. Der 38-jährige Drehbuchautor würde lieber bei seiner Frau in Mannheim sein, sagt er: „Aber wir müssen hier sitzen, weil das Öl uns sonst weiter tötet.“

Bewaffnet mit Speiseölflaschen und Pinseln nähern sich Polizisten. Sie sprechen Semmler freundlich an, er könne Bescheid geben, falls er irgendwelche Schmerzen hätte. Auch ein 72-jähriger Mann wird so von der Straße entfernt. Er hat sich bereits zehnmal festgeklebt und ist seit Januar bei den Aktionen der Gruppe dabei. „Ich will die Generation meiner Enkel nicht in den Tod führen“, sagt er.

Das Land Berlin greift inzwischen gegen Autobahn-Blockierer und ihre Klebe-Aktionen durch. Mehr als 50 Aktivisten, die zwischen dem 24.  Januar und dem 15.  Februar von blockierten Autobahnzufahrten abgelöst werden mussten, haben jetzt einen Kostenerlassbescheid erhalten. Sie müssen mindestens 241  Euro zahlen. Dies berichtete die Zeitung B.Z. am Donnerstag. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte die Auferlegung der Kosten für Räumungen gefordert.

An der Kreuzung steht Ramon. Er trägt eine kurze Arbeitshose und schwere Schuhe, sein Unternehmen erwartet eine Lkw-Lieferung, die jetzt nicht ankommt. Ramon sorgt sich um seine Hunde, die wegen der Verzögerung zwölf Stunden allein in der Wohnung sind. „Ich bin auch dafür. Aber sollen die sich doch an den Bundestag kleben, so schaden sie nur den Privatleuten“, sagt er.

Die Klima-Kämpfer teilten dazu mit: „Frankfurter Tor in alle Richtungen blockiert. Der zivile Widerstand gegen das Regierungsversagen im Klimanotfall ist heute im Herzen Berlins. Olaf Scholz, Sie traten als Klimakanzler an – sprechen Sie ein Machtwort gegen neues Nordseeöl!“ Um 12.25 Uhr teilt die Polizei mit, dass die Blockade vollständig geräumt sei.