Tunnel in Friedrichshain und Abrisse: Der A100-Weiterbau verändert Berlin

Der Bund setzt ein altes Projekt fort: Der Stadtring soll künftig zur Frankfurter Allee und zur Storkower Straße führen. Die CDU jubelt, im Senat gibt es Kritik.

Stau auf der Autobahn A100. Der Stadtring ist eine der am stärksten belasteten Straßen im Land.
Stau auf der Autobahn A100. Der Stadtring ist eine der am stärksten belasteten Straßen im Land.Imago/Frank Sorge

Der höchst umstrittene Weiterbau der Berliner Stadtautobahn über die Spree bis Friedrichshain und zur Storkower Straße in Lichtenberg soll so schnell wie möglich umgesetzt werden. Das kündigte die Bundesregierung an. Für der 17. Bauabschnitt der A100 sei am Dienstag die Planung öffentlich ausgeschrieben worden, sagte die Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, Daniela Kluckert (FDP), der Berliner Morgenpost. Mit der Ausschreibung „ist nun auch klar, dass weiter gebaut wird“. Die bisherigen Pläne für die 4,1 Kilometer lange innerstädtische Autobahn sollen noch einmal „unter Umweltgesichtspunkten und anderen Kriterien, wie des Verkehrsaufkommens oder der Lärmbelastung“ überprüft werden. 2025 stünde die Streckenführung fest. Lob gab es von der Wirtschaft und der Opposition, aus dem Senat und der Ampelkoalition im Bundestag kam dagegen zum Teil heftige Kritik.

In der Tat würden schon die Bauarbeiten zu enormen Beeinträchtigungen und Eingriffen im Stadtbild führen. Der 17. Bauabschnitt der A100 soll an der Straße Am Treptower Park beginnen und danach die Spree überqueren. Dafür müssten ein Teil der Elsenbrücke, die gerade neu gebaut wird, und die frühere Osthafendirektion abgerissen werden.

Jahrelange Tunnelbaustelle im Wohnviertel

In einem Doppelstocktunnel mit je drei Fahrstreifen (jeweils rund 25 Meter breit) soll die innerstädtische Schnellstraße unter dem Ostkreuz und der Neuen Bahnhofstraße weiter nach Norden verlaufen. Unter dem Bahnhof wurden vor einigen Jahren bereits fünf Betonblöcke als Vorleistungen gebaut, doch rund um das Bahngelände wäre eine jahrelange Tunnelbaustelle erforderlich, für die Straßen gesperrt werden müssten. Davon wären auch zahlreiche Wohngebäude betroffen. Im Bereich des Wiesenwegs ginge es unter der Ringbahn durch, bevor die Trasse wieder ans Tageslicht kommt.

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Dann zwängt sich die A100 zwischen den Häusern an der Wilhelm-Guddorf-Straße und dem Ring hindurch. Wenig Raum gäbe es auch an der Frankfurter Allee. Weil dort kein großer Verkehrsknoten möglich ist, führt die Trasse über das Ring-Center hinweg weiter bis zur Storkower Straße. Das heißt, dass die Parkaue ebenfalls leiden wird. Die Linke im Bezirk erwartet, dass die Carl-von-Linné-Schule weichen muss. Die jüngste Kostenschätzung (Stand 2013) geht von 531 Millionen Euro aus. Sie gilt als überholt.

Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht Gesprächsbedarf. Das Bundesverkehrsministerium unter Volker Wissing (FDP) habe eigenmächtig gehandelt, kritisierte der Bundestagsabgeordnete aus Pankow am Dienstag.  „Die Rot-Grün-Gelbe Koalition hat sich im Bund darauf geeinigt, sich über laufende Autobahn- und Bundesstraßenprojekte gemeinsam zu verständigen. Eine solche gemeinsame Verständigung erfolgte zur A100 nicht“, so Gelbhaar. „Die A 100 ist weder nötig noch sinnvoll. Im Gegenteil: Sie zerstört die Stadt und frisst wertvolle Flächen. Wir Grüne setzen uns nach wie vor mit allen Kräften gegen den Weiterbau dieses Infrastrukturdesasters aus dem letzten Jahrhundert ein.“

Senatorin: „Wie aus der Zeit gefallen“

„Was das Bundesministerium hier plant, wirkt wie aus der Zeit gefallen“, erklärte Berlins Mobilitäts- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne). „Wir haben gerade alle Hände voll zu tun, den ÖPNV auszubauen und attraktiver zu machen, den Klimaschutz zu forcieren. Dazu steigen die Energiepreise. Und jetzt soll als Priorität eine Autobahn durch die Stadt geschlagen werden?“ Das sei Verkehrspolitik von vorgestern.

„Wir brauchen keine neue Autobahn in der Stadt, wir brauchen die Mobilitätswende“, sagte Jarasch weiter. „Statt die Städte mit vielspurigen Schneisen weiter zu zerstören, muss in den ÖPNV investiert werden, in Bahnen und Busse, in Rad- und Fußwege, in die Vernetzung der Mobilität.“ Die rot-grün-rote Koalition habe beschlossen, die A100-Planungen auf Eis zu legen, weil der Platz „für ein lebenswertes Berlin, für Wohnungen und Grünflächen“ gebraucht werde. „Den Weiterbau der A100 brauchen wir nicht. Ich gehe davon aus, dass sich das Bundesverkehrsministerium eines Besseren besinnt.“

Eine erste Rechtsgrundlage gibt es bereits. Die Bundesregierung hat 2016 den Bundesverkehrswegeplan 2030 beschlossen. In einem danach vom Bundestag beschlossenen Gesetz seien der 16. und 17. Bauabschnitt als „laufendes Vorhaben“ beziehungsweise „fest disponiertes Vorhaben“ bestätigt worden.

Zurzeit wird der 16. Bauabschnitt des Stadtrings fertiggestellt, der an der Grenzallee unweit vom Dreieck Neukölln beginnt und an der Straße Am Treptower Park endet. „Die Inbetriebnahme ist für das vierte Quartal 2024 vorgesehen“, sagte Cornelia Mitschka, Sprecherin der Autobahn GmbH, der Berliner Zeitung. Täglich werden im Schnitt rund 105.000 Kraftfahrzeuge erwartet.

Autobahn nach Treptow gilt als eine der teuersten Straßen in Deutschland

Die Gesamtkosten für die 3,2 Kilometer lange Bundesfernstraße von Neukölln nach Treptow betragen voraussichtlich zwischen 650 und 700 Millionen Euro, bekräftigte sie. Damit gehört der 16. Bauabschnitt als jüngste Verlängerung der A100 zu den teuersten Straßen in Deutschland. Die Bauarbeiten haben 2013 begonnen. Gebäude mit mehr als hundert Wohnungen wurden abgerissen, rund 300 Kleingärten abgeräumt, circa 450 größere und unzählige kleinere Bäume gefällt. Derzeit wird unter anderem die neue Überführung der Ringbahn hergestellt und der 2,3 Kilometer lange Trogbereich mit Technik ausgestattet, berichtete die Sprecherin der Autobahn GmbH.

Grüne, Linke und mehrere Bürgerinitiativen sind vehement gegen den Weiterbau bis Friedrichshain. Im Koalitionsvertrag für die Bildung des Senats wurde dazu ein Kompromiss festgehalten: „Planung und Bau des 17. Bauabschnitts der A100 wird in der neuen Legislaturperiode durch die Landesregierung nicht weiter vorangetrieben.“ Allerdings liegt der Bau von Autobahnen in der Verantwortung der Bundesregierung und der Autobahngesellschaft des Bundes.

CDU Berlin: Neue Berliner Stadtautobahn bringt viele Vorteile

Staatssekretärin Kluckert sagte, der Senat könne den Bau nicht stoppen: „Das ist eine Bundesangelegenheit – und deshalb treibt das Bundesverkehrsministerium dies voran.“ Auch auf Bundesebene habe man sich im Koalitionsvertrag mit den Grünen geeinigt, wichtige Verkehrsprojekte einschließlich Lückenschlüsse in Deutschland anzugehen. Dazu gehöre auch der Weiterbau der A100.

„Mit dem heutigen Tag beginnt der Planungswettbewerb“, sagte Ronald Normann, Sprecher der bundeseigenen Autobahn GmbH. „Die Planungsleistungen umfassen unter anderem  Variantenuntersuchungen an den aktuellen städtebaulichen, verkehrlichen und umweltverträglichen Bedingungen, Verkehrsplanung/Verkehrsuntersuchung, notwendige naturschutzrechtliche Untersuchungen sowie Vermessung und Baugrunderkundungen. Verfolgtes Ziel ist, die Projektlösung schnellstmöglich detailliert planerisch zu entwickeln und baurechtlich abzusichern.“

Die oppositionelle Berliner CDU begrüßt den angekündigten Weiterbau. Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagt: „Dass der Weiterbau der A100 bis Storkower Straße jetzt in die Wege geleitet wird, ist eine gute Nachricht für die Berlinerinnen und Berliner. Damit wird gerade der Osten der Berliner Innenstadt vom Durchgangsverkehr entlastet. Somit dürfte sich auch die Luftqualität in vielen Stadtstraßen verbessern. Es ist zugleich eine gute Lösung für das Nadelöhr an der Elsenbrücke.“

Lob auch aus der Berliner Wirtschaft

Mit der A100 wäre der Osten Berlins besser erschlossen, der Flughafen BER besser erreichbar, so der CDU-Abgeordnete Friederici. Die Autobahn bringe „viele Vorteile für die Menschen unserer Stadt“ mit sich. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und ihr Senat müssten dieses Großvorhaben mit allen Kräften unterstützen. „Berlin ist nun mal Großstadt, nicht Bullerbü“, so Friederici. Die CDU stimme der Einschätzung der IHK zu: „Berlin braucht die A100 mehr denn je.“

Auch aus der Berliner Wirtschaft gab es Lob. „Wir begrüßen, dass der Bund den Weiterbau der Autobahn A100 vorantreibt“, sagte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). „Dieses Projekt ist für den Wirtschaftsverkehr in Berlin von herausragender Bedeutung. Der Nutzen der gesamten Autobahn für die Stadt wird durch den Weiterbau bis zur Storkower Straße noch einmal enorm steigen. Mit dem 17. Bauabschnitt wird der östliche Teil Berlins besser angebunden, die Innenstadt zugleich vom Durchgangsverkehr entlastet. Berlin sollte diesem Projekt jetzt keine weiteren Steine in den Weg legen.“