Berliner Protestforscher: „Leute im Stau sind nicht der Bundeskanzler“

Aktionen wie die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ verfehlen ihren Adressaten, glaubt der Berliner Forscher Simon Teune. Er warnt vor mehr Gewalt.

Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ blockieren die Kreuzung am Frankfurter Tor. (Archivbild)
Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ blockieren die Kreuzung am Frankfurter Tor. (Archivbild)dpa/Paul Zinken

Die Aktivisten der „Letzten Generation“ wollen mit bundesweiten Straßenblockaden die Bundesregierung zum Handeln gegen die Klimakrise zwingen. Der Berliner Protestforscher Simon Teune bezweifelt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass die Aktionen einen direkten Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausüben.

„Es gibt immer wieder historische Beispiele, in denen störende Proteste gesellschaftliche Entwicklungen beschleunigt haben“, räumt der Vorstandsvorsitzende des Instituts für Protestforschung ein. Auch bei der Klimakrise gebe es einen deutlichen Handlungsbedarf und das Zeitfenster, in dem etwas getan werden kann, schließe sich langsam. „Aber bei Aktionen von zivilem Ungehorsam und Störungsaktionen stellt sich immer auch die Frage, wie es aufgenommen wird und wie es für die Menschen vermittelbar ist“, so Teune. Es gebe dabei Beispiele, bei denen Zusammenhänge unmittelbar klar würden, wenn etwa eine Sitzblockade auf den Gleisen einen Castor-Transport behindern solle.

Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Teune: Klimakrise wird noch mehr Gewalt erzeugen

Das verhalte sich bei den Straßen-Kleber-Protesten etwas anders. „Es gibt zwar einen Zusammenhang zwischen der Klimakrise und dem Autoverkehr, aber die Leute, die auf der Autobahn behindert werden, sind nicht der Bundeskanzler. Und Olaf Scholz ist im Prinzip der Adressat der Forderungen der ‚Letzten Generation‘.“ Daher ist sei es für viele schwierig, diese Proteste nachzuvollziehen. Gleichzeitig gebe es ein großes gesellschaftliches Verständnis für die Ziele der Aktionen und dafür, dass sie nicht untätig bleiben wollen. „Ich würde nicht sagen, dass diese Aktionen die Menschen weg von der Klimabewegung führen.“, resümiert der Berliner Wissenschaftler.

Teune warnt jedoch vor zukünfigen Konflikten: „Wenn die Ressourcen knapp werden und es Verteilungskämpfe gibt, wird die Klimakrise noch mehr Gewalt erzeugen. In absehbarer Zeit, vielleicht schon in zehn Jahren, werden wir massive Migrationsbewegungen haben und bürgerkriegsähnliche Gewalt in ganz anderem Umfang erleben.“

Simon Teune forscht unter anderem zu unterschiedlichen Demonstrationsformen und ist Sprecher des Arbeitskreises soziale Bewegungen der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaften.