Beschlussentwurf: Regierung will Flüchtlinge impfen
Ukrainische Flüchtlinge sollen sofort anfangen zu arbeiten und Impfangebote bekommen. Die Berliner Zeitung veröffentlicht die Pläne einen Tag vor der Sitzung.

Die Ministerpräsidenten der Bundesländer sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) treffen sich am Donnerstag zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz. Kernthemen werden der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie die mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Butscha sein. Wann welche Sanktionen gegen Russland hinzukommen und wie die deutsche Bundesregierung künftig mit ukrainischen Flüchtlingen umgeht, soll am Donnerstag beschlossen werden. Die Berliner Zeitung veröffentlicht den Beschlussentwurf im Wortlaut.
Der Beschlussentwurf im Wortlaut (Stand: 5. April 2022, 18.45 Uhr)
„Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dauert an. Es sind daher weiterhin umfangreiche nationale, europäische und internationale Anstrengungen nötig, um die Ukraine zu unterstützen. Auch die durch den Krieg betroffenen Nachbarländer, u.a. die Republik Moldau, brauchen Unterstützung. Deutschland wird diese zusammen mit den internationalen Partnern weiter mit großer Entschlossenheit leisten. Die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge in Deutschland und Europa gehört dazu. Sie ist in einer gemeinsamen Anstrengung aller verantwortlichen Ebenen gut und umfassend zu regeln.
Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sprechen den vielen ehren- und hauptamtlichen Helfenden erneut ihren herzlichen Dank für den unermüdlichen Einsatz aus. Die Zivilgesellschaft zeigt eine überwältigende Kultur der Hilfsbereitschaft und Solidarität auch bei der Unterbringung. Die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsorganisationen und des Technischen Hilfswerks, der Polizeien des Bundes und der Länder, der Deutschen Bahn sowie die Rettungskräfte sind ebenfalls weiterhin mit unermüdlichem Einsatz vor Ort tätig.
Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bekräftigen ihren Beschluss vom 17. März 2022 und vereinbaren auf dieser Basis:
1. In Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Deutschland zusammen mit Partnern in der Europäischen Union (EU) und im Rahmen der Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) präzedenzlose und weitreichende restriktive Maßnahmen, einschließlich
Wirtschaftssanktionen, gegen Russland verhängt. Die beschlossenen Sanktionsmaßnahmen werden wirksam und konsequent umgesetzt und gegen ihre Umgehung wird hart vorgegangen. Die zuständigen Behörden in Bund und Ländern arbeiten Hand in Hand, um die Umsetzung sicherzustellen. Angesichts der grausamen Kriegsverbrechen der russischen Armee, die kürzlich bekannt geworden sind, hat die Bundesregierung angekündigt, sich für eine Verschärfung der Sanktionen einzusetzen. Die Länder unterstützen dies.
2. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder halten es für unerlässlich, die in Deutschland aus der Ukraine Ankommenden rasch und unkompliziert zu registrieren. Die meisten Geflüchteten können für 90 Tage visumfrei einreisen. Die Registrierung durch die Ausländerbehörden, Erstaufnahmeeinrichtungen, Polizeien oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Ausländerzentralregister muss spätestens dann erfolgt sein, wenn staatliche Leistungen beantragt werden. Bund und Länder werden die Registrierung derjenigen, die in Deutschland bleiben, beschleunigen und optimieren. Dazu gehört auch, technische Probleme der IT schnellstmöglich zu beheben. Der Bund unterstützt die Länder bei der Registrierung weiter personell und materiell. Die Länder informieren den Bund über die vorhandenen IT-Kapazitäten zur Registrierung. Der Bund beschafft weitere Personalisierungsinfrastrukturkomponenten (Erfassungsterminals PIK). Die Registrierung und Erfassung sollte ausdrücklich auch Personen umfassen, die weder die ukrainische Staatsbürgerschaft noch die eines EU-Mitgliedstaates haben. Eine Registrierung ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Gewährleistung nationaler Sicherheitsinteressen geboten.
3. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder halten eine zügige und gerechte Verteilung der angekommenen Geflüchteten in Deutschland für notwendig. Sie vereinbaren, dass die „Fachanwendung zur Registerführung, Erfassung und Erstverteilung zum vorübergehenden Schutz - FREE“ daher überall eingeführt wird. In den Ankunftszentren, Aufnahmeeinrichtungen und Ausländerbehörden können bundesweit von allen Ankommenden Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und weitere personenbezogene Daten erfasst werden. FREE ermöglicht damit bereits vor der Registrierung im Ausländerzentralregister eine individualisierte und
nachvollziehbare Verteilung auf die Länder und Kommunen. Die Verteilentscheidungen können so später nachvollzogen und Doppelanmeldungen und -verteilungen verhindert werden. Es ist zudem ein wichtiges Vorhaben zur Vermeidung von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die Verteilung auf die Länder erfolgt nach Königsteiner Schlüssel. Der Bund ist für die Koordinierung zuständig und informiert die betreffenden Länder jeweils über die anstehenden Verteilungen. Die Länder werden sich solidarisch zeigen, um diejenigen Länder zu unterstützen, in denen besonders viele Geflüchtete Zuflucht gefunden haben. Die Bundesregierung wird sich auf europäischer Ebene weiterhin für die Solidarität der Mitgliedstaaten bei der Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten einsetzen.
4. Die Geflüchteten aus der Ukraine können unmittelbar eine Arbeit in Deutschland aufnehmen; die Ausländerbehörden erlauben entsprechend dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Erwerbstätigkeit ausdrücklich. Eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist nicht notwendig. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder halten es für wichtig, dass bereits vor diesem Zeitpunkt eine Arbeitsaufnahme erfolgen kann. Sie danken den Unternehmen in Deutschland sowie den Behörden vor Ort für ihre Bereitschaft, dies unkompliziert möglich zu machen. Um eine zügige Vermittlung in Arbeitsplätze zu ermöglichen, die den Qualifikationen der Arbeitssuchenden entsprechen, werden die Länder mit Beteiligung der Zentralstellstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), wo erforderlich, Grundsätze für die Anerkennung von ukrainischen Berufs- und Bildungsabschlüssen entwickeln und zur Verfügung stellen. Durch ein einheitliches Vorgehen bei der Anerkennung ukrainischer Abschlüsse werden divergierende Einschätzungen – auch im Falle mehrfacher Antragstellung bei Wohnortwechsel – vermieden. Bei nicht-reglementierten Berufen soll eine Selbsteinschätzung der Geflüchteten zu ihren beruflichen Qualifikationen ausreichen.
5. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder begrüßen die Anstrengungen der Kultusministerkonferenz, ukrainische Kinder und Jugendliche schnell in die Schulen und Hochschulen aufzunehmen. Auch der Zugang der Kinder zu Kindertagesbetreuungsangeboten soll weiterhin zügig ermöglicht werden. Eine Koordinierungsstelle des Bundes unterstützt die
Länder bei der Koordinierung zur Versorgung und dem Schutz von Waisenkindern und ihrer Betreuerinnen und Betreuer.
6. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs begrüßen die Verabredung der für Wissenschaft und Hochschulen zuständigen Ministerinnen und Minister von Bund und Ländern, ankommende ukrainische sowie gefährdete und verfolgte russische und belarussische Forscherinnen und Forscher rasch und unkompliziert bei der Aufnahme und Fortsetzung der Forschungstätigkeit zu unterstützen. Sie danken den Wissenschaftsorganisationen und den Hochschulen für deren Engagement. Studierenden aus der Ukraine soll die Aufnahme und Fortsetzung des Studiums ermöglicht werden. Bund und Länder werden die bereits vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen nach Kräften flankieren.
7. Unter den Schutzsuchenden aus der Ukraine befinden sich auch viele Menschen mit Behinderungen und mit Pflegebedarf. Bei der pflegerischen Versorgung wird darauf geachtet, dass die Betroffenen möglichst bei ihren gegebenenfalls mitgeflüchteten Angehörigen bzw. Betreuungspersonal verbleiben können. Um eine ausgeglichene Belastung in den Kommunen zu gewährleisten, wird der Bund im Rahmen der Verteilung der Geflüchteten über drei bundesweite Drehkreuze (Berlin, Cottbus und Hannover) und auf Länderebene eine gute Koordination unter Einbeziehung der Bundesverbände der Leistungserbringer im Bereich der Behindertenhilfe und der Pflege vornehmen.
8. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder danken der Jewish Claims Conference, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland sowie allen anderen Beteiligten für den Einsatz bei der Evakuierung von in der Ukraine lebenden schwerstpflegebedürftigen Holocaustüberlebenden.
9. Die Regierungschefinnen und -chefs der Länder begrüßen das große Engagement vieler ukrainischer Kriegsflüchtlinge, die sich hier vor Ort für ihre Mitbetroffenen einsetzen wollen, auch um unser Land bei der Aufnahme so vieler Menschen zu unterstützen. Sie regen deshalb an, ein temporäres Programm im Bundesfreiwilligendienst speziell für ukrainische Kriegsflüchtlinge aufzulegen, das entsprechende Strukturen schafft, um die Unterstützungsangebote und
Bedarfe miteinander zu verknüpfen. In der aktuellen Situation erscheint dabei eine Fokussierung auf die Begleitung von persönlichen und sozialen Angelegenheiten durch Landsleute und insbesondere auf Selbstorganisationsformen im Bereich der Kinderbetreuung sinnvoll.
10. Im Hinblick auf die Eindämmung der Corona-Pandemie bekräftigen der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder das gemeinsame Bemühen, auch Schutzsuchenden schnelle und einfache Impfangebote zu machen. Informationen über Test- und Impfangebote werden daher auch in ukrainischer Sprache zur Verfügung gestellt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt für diejenigen, die eine Impfung mit einem nicht in der EU zugelassenen Impfstoff (Sputnik V, CoronaVac, Covilo und Covaxin) erhalten haben, eine zusätzliche einmalige Impfung mit einem in der EU zugelassenen mRNA-Impfstoff. Die Länder werden über die Impfzentren und mobilen Impfteams entsprechende zeitnahe und passgenaue Impfangebote machen. Dort kann auch die zum Teil verpflichtende Impfung gegen andere Infektionskrankheiten wie z. B. Masern, Röteln, Mumps, Diphterie, Keuchhusten durchgeführt werden. [Textteil Finanzierung Testzentren]
11. [Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder danken den Kommunen für die große Aufnahmebereitschaft und Hilfsbereitschaft. Die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung der Geflüchteten aus der Ukraine sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Bund bekennt sich zu einer Mitverantwortung bei der Finanzierung der Unterbringung, Verpflegung und Betreuung der Flüchtlinge und Vertriebenen aus der Ukraine. [Aktualisierung nach Vorlage des Gesamtfinanzierungskonzepts durch Bund-Länder-AG, die am 5. April 2022 erneut tagt.]
12. [Textteil II Flüchtlingskosten]
13. [Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine sowie die von der westlichen Wertegemeinschaft bereits ergriffenen und gegebenenfalls weiter zu verschärfenden Sanktionen haben auch Auswirkungen auf die Situation der Unternehmen in unserem Land. Der Bund wird Hilfen für betroffene Unternehmen bereitstellen, um sie bei der Bewältigung der Herausforderungen zu unterstützen.
Die Europäische Kommission hat am 23. März 2022 den „Befristeten Krisenrahmen“ beschlossen. Er gibt den Rahmen des europäischen Beihilferechts für staatlichen Hilfen vor. Die bundeseigene Förderbank KfW wird zinsgünstige Kredite für Unternehmen anbieten. Darüber hinaus berät die Bundesregierung derzeit über weitere passgenaue Hilfen, um besonders betroffene Unternehmen bei der Bewältigung der negativen ökonomischen Auswirkungen des Konfliktes zu unterstützen.] Aktualisierungsvorbehalt
14. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stimmen darüber ein, dass die Gewährleistung der Sicherheit der Energieversorgung von existenzieller Bedeutung ist. Deutschland muss schnellstmöglich unabhängig vom Import russischer Energieträger werden. Die Bundesregierung hat bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Energieimporte zu diversifizieren und die Resilienz des deutschen und europäischen Energiesystems zu stärken. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder setzen sich dafür ein, die erneuerbaren Energien schnell auszubauen und die Energieeffizienz zu steigern. Dabei sind die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Bereitstellung der für den Ausbau der erneuerbaren Energien benötigten Flächen durch Bund und Länder von großer Bedeutung. Die Versorgungssicherheit ist aktuell weiterhin gewährleistet. Im Sinne eines vorrausschauenden Handelns hat der Bund die Frühwarnstufe des Notfallplans ausgerufen. Bund und Länder sind mit den Unternehmen und Verbänden im Gespräch, um die Bundesrepublik Deutschland für den Fall einer Eskalation seitens Russlands zu wappnen.
15. Grundlage für Energieimporte sind die von den jeweiligen Unternehmen abgeschlossenen Verträge. Diese sehen in den meisten Fällen die Zahlung in Euro oder US-Dollar vor. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass Gaslieferungen entsprechend der bestehenden Verträge geleistet und bezahlt werden.
16. Für die privaten Haushalte sowie für die Wirtschaft ist es von hoher Bedeutung, dass die Energie bezahlbar bleibt. Die Bundesregierung hat daher verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Belastungen, insbesondere aus dem stetigen
Anstieg der Energiepreise, abzumildern. Bund und Länder sind sich einig, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, um die Folgen für die Bevölkerung abzufedern. Das gilt insbesondere für die Pendlerinnen und Pendler.
17. Der Krieg in der Ukraine hat erhebliche Auswirkungen auf die Land- und Ernährungswirtschaft – in Deutschland, der EU und global. Die Ukraine und Russland sind wichtige Lieferanten von Getreide, Futter- und Düngemitteln. In Deutschland und der EU ist die Ernährungssicherheit derzeit nicht gefährdet. Bereits jetzt ist jedoch weltweit eine deutliche Verknappung landwirtschaftlicher Rohstoffe und Produktionsmittel zu erkennen. Diese Entwicklung birgt in vielen Ländern die Gefahr von Nahrungsmittelkrisen und politischer Instabilität. Die Bundesregierung wird auch ihren derzeitigen Vorsitz der Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) nutzen, um gemeinsam mit den Partnern entsprechende Hilfen zur Verfügung zu stellen.
18. Deutschland trifft auch eine humanitäre Verpflichtung, einen Beitrag zur weltweiten Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln zu leisten. Dabei kommt einer starken heimischen Ernährungs- und Landwirtschaft eine strategische Bedeutung zu, denn auch hierzulande gilt es, den starken Anstieg der Lebensmittelpreise abzufedern. Die Regierungschefinnen und -chefs von Bund und Ländern fordern die Bundesregierung daher auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um das vorhandene Potential der Landwirtschaft konsequent zu nutzen. Zu diesem Zwecke sollen – jedenfalls temporär – Verpflichtungen zu Stilllegungen von Ackerflächen ausgesetzt werden. Wichtig ist darüber hinaus eine vollständige Umsetzung des Beschlusses der EU-Kommission, der eine Nutzung brachliegender ökologischer Vorrangflächen für ackerbauliche Maßnahmen vorsieht. Dabei muss auch der Einsatz von Pflanzenschutz und Düngung ermöglicht werden.
19. Die etablierten Koordinierungsrunden zwischen Bund und Ländern werden fortgeführt. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder werden spätestens [im Rahmen ihrer Besprechung am 2. Juni] erneut über die Lage beraten; sofern notwendig, kommen sie früher zusammen.“
