Pistorius: 100 Milliarden Sondervermögen für Bundeswehr reichen nicht

Der neue Verteidigungsminister sieht den Finanzbedarf der Bundeswehr deutlich höher als die eingeplanten 100 Milliarden. Er fordert mehr Geld.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (l.) auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in einem Puma-Schützenpanzer.  
Verteidigungsminister Boris Pistorius (l.) auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in einem Puma-Schützenpanzer. Kay Nietfeld/dpa

Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert deutlich mehr Geld für die Bundeswehr. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte Pistorius mit Blick auf das im vergangenen Jahr eingerichtete Sondervermögen: „Die 100 Milliarden werden nicht reichen.“

Mit jedem neuen System gebe es auch neue Unterhaltungskosten, so Pistorius. „Mit jedem neuen Gerät entstehen also neue und höhere laufende Kosten.“ Auch den regulären Etat von rund 50 Milliarden Euro im Jahr hält der Nachfolger der zurückgetretenen Christine Lambrecht auf Dauer für zu niedrig. „Ich gehe nicht davon aus, dass das reicht“, sagte er.

Das Sondervermögen war im vergangenen Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine eingerichtet worden. Es soll eine bessere Ausstattung der deutschen Armee ermöglichen. Im vergangenen Jahr flossen noch keine Mittel aus dem Sondervermögen ab; es wurden lediglich Verträge mit Rüstungsfirmen im Volumen von gut zehn Milliarden geschlossen. Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), hatte kürzlich eine Aufstockung des Sondervermögens auf 300 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht.

Pistorius: „Panzer stehen nicht irgendwo im Regal zum Mitnehmen“

Die Bundeswehr brauche auch wegen der Lieferung von Militärgerät an die Ukraine dringend Nachschub. „Panzer stehen nicht irgendwo im Regal zum Mitnehmen“, gab Pistorius zu bedenken. „Die haben eine Lieferzeit, und das sind nicht drei Wochen. Und Munition wächst nicht auf Bäumen und will nur gepflückt werden.“ Deutschland werde kurzfristig nicht in der Lage sein, den Bedarf zu decken.

„Mittel- und langfristig müssen wir in Europa eine Rüstungsindustrie aufbauen, die das kann“, forderte Pistorius. „Nicht jeder muss jedes Waffensystem entwickeln. Und wir sollten zu standardisierten Waffensystemen kommen in Europa.“ Der Minister kündigte enge Absprachen mit der Industrie an, um Produktionskapazitäten auszuweiten und Lieferungen zu beschleunigen. Für die kommende Woche plane er entsprechende Gespräche.

Pistorius schließt Lieferung von Kampfjets an Kiew aus

Die Lieferung deutscher Kampfflugzeuge an die Ukraine lehnt Pistorius ab. „Ich halte das für ausgeschlossen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Kampfflugzeuge sind viel komplexere Systeme als Kampfpanzer und haben eine ganz andere Reichweite und Feuerkraft. Da würden wir uns in Dimensionen vorwagen, vor denen ich aktuell sehr warnen würde.“

Nach der Zusage von Deutschland und weiteren westlichen Ländern, der Ukraine Kampfpanzer zu liefern, hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unter anderem Kampfflugzeuge erbeten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schloss jedoch eine Lieferung von Kampfjets aus.

Pistorius mahnte zugleich, die ukrainische Luftabwehr weiter zu stärken. In dem Land sind unter anderem in Deutschland hergestellte Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard im Einsatz – bei ihnen gibt es allerdings Probleme mit dem Nachschub an Munition. Deutschland wollte in der Schweiz hergestellte Munition für den Panzer an die Ukraine weitergeben; das untersagte aber die Regierung in Bern. Als mögliche weitere Lieferländer für die Gepard-Munition gelten Brasilien und Katar.

Pistorius sagte dazu der Süddeutschen Zeitung: „Wir sind mit mehreren Partnern in Gesprächen, um hier voranzukommen. Ich bin aber auch guter Hoffnung, dass wir in Deutschland eine eigene Produktionslinie kriegen.“

Pistorius: „Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen“

In dem Zeitungsinterview äußerte sich Pistorius auch zum Aussetzen der Wehrpflicht seit dem Jahr 2011. „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen.“

Die Wehrpflicht sei unter anderem wichtig gewesen, um in der Gesellschaft einen stärkeren Bezug zur Bundeswehr zu haben. „Früher saßen an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige“, sagte Pistorius. „Auch dadurch gab es immer eine Verbindung zur Zivilgesellschaft.“ Es gelte nun, die Bundeswehr „erst mal so attraktiv zu machen, dass sich gute junge Leute für sie interessieren und sich bewerben“, sagte der Verteidigungsminister.