„Akt der Verzweiflung“: Reaktionen auf Teilmobilmachung in Russland

Russland könne den Krieg nicht gewinnen, so Kanzler Olaf Scholz. Putin habe die Lage unterschätzt. Selenskyj bat indes erneut um die Lieferung schwerer Waffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei der UN-Generalversammlung in New York
Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei der UN-Generalversammlung in New YorkAFP/Stephanie Keith

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Anordnung einer Teilmobilmachung in Russland als „Akt der Verzweiflung“ bezeichnet. „Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen“, sagte Scholz am Mittwoch in New York. Mit seinen jüngsten Entscheidungen mache der russische Präsident Wladimir Putin „das alles nur noch viel schlimmer“. Zudem habe Putin den Widerstandswillen der Ukrainer von Beginn an unterschätzt. „In der Welt, in der wir leben, muss das Recht über die Gewalt siegen und kann nicht die Gewalt stärker sein als das Recht“, sagte Scholz am Rande der aktuell laufenden UN-Generalversammlung.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete die ab Mittwoch geltende Teilmobilmachung als „Zeichen der militärischen und politischen Schwäche“. Putin versuche nicht nur die Ukraine zu zerstören, sondern er ruiniere auch sein eigenes Land. „Skrupellos und brutal schickt er erneut Tausende junger Menschen in einen sinnlosen Tod in diesem brutalen und verbrecherischen Krieg“, so Lambrecht.

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Auch US-Präsident Joe Biden äußerte sich in New York zu den Ereignissen. Er warf Russland vor, die Existenz der Ukraine im Kern bedrohen zu wollen. „In diesem Krieg geht es schlicht und einfach darum, das Existenzrecht der Ukraine als Staat auszulöschen – und das Recht der Ukraine, als Volk zu existieren“, sagte Biden in seiner Rede vor den Vertretern der UN-Mitgliedsstaaten. „Wer auch immer Sie sind, wo auch immer Sie leben, was auch immer Sie glauben, das sollte Ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen.“

Regierungspolitiker warnen vor neuer Eskalationsstufe

Auch zahlreiche deutsche Regierungs- und Außenpolitiker bezogen am Mittwoch Stellung zum Vorgehen Moskaus. Die angeordnete Teilmobilisierung mache deutlich, dass Russland offenbar erhebliche militärische Verluste zu verzeichnen habe, sagte der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte. „Nun greift langsam aber sicher die Verzweiflung bei Wladimir Putin und dem Verteidigungsministerium um sich“, sagte Lechte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings sei nun auch eine weitere Verschärfung des Konflikts denkbar. „Ungeachtet dessen müssen und werden wir weiterhin fest an der Seite der Ukraine stehen“, betonte der FDP-Politiker.

Andere Koalitionspolitiker äußerten sich besorgter über die Lage in Russland. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, sagte, „es ist auch eine neue Eskalation“. Die Teilmobilmachung zeige, dass Putin gewillt sei, auch weitere Schritte zu gehen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wertete die jüngsten Ereignisse zudem als Zeichen, dass man es mit einem noch lange dauernden Konflikt zu tun habe.

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagte, dass Putin endgültig die Maske fallen lasse. Zudem sprach er sich für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. „Die Ukraine hat die Möglichkeit, das eigene Land erfolgreich zu verteidigen und von Russland besetzte Gebiete zu befreien“, sagte Wadephul. Dafür brauche es aber mehr substanzielle Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft in Form schwerer Waffen. „Es ist höchste Zeit, dass Deutschland endlich den entscheidenden Schritt geht und Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart liefert“, so Wadephul.

Selenskyj bittet um schwere Waffenlieferungen – Ampel weiter dagegen

Mit seinen Forderungen bezog sich der CDU-Politiker auch auf einen Antrag der Unionsparteien auf Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine, der am Donnerstag im Bundestag besprochen werden soll. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterstützte den Antrag am Mittwoch in einem Interview mit Bild TV. „Gebt uns diese Waffen!“, forderte er. „Für uns bedeuten Kampfpanzer heute, dass mehr Menschenleben gerettet werden können.“

Die Bundesregierung lehnt die Lieferung von Panzern und Artilleriegeschützen an die Ukraine trotz der veränderten Lage weiterhin ab, da diese sich auch für einen Angriff auf Russland eignen würden. „Wir wollen die Ukraine ertüchtigen, sich zu verteidigen“, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner am Mittwoch in Berlin. „Aber es geht nicht darum, Waffen zu liefern, mit denen Russland angegriffen werden kann.“

Auch habe die vom Kreml angekündigte Teilmobilmachung bislang nicht zu einer Neueinschätzung der atomaren Bedrohungslage geführt. „Wir haben derzeit keine Kenntnisse darüber, bekommen keine Nachrichten darüber, dass seitens Russlands die Bereitschaft der Nuklearkräfte hochgefahren würde“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums. Es gebe in diesem Bereich „kein neues Lagebild“.