Bundestag beschließt umstrittene Wahlrechtsreform
Der Wissenschaftliche Diensts des Parlaments selbst äußerte verfassungsrechtliche Bedenken.

Berlin-Gegen starken Widerstand der Opposition hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Koalition zur Reform des Wahlrechts beschlossen. Dieser sieht vor, dass drei Überhangmandate künftig nicht mehr ausgeglichen werden, was nach dem derzeitigen Stand der Umfragen einen Vorteil für CDU und CSU bedeutet. Zudem sollen weitere Überhangmandate in begrenztem Umfang mit Listenmandaten derselben Partei in anderen Bundesländern verrechnet werden.
Offizielles Ziel der Reform ist es, eine zu starke Vergrößerung des Bundestages durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu vermeiden. Für künftige Wahlen ab dem Jahr 2024 soll dafür zudem die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert werden, was die Zahl der Überhangmandate verringern dürfte. Diese entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält, als ihr aufgrund ihres Zweitstimmenanteils zustehen.
Außerdem soll eine Reformkommission eingesetzt werden, die sich mit weiteren möglichen Wahlrechtsänderungen befasst, darunter eine mögliche Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre und Maßnahmen für eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament.
Von einem „absoluten Schuss in den Ofen“ sprach der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle. Die Koalition brate „unter dem Applaus der SPD eine Extrawurst für CDU und CSU, bei der eine Verzerrung des Wählerwillens herauskommt“, warf er der Regierung mit Blick auf die nicht ausgeglichenen Überhangmandate vor. Mit der Reform werde der Bundestag „noch deutlich weiter wachsen“, sagte Friedrich Straetmanns (Linke) . Zugleich äußerte er verfassungsrechtliche Bedenken, „der Grundsatz der Stimmengewichtsgleichheit“ werde verletzt.
Starke Kritik von der gesamten Opposition
„Sie verabschieden sich mit dieser Wahlrechtsreform von der Erfolgsgleichheit der Wählerstimmen“, kritisierte auch Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. Damit werde der Grundsatz des Verhältniswahlrechts in Frage gestellt, zugleich sei die Neuregelung „ungeeignet, den Bundestag zu verkleinern“.
„Die Macht dominiert den politischen Prozess“, sagte der AfD-Politiker Albrecht Glaser mit Blick auf den Verzicht von Union und SPD auf eine Konsenslösung. Er wies darauf hin, dass viele Direktmandate inzwischen mit einem Stimmenanteil deutlich unter 40 Prozent errungen würden. Der CDU-Abgeordnete Michael Frieser verteidigte die Reform als einen „sehr mäßigen, geringfügigen Eingriff“, den man „nicht so schlechtreden“ solle. Für die SPD sprach Mahmut Özdemir von einer „Lösung, die den wenigsten Schaden anrichtet“.
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags hält Wirkung für gering
Verfassungsrechtliche Bedenken äußerte auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Durch die nicht ausgeglichenen Überhangmandate bestehe die Gefahr eines verfassungswidrigen „negativen Stimmgewichts“, so die Experten in einem Gutachten. Zudem gebe es Unklarheiten, wie der Gesetzestext zu interpretieren sei und seine Wirkung auf die Größe des Parlaments sei auf wenige Mandate begrenzt, hieß es weiter.
Grüne, FDP und Linkspartei hatten in einem gemeinsamen Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Zahl der Wahlkreise bereits für die Bundestagswahl 2021 von 299 auf 250 zu verringern und die vorgesehene Gesamtsitzzahl zugleich von 598 auf 630 zu erhöhen, um Überhangmandate zu reduzieren. Ein Vorschlag der AfD sah vor, die Zahl der Direktmandate so zu deckeln, dass keine Überhangmandate entstehen. Beide Vorlagen wurden abgelehnt.