Kritik an Wahlrechtsreform: CDU und Linke drohen mit Klage in Karlsruhe
So einig waren sich Union und Linke wohl lange nicht: Beide Parteien kritisieren die geplante Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung scharf.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz droht der Ampelkoalition wegen deren geplanter Wahlrechtsreform mit einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Wenn es im Bundestag eine Mehrheit für die veränderten Pläne gebe, „ist aus meiner Sicht eine verfassungsrechtliche Überprüfung in der Tat geboten“, sagte Merz, der auch CDU-Chef ist, am Dienstag vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Er werde vorschlagen, die Pläne bei der am Freitag geplanten Abstimmung abzulehnen.
Die Spitze der Unionsfraktion erklärte, man werde nach einem Bundestagsbeschluss über das weitere Vorgehen beraten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem „Wahlrecht des mangelnden Respekts“ gegenüber den Wählerinnen und Wählern, der Opposition und der Demokratie insgesamt. Es müsse „deswegen aus unserer Sicht vom Verfassungsgericht überprüft werden“.
Dietmar Bartsch: Gesetzentwurf ist „brutaler Angriff auf die Linke“
Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch nennt die Pläne der Ampelkoalition für eine Reform des Wahlrechts „völlig inakzeptabel“. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf sei ein „brutaler Angriff auf die Linke“, sagte Bartsch am Dienstag in Berlin. „Wir werden nach Karlsruhe gehen, das ist völlig unbestritten“, sagte er. Man werde alles versuchen, damit dieses Gesetz so nicht Realität werde – letztlich sei das ein Angriff auf die Demokratie.
Bartsch sagte, die Ampelkoalition unternehme einen „politischen Alleingang“, wie er ihn so noch nicht erlebt habe. Er verwies darauf, dass es in der vergangenen Legislaturperiode einen gemeinsamen Gesetzentwurf der damaligen Oppositionsparteien Linke, Grüne und FDP gegeben habe, von dem „sehr wenig übrig“ sei.
In dem Ampel-Entwurf sei vor drei Wochen die Grundmandatsklausel noch enthalten gewesen, sagte Bartsch. Es sei „ein Unding“, dass die CSU, die üblicherweise viele Direktmandate gewinnt, nicht im Bundestag vertreten wäre, weil sie es nicht über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde schafft. „Das hat mit Demokratie meines Erachtens nichts zu tun“, so Bartsch. „Das ist ein offener Anschlag auch auf die Linke.“
Die Pläne der Ampel sehen eine Verkleinerung des Bundestags von 736 auf dauerhaft 630 Abgeordnete nach der nächsten Wahl 2025 vor. Neben den Überhang- und Ausgleichsmandaten soll die sogenannte Grundmandatsklausel gestrichen werden, nach der Parteien auch dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen können, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten. Sie müssen dafür mindestens drei Direktmandate über die Erststimmen gewinnen. Das traf bei der Wahl 2021 auf die Linke zu.
Streit um Wahlrecht: Betrifft die Reform einseitig die Opposition?
Die Pläne beträfen ausdrücklich die Opposition im Bundestag, die Ampel schnitze sich demnach ein Wahlrecht, sagte Dobrindt. Man teile zwar das Ziel der Verkleinerung des Bundestags und bleibe gesprächsbereit. Die bisherigen Gespräche mit den Ampel-Vertretern seien konstruktiv, aber ergebnislos gewesen.
Dobrindt zufolge ist ein Streichen der Grundmandatsklausel eine Gefährdung des Bundesstaatsprinzips und eine Missachtung des Föderalismusprinzips, das sich im Grundgesetz wiederfinde. Die Klausel sei essenzieller Bestandteil eines föderalen Prinzips, ohne die die CSU den Plänen nicht zustimmen werde. Zudem kritisierte auch der CSU-Politiker, dass mit den Plänen der Ampel ein Schaden für die demokratische Kultur und die Zusammenarbeit der Parteien im Bundestag entstehe.
Wahlrecht: Reform stürzt Söders CSU in Existenzängste
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Parteichef Markus Söder sieht mit dem Entwurf sogar die Existenz seiner Partei infrage gestellt. Die Pläne seien „ein dicker Hund“, sagte Söder in München. Hintergrund ist die Sonderstellung der CSU im Parteiensystem. Als Regionalpartei, die nur in Bayern antritt, bildet sie im Bundestag eine gemeinsame Fraktion mit ihrer Schwesterpartei CDU. Im Wahlgesetz wird die CSU aber als eigenständige Partei behandelt.
Würde sie etwa nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, könnten künftig auch die von ihren Bewerbern errungenen Siege in den einzelnen Wahlkreisen hinfällig werden, weil künftig der Gewinn eines Wahlkreises nicht mehr automatisch zum Einzug ins Parlament berechtigt. Die CSU hatte bei der Bundestagswahl 2021 alle 46 bayerischen Wahlkreise gewonnen, bis auf einen. 2017 konnte die CSU sogar alle Wahlkreise für sich gewinnen.
Damit könnte bei einer Wahlrechtsreform eine Situation entstehen, in der die CSU zwar in 40 oder mehr Wahlkreisen in Bayern das stärkste Erststimmenergebnis erzielt, aber dennoch keinen einzigen Bundestagsabgeordneten mehr stellt – dann nämlich, wenn sie im bundesweiten Maßstab unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen würde. Bei der Bundestagswahl 2021 lag die Partei mit 5,2 Prozent nur noch knapp über dieser Hürde.
Streit um Wahlrechtsreform: Mützenich verteidigt die Pläne gegen Kritik
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verteidigte indes das Vorhaben der Ampel-Fraktionen und begründete die Streichung der Klausel mit möglichen Klagen dagegen. „Die öffentliche Anhörung hat gezeigt, dass die Grundmandatsklausel heute schon ein Element ist, das weder verfassungs- noch wahlrechtlich begründbar ist“, schreibt er in einem Brief an die sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Zudem stelle die Klausel einen Systembruch dar, weil sie den falschen Eindruck einer Personenwahl vermittle, obwohl die Bundestagswahl eine Verhältniswahl sei. „Im neuen Wahlsystem fällt dies noch schwerer ins Gewicht und kann als Einfallstor für eine erfolgreiche Klage gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht dienen“, heißt es in dem Schreiben.
Mützenich schreibt zudem, die Reform stärke die Legitimität des Parlaments. „Wir beweisen mit diesem Gesetz, dass Politik in der Lage ist, auch Reformen zu verabschieden, deren Restriktionen sie selbst betreffen, und setzen damit ein wichtiges Zeichen gegen die um sich greifende Politikverdrossenheit.“
Die Führung der Grünen verteidigte die Ampel-Pläne. Der großen Koalition aus Union und SPD sei es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, eine Reform auf den Weg zu bringen, die den Bundestag spürbar verkleinert, sagte Parteichefin Ricarda Lang. „Und das war ehrlich gesagt ein großes Versagen.“ Dies habe Vertrauen in die Demokratie gekostet. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge lud die Opposition ausdrücklich dazu ein, dem Gesetzentwurf der Ampel zuzustimmen, und wies darauf hin, dass jede Fraktion im Bundestag von einer Verkleinerung des Parlaments betroffen sein werde.
