Bundestag stimmt für Corona-Gesetz, Lauterbach spricht von „Kompromiss“

Der Bundestag hat am Freitag dem neuen Infektionsschutzgesetz zugestimmt. Viele Maßnahmen sind nur noch in Hotspots möglich. Kritik kommt aus der Opposition.

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht im Plenum im Bundestag in der Debatte zum Infektionsschutzgesetz.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht im Plenum im Bundestag in der Debatte zum Infektionsschutzgesetz.dpa/Michael Kappeler

Vor dem Hintergrund neuer Rekordwerte bei den Corona-Infektionen hat der Bundestag dem Wegfall der meisten Pandemie-Beschränkungen im öffentlichen Leben zugestimmt. Das neue Infektionsschutzgesetz sei ein „schwerer Kompromiss“ der Ampel-Koalition, räumte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Freitag ein. Die Neuregelung erlaube aber weiter ein zielgerichtetes Vorgehen gegen die Pandemie.

Die Opposition kritisierte die Vorlage als Pfusch: Der CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge sprach von einem gesetzgeberischen „Wirrwarr“. Für die Vorlage der Ampel-Koalition stimmten 388 Abgeordnete, 277 waren dagegen, es gab zwei Enthaltungen.

Ohne das neue Gesetz wären alle bisherigen Corona-Beschränkungen am Samstag ausgelaufen. An ihre Stelle tritt nun ein so genannter Basisschutz, der im Kern lediglich eine Maskenpflicht für öffentliche Verkehrsmittel und für Einrichtungen mit vulnerablen Menschen vorsieht. Schärfere Maßnahmen dürfen die Länder nur für so genannte Hotspots anordnen. Übergangsweise dürfen die Länder aber die bisherigen Regeln noch bis zum 2. April in Kraft lassen.

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Lauterbach wollte „als Epidemiologe“ schärfere Corona-Regeln

Lauterbach verteidigte die Vorlage gegen massive Kritik der Opposition und der Bundesländer. Die Neuregelung gewährleiste, „dass wir überhaupt noch zielgerichtet reagieren können“, sagte er in einer mehrfach von Zwischenrufen unterbrochenen Rede im Plenum.

Lauterbach ließ durchblicken, dass er sich eine schärfere Nachfolgeregelung gewünscht hätte – die in der Koalition aber nicht durchsetzbar war: „Ich hätte als Epidemiologe gewünscht, wir hätten mehr für diejenigen tun können, die jetzt im Risiko stehen.“ Der Kampf gegen die Pandemie leide nach wie vor unter der geringen Impfquote. „Wir können aber nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine kleine Gruppe von Impfunwilligen zu schützen“, sagte Lauterbach.

Opposition: Die Hotspot-Regelung ist unklar definiert

Die Opposition kritisierte das Gesetz – und das Erscheinungsbild der Koalition. „Der Minister redet so, als ob er in Opposition zu dem Antrag stehen würde“, sagte der CDU-Abgeordnete Erwin Rüddel. „Das Gesetz erzeugt ein Wirrwarr“, sagte sein Fraktionskollege Sorge. Die darin festgeschriebene Hotspot-Regelung sei zu unklar definiert, „die Bundesländer wissen nicht, wie sie das umsetzen sollen“, sagte Sorge.

Auch die Linksfraktion kritisierte das Gesetz als handwerklich schlecht. Die Koalition treibe Gesetze „im Schweinsgalopp“ durch das Parlament, sagte die Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl. Angesichts der neuen Rekordwerte bei den Infektionen sende das Gesetz das falsche Signal: „Bei Höchstständen lockert man doch nicht von 100 auf nahezu null.“

AfD-Politiker Brandner nennt Lauterbach „Lügner“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Stephan Brandner, bezeichnete Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Bundestag als „Lügner“. Er warf ihm am Freitag in der Debatte über die künftige Corona-Politik vor, „Schreckenszenarien“ zu verbreiten. Es seien nicht Millionen Menschen gestorben, die nicht geimpft seien. „Wir brauchen eigentlich eher ein Injektionsschutzgesetz als ein Infektionsschutzgesetz, wenn Sie weiter hier als Bundesminister arbeiten wollen“, sagte Brandner an Lauterbach gerichtet.

Der Minister reagierte mit den Worten: „Ich möchte für uns alle, für die demokratischen Parteien, die hier sprechen, möchte ich sagen: Wir wollen uns hier nicht als Lügner diffamieren lassen. (...) Hier sprechen, was die demokratischen Parteien angeht, keine Lügner.“ Brandner entgegnete, ein Lügner sei in seinen Augen jemand, der mindestens einmal die Unwahrheit sage, obwohl er die Wahrheit kenne. Lauterbach erzähle seit zwei Jahren die Unwahrheit. „Seien sie froh, dass ich Sie lediglich als Lügner bezeichnet habe.“

Grüne: Flächendeckende Maskenpflicht wäre gut gewesen

Der Änderung des Infektionsschutzgesetzes waren Spannungen innerhalb der Koalition vorausgegangen: Die FDP hatte darauf bestanden, künftig möglichst wenige Eingriffe im öffentlichen Leben im Namen der Pandemiebekämpfung zuzulassen.

Die Grünen-Gesundheitsexpertin Kirsten Kappert-Gonther formulierte im Plenum abermals die Bedenken in ihrer Fraktion. „Aus meiner Sicht als Ärztin und Gesundheitspolitikerin braucht es für einen guten Infektionsschutz vermutlich mehr als das, was heute mit diesem Gesetz vorliegt“, sagte sie. Insbesondere eine flächendeckende Maskenpflicht wäre gut gewesen. „Aber kein Gesetz wäre sehr viel schlechter gewesen als dieses Gesetz.“

Der FDP-Abgeordnete Lukas Köhler verteidigte die Haltung seiner Fraktion. Aus Sicht der FDP sei „nur das an Freiheitseinschränkungen möglich, was nötig ist“, sagte Köhler. „Wir sorgen dafür, dass wir soweit es irgendwie geht zurück zur Normalität kommen.“

Kurz vor der Debatte im Bundestag hatte das Robert-Koch-Institut neue Rekordwerte gemeldet: Binnen 24 Stunden infizierten sich 297.845 Menschen mit dem Coronavirus. Die Sieben-Tage-Inzidenz überschritt erstmals die Marke von 1700 und erreichte 1706,3.