Peinlicher Fehler bei Razzia: Polizei stuft Letzte Generation vorschnell als „kriminell“ ein

Am Mittwoch fanden Durchsuchungen in sieben Bundesländern statt. Ein Twitter-Post der Polizei sorgte für Verwirrung. Sie bezeichnete die Letzte Generation fälschlich als „kriminelle Vereinigung“. 

Polizisten nach einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg: Am Mittwoch haben zahlreiche Einsatzkräfte in mehreren Bundesländern Beweismittel gesichert. 
Polizisten nach einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg: Am Mittwoch haben zahlreiche Einsatzkräfte in mehreren Bundesländern Beweismittel gesichert. Christoph Soeder/dpa

Einsatzkräfte von Polizei und Staatsanwaltschaft haben am Mittwochmorgen in sieben Bundesländern Durchsuchungen bei der Klimaschutzgruppe Letzte Generation durchgeführt. Das teilte das Bayerische Landeskriminalamt mit. Demnach habe die bayerische Justiz ab 7 Uhr 15 Wohnungen von Mitgliedern der Letzten Generation durchsuchen lassen. Die sieben Beschuldigten sind zwischen 22 und 38 Jahre alt. Der Tatvorwurf lautet: Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Mitarbeiter der Pressestelle des bayrischen Landeskriminalamtes und der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft hatten aber offenbar nicht verstanden, dass es sich dabei um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt. Mit einem Post auf Twitter sorgten sie nicht nur bei den Klimaaktivisten für Empörung. Auch viele andere Nutzer waren verwundert, dass sie die Gruppe bereits als „kriminelle Vereinigung“ einstuften.

Letzte Generation will juristisch gegen die Behörden vorgehen

In dem Twitter-Post der Polizei hieß es: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß §129 StGB dar. (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“. Der peinliche Fehler wurde mittlerweile korrigiert. Die Letzte Generation kündigte an, trotzdem gegen das Vorgehen der bayrischen Behörden juristisch vorzugehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft München räumte ein, dass die Formulierung unzutreffend gewesen ist. Derzeit bestehe lediglich ein Anfangsverdacht, dass es sich bei der Letzten Generation um eine Kriminelle Vereinigung handeln könnte, sagte ein Behördensprecher dem NDR. Strafrechtler Mark Zöller sagte dem NDR, die Wortwahl war „absolut unzulässig“. Ob die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung im Sinne des StGB eingestuft werden könne, sei gerichtlich nicht ansatzweise geklärt. „Alles andere ist reine Vorverurteilung und mit dem für staatliche Stellen geltenden Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot unvereinbar.“, so Zöller weiter. 

Konten der Letzten Generation beschlagnahmt

Neben Bayern wurden auch Objekte in Berlin, Hamburg, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein durchsucht. In Berlin wurden an vier Adressen Beweismittel gesichert. Wie aus einem Bericht der Augsburger Allgemeinen unter Berufung auf den ihr vorliegenden Durchsuchungsbeschluss des Amtsgericht Münchens hervorgeht, zählt auch die Sprecherin der Letzten Generation Carla Hinrichs zu den drei Hauptbeschuldigten der Generalstaatsanwaltschaft München. Ihre Wohnung in Berlin sei durchsucht worden. 

In einem Video, das die Letzte Generation auf Twitter veröffentlichte, schilderte Hinrichs ihre Eindrücke. „Plötzlich steht ein Polizist mit schusssicherer Weste vor deinem Bett und richtet eine Waffe auf dich,“ so die Klimaaktivistin. Die Einsatzkräfte hätten daraufhin ihre Wohnung durchsucht. „Ich habe Angst davor, dass dieser Staat seine Beamt:innen meine Wohnung stürmen lässt mit gezogener Waffe“, so die 26-Jährige. 

Hinrichs zählt zu den bekanntesten Gesichtern der Letzten Generation und wurde bereits mehrfach wegen der Teilnahme an Straßenblockaden verurteilt.

Auch Konten der Aktivisten seien beschlagnahmt worden. Zudem wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet, wie ein Polizeisprecher sagte.

Laut Polizei waren bundesweit etwa 170 Beamte im Einsatz. Die Durchsuchungen verliefen ersten Informationen nach friedlich. Auf Twitter fragen die Aktivisten als Reaktion auf die Razzia, wann „Lobbystrukturen“ durchsucht und „fossile Gelder der Regierung“ beschlagnahmt würden.

Am Mittag äußerten sich die Aktivisten in einer Pressekonferenz zu der bundesweiten Razzia. Die Durchsuchungen hätten „alle hart getroffen“. Gleichzeitig forderten die Aktivisten die Bürger auf, sich an bundesweiten Protestmärschen zu beteiligen, die die Gruppe für nächsten Mittwoch unter anderem in Berlin, München und Leipzig ankündigte. Am Mittwoch, fand ab 17 Uhr bereits ein Protestmarsch der Klima-Aktivisten an der Siegessäule Berlin statt. Die Polizei berichtete auf Twitter von Verkehrsbeeinträchtigungen. 

Zahlreiche Strafanzeigen: Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung

Hintergrund der Aktion ist ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft, welches sich den Angaben zufolge gegen die sieben Beschuldigten richtet. Gegen sie werde wegen des Tatvorwurfes der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Das Verfahren wurde der Anklagebehörde zufolge „aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung, die seit Mitte des Jahres 2022 eingingen“, eingeleitet.

Konkret wird den Beschuldigten zur Last gelegt, eine Spendenkampagne zur Finanzierung „weiterer Straftaten“ für die Letzte Generation organisiert, diese über deren Homepage beworben und dadurch mindestens 1,4 Millionen Euro an Spendengeldern eingesammelt zu haben. Das Geld sei auch überwiegend für die Begehung weiterer Straftaten eingesetzt worden, hieß es. Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.

Polizeifahrzeuge stehen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg in einer Straße.
Polizeifahrzeuge stehen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg in einer Straße.Christoph Soeder/dpa

Richtiges Signal oder überzogen? Reaktionen auf Razzia gespalten

Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat die Durchsuchungen von Objekten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation gutgeheißen. „Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt am Mittwoch in Berlin. „Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbst ernannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen.“ Die Gewerkschaft begrüße das konsequente Handeln der bayerischen Justiz. 

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die bundesweite Razzia gegen die Klimaaktivisten verteidigt. Die Maßnahmen zeigten, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lasse, sagte die Ministerin den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Online Mittwoch, Print Donnerstag). „Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln - so wie es ihre Pflicht ist“, sagte Faeser. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere in ihren Rechten verletzt würden. „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“

Aktivisten von Extinction Rebellion haben sich indes mit den Beschuldigten solidarisiert. „Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam“, schrieben die Umweltaktivisten am Mittwoch auf Twitter und bekundeten ihre Unterstützung. Razzien mit dem Strafrechtsparagrafen 129 zu begründen – der Bildung krimineller Vereinigungen – solle „umfassende Überwachung ermöglichen, Rechte und Demokratie aushebeln und vor allem: von den wahren Kriminellen ablenken“, erklärte Extinction Rebellion weiter.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, bezeichnete die Durchsuchungen bei der Letzten Generation als überzogen. „Die Menschen, die sich der sogenannten Letzten Generation zurechnen, setzen auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen“, sagte Beutin. Probleme für die Gesellschaft und die Zerstörung der Lebensgrundlagen produzierten diejenigen, die Lobbypolitik für Konzerne machten. „Wann findet die Razzia bei den Herren Lindner und Wissing statt und bei all denen, die mit ihrem Bremsen beim Klimaschutz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 ignorieren?“, kritisierte der Linken-Politiker mit Blick auf die beiden Bundesminister der FDP.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schrieb auf Twitter: „Klimaschutz ist ein richtiges und drängendes Anliegen. Klimaschutz gegen Rechtsstaat, Demokratie und die Bevölkerung dagegen nicht.“ Mit einer großangelegten Razzia waren Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen.

Letzte Großrazzia bei Letzter Generation im Dezember

Polizei und Staatsanwaltschaft hatten bereits am 13. Dezember 2022 elf Wohnungen und Räume von Mitgliedern der Letzten Generation in mindestens sechs Bundesländern durchsucht. Grund dafür waren mehrere Attacken von Klimaaktivisten auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt, wie die Staatsanwaltschaft erläuterte. Dabei sei unter anderem die Ölzufuhr unterbrochen worden. In einigen Fällen sei es damals nur beim Versuch geblieben. (mit dpa und AFP)