Müller will Einschränkungen – Grüne sprechen von „blindem Aktionismus“

Der Regierende bringt Veranstaltungs- und Alkoholverbote ins Spiel. Grüne und Linke lehnen das ab – und sind sich dabei selten einig mit der Opposition. 

Sind Bars, Clubs und Feiern im öffentlichen Raum das Problem? Darüber streitet zurzeit der Senat. 
Sind Bars, Clubs und Feiern im öffentlichen Raum das Problem? Darüber streitet zurzeit der Senat. dpa/Christophe Gateau

Berlin-Die Berliner SPD erhöht den Druck auf die Koalitionspartner, in der Corona-Krise neue Einschränkungen zu erlassen. Nach Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) drängte am Donnerstag auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) darauf, Konsequenzen aus den derzeit hohen Infektionszahlen in der Hauptstadt zu ziehen. Aber: Weder die Koalitionspartner noch die Oppositionsparteien zeigen sich dafür zurzeit empfänglich. Sie kritisieren die desolate Datenlage der SPD-geführten Gesundheitsverwaltung und fordern zunächst eine klare Analyse der Hotspots.

Müller sagte im „ZDF-Morgenmagazin“ mit Blick auf die Senatssitzung am kommenden Dienstag, er gehe davon aus, dass „wir tatsächlich auch wieder Einschränkungen vornehmen müssen“. Als Beispiel nannte der Regierende Feiern im öffentlichen Raum. „Das wird man so nicht zulassen können.“ Gegebenenfalls müsse man auch über Alkoholverbote wie in München sprechen, so Müller weiter. In München darf an festgelegten öffentlichen Plätzen von 21 bis 6 Uhr kein Alkohol mehr verkauft werden, ab 23 Uhr darf dort auch kein Alkohol mehr konsumiert werden. Eine Maskenpflicht auf großen Plätzen unter freiem Himmel lehnte Müller zunächst ab. „Das sehe ich für Berlin noch nicht.“

Fußballspiele mit 20 Prozent Stadion-Auslastung? Eher nicht

Aus Senatskreisen der Grünen hieß es am Donnerstag, es brauche zunächst aussagekräftige Zahlen und Daten – und die müsse Kalayci erst mal liefern. „Blinder Aktionismus“ bringe niemanden weiter, sondern verspiele nur das Vertrauen der Menschen in staatliches Handeln – und senke die Akzeptanz von Beschränkungen. „Wir hätten gedacht, dass das inzwischen auch alle verinnerlicht hätten – das ist aber offensichtlich nicht der Fall“, hieß es im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Ein Alkoholverbot „ohne triftigen Grund“ lehnen die Grünen deutlich ab. Das schädige nur die ohnehin hart gebeutelte Gastronomie. Als sinnvoller erachten die Grünen eine Maskenpflicht am Arbeitsplatz, analog zu den Regeln in der Schule: Maske auf beim Bewegen durch den Raum, Maske ab beim Sitzen auf Abstand am Platz.

Auch die Linken im Senat zeigten sich irritiert von Müllers forschen Ansagen. Auch sie lehnen Alkoholverbote ab. Vielleicht aber wisse der Regierende schon mehr als die Koalitionspartner, hieß es da am Donnerstag. Aus den ihnen vorliegenden Zahlen jedenfalls erschließe sich nicht der Sinn eines Feier-und-Alkohol-Verbots. „Wir brauchen verlässliche Auskünfte“, fordern auch die Linken. Klar sei, dass man in der jetzigen Lage wohl geplante oder diskutierte Lockerungen streiche. Fußballspiele wieder vor Publikum und mit 20 Prozent Auslastung der Stadien stattfinden zu lassen, wie Mitte September zwischen den Bundesländern vereinbart, sei damit wohl vom Tisch.

Zeelen (CDU): „Jetzt müssen alle leiden“

Selten einig sind sich Grüne und Linke in einem Punkt mit der Opposition: Die bereits bestehenden Regeln müssten stärker kontrolliert und durchgesetzt werden – daran hapere es zuallererst in Berlin. Tim Zeelen, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, sagte der Berliner Zeitung am Donnerstag: Der rot-rot-grüne Senat habe sich immer dagegen gesträubt, klare Regeln zu erlassen und sie zu kontrollieren. „Jetzt müssen alle leiden – anstatt nur diejenigen zu bestrafen, die sich nicht an die Regeln halten“, so Zeelen.

Herbert Mohr, Gesundheitsexperte der AfD, attestierte Müller fehlendes Feingefühl. Natürlich müsse die Lage eng beobachtet und gut vorbereitet werden. Aber: „Die hektische Ankündigung drastischer Maßnahmen ist derzeit unverhältnismäßig“, so Mohr. „Solche Ankündigungen lösen ohne Not Angst und Panik aus.“ Notwendig sei nicht nur der Blick auf die Infektionszahlen, sondern auf die stationären Behandlungsfälle, die seit Monaten auf niedrigem Niveau verharrten.

Zurzeit zeigen im senatseigenen Corona-Warnsystem wieder zwei Ampeln grün, eine Ampel steht auf gelb. Der Reproduktionswert, der angibt, wie viele Personen ein Infizierter im Schnitt ansteckt, liegt mit 0,83 wieder im grünen Bereich. Nur 1,4 Prozent der Berliner Intensivbetten sind mit Corona-Patienten belegt. Gelb leuchtet aber die Zahl der Neuinfektionen: 26,3 Neuinfektionen gerechnet auf 100.000 Einwohnern in sieben Tagen – also die 7-Tages-Inzidenz – gibt die Gesundheitsverwaltung aktuell an. Allein am Donnerstag seien 238 neue Infektionen gemeldet worden.

Allerdings: Auf der Homepage der Gesundheitsverwaltung heißt es auch, dass es vor einigen Tagen eine Störung bei der Übermittlung von Labormeldungen an die Gesundheitsämter gegeben habe. Zu berücksichtigen sei, dass „diese Nachmeldungen sich mittelfristig auf den berechneten R-Wert und kurzfristig auf die 7-Tages-Inzidenzen auswirken“.