Lockdown in Shanghai: „Wir möchten etwas zu essen“
Kleinkinder und Säuglinge werden von ihren Eltern getrennt. Menschen werden zusammengeschlagen, wenn sie trotz Ausgangssperre auf die Straße gehen.

26 Millionen Menschen stehen in der chinesischen Wirtschaftsmetropole Shanghai unter Hausarrest. Viele von ihnen seit Wochen. In sozialen Netzwerken tauchen schockierende Videos auf, die den Alltag in Shanghai zeigen. Immer wieder zu sehen: Personen in Seuchenschutzanzügen, die auf Menschen einprügeln, weil diese gegen Lockdown-Regeln verstoßen haben. Weitere verstörende Videos zeigen nach Angaben des Magazins Spiegel offenbar Shanghai bei Nacht. Es sind Schreie zu hören: „Wir brauchen Verpflegung! Wir brauchen Verpflegung!“
Auf einem anderen Video ist ein riesiger Wohnblock bei Tag zu sehen. Hier patrouillieren Drohnen der Regierung. Sobald die Menschen ein Fenster öffnen, erschallt eine Stimme: „Liebe Anwohner, liebe Freunde, bitte folgen sie im Lockdown strikt den Anordnungen der Stadtverwaltung. Bitte zügeln Sie das Bedürfnis Ihrer Seele nach Freiheit. Öffnen Sie nicht das Fenster. Singen Sie nicht. Ihr Verhalten birgt die Gefahr, Viren zu übertragen.“ In den Straßen laufen Roboterhunde, die die geltenden Coronaverbote verkünden. Verlassen die Menschen ihre Wohnung ohne spezielle Erlaubnis, werden sie von Einsatzkräften in weißen Seuchenanzügen oder Ordnungskräften zusammengeschlagen.
#shanghai #TheGreatTranslationMovement #大翻译运动 The police or the army of the CCP are beating ordinary citizens severely through epidemic prevention.I want to ask, is this a fight against COVID-19 or an opportunity to vent violence and suppress people? pic.twitter.com/3ybvhy39hb
— 一个自由主义者 (@champ1on6) April 6, 2022
Immer mehr Fälle werden dokumentiert. Der Spiegel titelt dazu: „Schlägertrupps in Seuchenmontur“. In dem Bericht des China-Korrespondentem beschreibt der Reporter „scheinbar irrationale Szenen: Dieses Video soll zeigen, wie Staatsbedienstete eine Wohnungstür zuschweißen. Wohl, um weniger Ausgänge kontrollieren zu müssen“. Der Spiegel-Reporter: „In Shanghai, glaube ich, kippt so langsam die Stimmung, weil halt auch klar wird, wie unvorbereitet die lokalen Behörden sind, wie wenig Konzept und Plan sie haben, mit der ganzen Sache umzugehen. (...) Die Leute rufen: ‚Wir möchten was zu Essen haben‘ oder ‚Wir möchten essen‘.“
Das Problem: Chinesen haben traditionell relativ wenige Lebensmittel, etwa in Konserven zu Hause. Der Großteil wird täglich frisch auf dem Markt gekauft. Weil sie jetzt aber nicht mehr einkaufen gehen dürfen, drohen vor allem alte Menschen schlichtweg zu verhungern. Zwar gibt es offiziell Lebensmittellieferungen vom Staat. Doch diese Lieferungen funktionieren in der Praxis nicht immer. Der Anwalt Jared Nelson schreibt auf Twitter: „Für meine Familie hatten wir 3 Lieferungen, die für heute gebucht waren: 2 Gruppenkäufe von Fleisch und Meeresfrüchten plus 1 Einzelkauf von Seife und Shampoo“. Alle drei Lieferungen wurden laut Nelson storniert. Sie hätten Glück gehabt, da ihnen ein Freund aus einem anderen Stadtteil Lebensmittel hätte senden können.
Residents in #Shanghai screaming from high rise apartments after 7 straight days of the city lockdown. The narrator worries that there will be major problems. (in Shanghainese dialect—he predicts people can’t hold out much longer—he implies tragedy).pic.twitter.com/jsQt6IdQNh
— Eric Feigl-Ding (@DrEricDing) April 10, 2022
Aktuell dürfen die Einwohner Shanghais ihre Wohnungen nur dann verlassen, um zu staatlich angeordneten Massentests zu gehen. Diese Tests haben für viele Familien harte Konsequenzen: Positiv getestete Kinder werden von ihren Müttern und Vätern getrennt und in Sammelstellen gebracht, auch Babys. Auf einem ebenfalls in den sozialen Medien verbreitetem Video sieht man weinende Kleinkinder, die zusammen in einem Gitterbett untergebracht sind und weinen. Daneben steht ein weiteres Gitterbett, in dem apathische Säuglinge leben, die offenbar von ihren Eltern getrennt wurden. Die städtische Frauenvereinigung in Shanghai berichtet nach Angaben der ARD über eine Mutter, die mehrere Tage nicht wusste, ob es ihrem Kind gut geht.
Ein Ende des Lockdowns in Shanghai ist nicht in Sicht. Der Lockdown wurde zuletzt auf unbestimmte Zeit verlängert. Nach Angaben der Behörden werden die strengen Regeln in einzelnen Stadtvierteln frühestens dann aufgehoben, wenn es 14 Tage keine Infektionen mehr gab. Zum Vergleich: Am Sonntag meldeten die Behörden rund 25.000 lokal übertragene Infektionen in der Millionen-Metropole. Nun fürchten sich auch die Einwohner weiterer Metropolen. Laut einem Medienbericht planen die Behörden in der 18-Millionen-Einwohner-Stadt Guangzhou derzeit Massentests, nachdem hier einige Corona-Fälle gemeldet wurden.
ARD: Strikte Null-Covid-Strategie Chinas war „lange erfolgreich“
In einem Bericht der ARD-Tagesschau heißt es zum Vorgehen der chinesischen Regierung, „dass strenge Maßnahmen wie Ausgangssperren, Massentests oder Abschottung von Städten verhängt werden, wenn auch nur einzelne Fälle auftreten. Im Fall Shanghai gehen chinesische Experten nach Angaben der Staatsmedien davon aus, dass mit den strengen Maßnahmen die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von zwei Wochen auf Null sinken werde.“ In dem Bericht heißt es weiter, dass die strikte Null-Covid-Strategie Chinas „lange erfolgreich“ gewesen sei: „Das Leben lief seit zwei Jahren weitgehend normal.“ Seit Auftreten der Omikron-Variante „funktionieren die strikten Maßnahmen allerdings immer schlechter.“
In Jinan gilt derzeit zwar kein Hausarrest, dennoch sorgen die Maßnahmen der Regierung auch hier für Aufsehen. Ein bei Twitter verbreitetes Video zeigt, wie mehrere Menschen auf der Straße knien müssen, während Personen in Schutzanzügen die Impfpässe der Menschen via QR-Code überprüfen. Nur wer einen gültigen Impfpass vorweisen kann, darf wieder aufstehen.
SYNXT ON TLGRM#Anonymous official 108
— Anonymous official 108 (@Anonymous_o_108) April 5, 2022
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China
In der chinesischen Stadt Jinan, Provinz Shandong werden die Bürger öffentlich auf der Straße gezwungen sich hinzuknien während ihr QR Code gescannt wird.
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Darüber berichtet unter anderem das Nachrichtenportal Newsweek. Die Redaktion hat die chinesischen Behörden um eine Stellungnahme gebeten. Beantwortet wurde die Anfrage bislang nicht.
