Kassenärzte boykottieren Abrechnung: Aus für Bürgertests?
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung: Können Bürgertests „nicht mehr abrechnen und auszahlen können“. Lauterbach: Bürgertests sind nicht sinnfrei.

Deutschlands Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) boykottieren ab sofort Bürgertests auf Corona. Das steht in einem Brandbrief an den amtierenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). In dem Brief steht: „Nach sehr sorgfältiger Prüfung der neuen Testverordnung müssen wir Ihnen vor dem Hintergrund der schon jetzt bestehenden, eklatanten Betrugsproblematik mitteilen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen Bürgertestungen zukünftig nicht mehr abrechnen und auszahlen können“, heißt es in dem Brief.
Die KVen kritisieren zudem scharf, dass sie vor Veröffentlichung der neuen Testverordnung nur 4 Stunden und 15 Minuten Zeit gehabt hätten, die neuen Regelungen zu kommentieren. Reaktionen habe es seitens des Ministeriums darauf nicht gegeben. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die den Brief ebenfalls unterzeichnet hat, hatte zuvor bereits massive Kritik geäußert.
„Die Praxen sind keine Kontrollbehörden und leiden jetzt schon unter der massiven Bürokratie“, sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. „Wie soll am Empfangstresen geprüft werden, ob jemand beispielsweise einen Besuch bei einem Vorerkrankten plant und sich deshalb testen lassen will?“, sagte Vizechef Dr. Stephan Hofmeister. Die Arztpraxen sollten nun „genau prüfen, ob sie Bürgertestungen weiterhin anbieten“, heißt es weiter. Sie seien dazu „nicht verpflichtet“.
Zuvor hatte Andreas Gassen bereits eine komplette Einstellung der Corona-Bürgertests gefordert. „Diese unsinnigen Tests müssen abgeschafft werden“, sagte Gassen der Bild-Zeitung. „Sie sind viel zu teuer, der bürokratische Aufwand ist riesig und die epidemiologische Aussagekraft ist Null.“
Am Freitag äußerte sich auch Karl Lauterbach. Er schrieb bei Twitter: „Die Tests werden bleiben und ab heute korrekt abgerechnet. Die sind nicht sinnfrei sondern helfen, dass Infizierte andere nicht anstecken.“ Man sei „in konstruktiven Gesprächen zur Abrechnung der Bürgertests.“
Ärzte sind nicht verpflichtet, Bürgertests anzubieten
Mit der KBV und Herrn Gassen sind wir schon in konstruktiven Gesprächen zur Abrechnung der Bürgertests. Die Tests werden bleiben und ab heute korrekt abgerechnet. Die sind nicht sinnfrei sondern helfen, dass Infizierte andere nicht anstecken. https://t.co/hdoEYYd2Qo
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) July 1, 2022
Der Brief im Wortlaut:
„Sehr geehrter Herr Bundesminister Lauterbach, gestern ist die neue TestV veröffentlicht worden. Im Vorfeld wurde den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 4 Stunden und 15 Minuten Zeit gegeben, um die neuen Regelungen zu kommentieren. Reaktionen bzw. Anpassungen aufgrund unserer Kommentierung sind von Ihrem Haus nicht erfolgt. Nach sehr sorgfältiger Prüfung der neuen TestV müssen wir Ihnen vor dem Hintergrund der schon jetzt bestehenden, eklatanten Betrugsproblematik mitteilen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen Bürgertestungen zukünftig nicht mehr abrechnen und auszahlen können.
Die neue Testverordnung knüpft die Bürgertestung an eine Vielzahl von bislang nicht bestehenden Anspruchsvoraussetzungen. Die Berechtigung für eine Testung wurde in 10 Fallgruppen aufgeteilt. Beispielsweise ist eine Person anspruchsberechtigt, wenn sie am selben Tag der Testung eine Veranstaltung in einem Innenraum besucht, eine Person aufsucht, die das 60. Lebensjahr vollendet hat oder aufgrund einer Vorerkrankung oder Behinderung ein hohes Risiko aufweist, schwer an Covid19 zu erkranken. Diese Personen können die Bürgertestung aber auch nur dann beanspruchen, wenn sie eine Zuzahlung von 3 Euro leisten.
Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die durch das BMG vorgesehene und von den Kassenärztlichen Vereinigungen durchgeführte Abrechnungsprüfung Betrugsfälle nicht verhindern kann. Nach der neuen Testverordnung müssen nun zusätzlich detaillierte Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen werden, um Anspruch auf einen Bürgertest zu haben und diesen rechtskonform erbringen zu können. Die Prüfung all dieser neuen Vorgaben ist den Kassenärztlichen Vereinigungen erst recht nicht möglich. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit können wir nicht darauf vertrauen, dass alle Teststellen die Leistungen korrekt erbringen werden.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass tatsächlich nur Personen getestet werden, bei denen auch die Anspruchsvoraussetzungen nach dem neuen § 4a TestV vorliegen. Ebenso können wir nicht davon ausgehen, dass die Teststellen alle Personen ausreichend über die neuen Anspruchsvoraussetzungen aufklären und in diesem Zusammenhang tatsächlich alle erforderlichen Nachweise und Selbsterklärungen prüfen. Im Ergebnis können die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht verantworten, sehenden Auges Auszahlungen auf Abrechnungen zu leisten, deren Richtigkeit sie nicht ansatzweise prüfen können.
Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass derzeit sogar staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen eine Kassenärztliche Vereinigung wegen der Auszahlung von Finanzmitteln der TestV geführt werden. Zudem werden die Teststellen nach wie vor nicht flächendeckend auf Eignung und Zuverlässigkeit überprüft. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der neuen, kleinteiligen Anspruchsvoraussetzungen und des damit vorhersehbaren Anstiegs von nicht überprüfbaren Falschabrechnungen sehen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen außer Stand, ab dem 30. Juni 2022 erbrachte Bürgertestungen nach § 4a TestV abzurechnen und die Vergütung auszuzahlen.
Für weitere Gespräche in dieser Thematik stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen, die Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.“
