Schwangerschaftsabbruch darf kein Tabu-Thema mehr sein

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland zwar möglich. Ärzte, die sie durchführen, können sich schnell strafbar machen. Das muss sich ändern, fordert Maren Jasper-Winter.

FDP-Politikerin Maren Jasper-Winter
FDP-Politikerin Maren Jasper-WinterBerliner Zeitung/Markus Wächter

Ein regelrechtes Feuer der Entrüstung folgte in den Vereinigten Staaten auf den jüngst veröffentlichten Urteilsentwurf des Obersten Gerichtshofes. Hiernach könnten konservative Bundesstaaten ein absolutes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen umsetzen. Die Nachricht trieb Tausende auf die Straße, um für die Entscheidungsfreiheit der Frau zu demonstrieren.

In unserem Nachbarland Polen sind derartige Demonstrationen an der Tagesordnung. Erst vergangenes Jahr wurde hier ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot verabschiedet, mit verheerenden Folgen für das Leben von Frauen. Seit Inkrafttreten hat es mindestens zwei Frauen das Leben gekostet

Doch nicht nur polnische Frauen sind von dem Verbot betroffen. Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass es auch unmittelbare Auswirkungen auf Frauen hat, die in Polen Zuflucht zu suchen. In Telegram-Kanälen fragen ukrainische Geflüchtete mit Gewalterfahrungen, ob und wie sie eine legale Abtreibungen durchführen können. Einige von ihnen sind bereits nach Deutschland gekommen in der Hoffnung, hier Unterstützung zu finden.

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Immer weniger Ärzte führen in Deutschland Abtreibungen durch

In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche zwar unter bestimmten Voraussetzungen straflos möglich, aber das enge gesetzliche Korsett im Rahmen der Strafgesetze und die damit einhergehenden Folgen für Ärztinnen und Ärzte haben Versorgungssituation stetig verschlechtert.

Laut „Schwangerschaftskonfliktgesetz“ müssen die Bundesländer sicherstellen, dass Schwangere ein Angebot zur Beendigung ihrer Schwangerschaft vorfinden, doch gibt es ein immer geringeres Angebot an praktizierenden Ärztinnen und Ärzten. 2003 verzeichnete das Statistische Bundesamt noch etwa 2050 Praxen und Kliniken, die den Eingriff durchführen. Ende 2020 waren es nur noch 1109. Das entspricht einem Rückgang um 46 Prozent. In Niederbayern und der Oberpfalz gibt es überhaupt keine Fachleute mehr, die Abtreibungen vornehmen können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Schwangerschaftsabbrüche kein regulärer Bestandteil des Medizinstudiums oder der fachärztlichen Ausbildung in der Gynäkologie sind.

Zwar wurden in Deutschland anders als in anderen Ländern weder Rechtsprechung noch Gesetze verschärft. Jedoch hat sich die faktische Lage zuungunsten der Frauen verändert. Dies muss uns auch hierzulande Anlass geben, über einen veränderten gesetzlichen Rahmen nachzudenken, der zu einer besseren Versorgung führt. Denn eine unzureichende Versorgung wird nicht zu weniger Abbrüchen führen, sondern zu Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Frauen. Statistisch gesehen sind Schwangerschaftsabbrüche unter unsicheren Bedingungen eine (vermeidbare) Hauptursache für den Tod von Frauen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft.

Maren Jasper-Winter: Ärzte arbeiten noch in einer Tabuzone

Zudem ist es eine Bevormundung der Frau und ein anmaßender Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung, wenn zwar rechtliche Regelungen den Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, dieser dann aber faktisch „durch die Hintertür“ verhindert wird, bzw. billigend in Kauf genommen wird, dass er nicht oder nicht fachgerecht durchgeführt wird.

Die jetzige Situation ist demütigend und entwürdigend für Frauen, die sich ohnehin in einer seelischen wie körperlichen Ausnahmesituation befinden. Keine Frau bricht eine Schwangerschaft leichtfertig ab.

Aus diesem Grund ist es richtig und wichtig, dass endlich § 219a Strafgesetzbuch abgeschafft wird. Am Freitag vor einer Woche hat der Bundestag erstmals über den Gesetzesentwurf des Justizministers Buschmann beraten. An dieser Stelle ist es wichtig klar zu stellen, worum es dabei eigentlich geht. Aus den Reihen der Opposition wird bereits jetzt von einem „Dammbruch“ und einer „Spaltung der Gesellschaft“ gesprochen. Rhetorische Nebelkerzen, um von der eigentlichen Diskussion abzulenken. Die Abschaffung von 219a ermöglicht zukünftig nicht mehr und nicht weniger, als die sachliche öffentliche Aufklärung von Ärztinnen und Ärzten über Schwangerschaftsabbrüche, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen.

Buschmann: Paragraf 219a soll abgeschafft werden

Die Abschaffung des Paragrafen 219a ist ein wichtiger Schritt. Eine nachhaltige Stärkung der reproduktiven Rechte der Frau erreichen wir aber nur, wenn wir uns auch mit den Paragrafen 218 und 218a Strafgesetzbuch auseinandersetzen. Die von der Ampelkoalition geplante „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ gibt uns die Chance, dafür eine zeitgemäßen Rahmen zu finden. Ich erhoffe mir von einer Regelung der Voraussetzungen außerhalb des Strafgesetzbuches eine bessere Versorgungslage der betroffenen Frauen. Denn Ärztinnen und Ärzte stehen dann nicht mehr vor der Herausforderung, sich letztlich im Strafgesetzbuch und in rechtlichen Unsicherheiten zu bewegen. Sie arbeiten damit nicht mehr in der „Tabuzone“ der Gesellschaft.

Schwangerschaftsabbruch muss Teil vom Medizinstudium sein

Genauso wichtig wie eine Reform des geltenden Rechts ist die Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen. Die Ampelkoalition hat sich darauf geeinigt, dass Schwangerschaftsabbrüche zukünftig Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein sollen und dass sie auch kostenfrei möglich sein können. Die sogenannte „Gehsteig-Belästigung“, die in Ländern wie Frankreich bereits rechtswidrig ist, soll zudem verboten werden.

Wir brauchen eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Status Quo, einen Paradigmenwechsel zur Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung - keine ideologisch aufgeladene Debatte. Die Gewährleistung einer guten medizinischen Versorgung sollte es uns wert sein.