Eklatante Probleme: Brandenburger Schüler können nicht richtig schreiben

Die Schulschließungen während der Corona-Pandemie haben bei Brandenburgs Schülern Defizite verstärkt. Die Probleme zahlreich.

Lange Zeiten des Homeschoolings während der Pandemie haben aus Sicht von Lehrkräften zu einer Verschlechterung der Handschrift geführt. (Symbolbild)
Lange Zeiten des Homeschoolings während der Pandemie haben aus Sicht von Lehrkräften zu einer Verschlechterung der Handschrift geführt. (Symbolbild)dpa Mascha Brichta

Auf dem Tisch von Lehrerin Katharina Steger liegen mehrere Schreibhefte. Ihre Schülerinnen und Schüler der 2. Klasse der Friedrich-Ludwig-Jahn-Grundschule in Wittenberge (Prignitz) haben einen kleinen Text geschrieben. Und der Lehrerin fallen sogleich deutliche Unterschiede auf: Während ein Kind in ordentlicher Schreibschrift geschrieben hat, wechselt ein anderes zwischen Druck- und Schreibschrift hin und her. Mitten im Wort tauchen plötzlich Großbuchstaben auf, andere wiederum halten den Heftrand nicht ein, beginnen mitten auf der Seite.

Diese Probleme haben sich durch die Schulschließungen aufgrund der Corona-Pandemie deutlich verstärkt, berichtet Steger. Der Distanz- und Wechselunterricht habe auch bei der Handschrift die Schere zwischen den Schülerinnen und Schülern vergrößert. Denn Eltern mussten beim Lernen daheim den Lehrer ein Stück weit ersetzen – und das habe zu sehr unterschiedlichen Resultaten geführt, sagt die Grundschullehrerin.

Während in der Schule die Lehrkräfte korrigierend eingreifen können, hätten manche Eltern Probleme gehabt, ihren Kindern eine korrekte und leserliche Handschrift zu vermitteln. „Manchen fehlen einfach die Erfahrungen oder die Fähigkeiten“, meint Katharina Steger. „Manche falschen Dinge haben sich da eingeschliffen.“ So hüpfen manche Buchstaben in den Zeilen umher, stehen zu weit oben oder unten, manche Handschriften der Zweitklässler sind gar nicht lesbar. „Die Anleitung in der Schule hat in den letzten zwei Jahren gefehlt“, so das Fazit der Wittenberger Lehrerin.

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Defizite schon vor der Pandemie erkennbar

Diese Beobachtungen bestätigt auch Hartmut Stäker, Präsident des Brandenburgischen Pädagogen-Verbandes (BPV) in Potsdam. Viele Defizite seien schon vor der Corona-Zeit erkennbar gewesen, hätten sich durch die Schulschließungen während der Pandemie aber verstärkt, schätzt er ein.

So hätten Schülerinnen und Schüler in Brandenburg zunehmend motorische Defizite, meint der BPV-Präsident. Dies zeige sich insbesondere in einer abnehmenden Schreibgeschwindigkeit oder in Problemen bei Diktaten - selbst in höheren Jahrgangsstufen. „Etwa ein Drittel der Schüler kommt bei Diktaten nicht mehr hinterher“, sagt Stäker, der selber als Lehrer an einem Oberstufenzentrum (OSZ) in Lübben tätig ist. Auch er beobachtet, dass Schüler Probleme hätten, den Heftrand einzuhalten oder in der Mitte des Blattes zu schreiben beginnen. „Viele Schülerinnen und Schüler können nicht über die Mitte denken“, so der BPV-Präsident.

Zudem hat er ausgemacht, dass durch die Corona-bedingten Schließungen der Kitas die motorische Schulung ausgeblieben ist. So könnten viele Schüler beispielsweise bei der Einschulung keine Schleife binden. Auch sei durch die Kita-Schließungen dort weniger gebastelt oder gemalt worden – ebenfalls wichtige Übungen, um Motorik zu schulen.

Auch die allzu frühe Benutzung von Smartphones wirkt sich ihm zufolge negativ auf die motorischen Fähigkeiten aus. „Kinder müssen ja lernen, einen Stift zu halten und die richtigen Bewegungen zu machen.“

Schlechte Schreibfähigkeiten auch bundesweit ein Problem

Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Brandenburg, nennt weitere Probleme als Ursachen für die nachlassenden Schreibfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler: Fehlende Möglichkeiten der individuellen Förderung, unterschiedliche und unausgereifte pädagogische Ansätze beim Erlernen der Druck- und Schreibschrift und eine Nachrangigkeit in der Vermittlung basaler, also grundlegender Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Brandenburger Grundschulen. Der GEW-Vorsitzende kritisiert ebenfalls die aus seiner Sicht teilweise fehlenden oder zu gering ausgeprägten Unterstützungssysteme im therapeutischen Bereich.

Zunehmende Schreibschwierigkeiten bei Schülern sind indes ein bundesweites Problem, wie der Verband Bildung und Erziehung (VBE)in Berlin sowie das Schreibmotorik Institut in Heroldsberg (Bayern) in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom Mai dieses Jahres betonen. So habe die „STEP“-Studie 2022 (Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben) ergeben, dass mehr als 70 Prozent der befragten Lehrkräfte bei ihren Schülern nach der Corona-Zeit deutlich größere Probleme bei Schreibstruktur, Leserlichkeit sowie dem Schreibtempo ausmachten.

Fast ein Drittel der Lehrer im Primarbereich und gut die Hälfte der Lehrkräfte im Sekundarbereich seien mit den Leistungen ihrer Schüler beim Handschreiben unzufrieden, heißt es in der Studie. „Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann. „Kinder und Jugendliche, die schon vorher Schreibschwierigkeiten hatten, wurden in der Pandemie weiter abgehängt.“

Besonders Jungs schreiben schlecht

Bei Jungen seien die Fertigkeiten zum Handschreiben besonders stark zurückgegangen, ergänzt Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts. Bei ihnen machten drei Viertel der Lehrer einen leichten oder starken Leistungseinbruch aus. Meyer fordert daher, mindestens eine Stunde pro Woche das Handschreiben zu trainieren. Auch BPV-Präsident Hartmut Stäker mahnt: „Schreiben ist die schnellste Möglichkeit, sich irgendwie Notizen zu machen.“

An der Jahn-Grundschule in Wittenberge hätten die Lehrerinnen und Lehrer nach dem Ende des Distanzunterrichts einen besonderen Fokus auf die Handschrift gelegt, sagt Grundschullehrerin Steger. Um die Defizite soweit wie möglich wieder aufzuholen, nutzt die Schule unter anderem das Programm „Aufholen nach Corona“. Doch einfach sei das nicht, so Steger: „Die Angewohnheiten haben sich verfestigt, das Kind ist im Brunnen.“