Erdbeben-Opfer kritisieren Regierung: Twitter in der Türkei plötzlich gesperrt

Viele Menschen beklagten sich über das Katastrophenmanagement. Nach der Kritik war Twitter größtenteils nicht mehr erreichbar. Nun regt sich Protest. 

Menschen in der Türkei hatten plötzlich keinen Zugriff mehr auf Twitter. 
Menschen in der Türkei hatten plötzlich keinen Zugriff mehr auf Twitter. dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Türkische Politiker und Prominente haben nach der Erdbeben-Katastrophe gegen die mutmaßliche Twitter-Sperre protestiert. Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, äußerte am Mittwoch scharfe Kritik: „Diese wahnsinnige Palastregierung hat die Kommunikation der sozialen Medien unterbrochen“, schrieb der Oppositionsführer auf Twitter. „Das Ergebnis ist, dass Hilferufe weniger gehört werden. Wir wissen, was sie alles zu verbergen versuchen. Wir warten auf eure Erklärung.“

Auch der türkische Schauspieler und Comedian Cem Yilmaz forderte im Netz Aufklärung. „Gibt es eine Erklärung dafür, dass Twitter beschränkt wurde, wo es doch nützlich sein kann, Leben zu retten?“ Immer wieder hatten in den vergangenen Tagen verschüttete Menschen über die sozialen Medien Hilferufe abgesetzt.

Türkische Erdbeben-Opfer im Stich gelassen: Erdogan räumt Fehler ein

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor Defizite im Krisenmanagement seiner Regierung nach dem verheerenden Erdbeben vom Montag eingeräumt. Bei einem Besuch von zwei besonders von der Katastrophe betroffenen Regionen sagte Erdogan am Mittwoch: „Natürlich gibt es Defizite. Die Zustände sieht man ja ganz klar.“ Es sei nicht möglich, „auf so ein Erdbeben vorbereitet zu sein“, fügte er allerdings hinzu.

Erdogan nahm bei seinem Besuch in der südlichen Provinz Hatay Polizisten und Soldaten vor der nach dem Erdbeben aufgekommenen Kritik in Schutz. Diese seien „ehrenhaft“. Wer behaupte, es seien keine Soldaten und Polizisten vor Ort, sei „ehrenlos und unehrlich“. Seine Regierung werde es nicht zulassen, dass derart über die Einsatzkräfte gesprochen werde. In der Provinz Hatay seien mehr als 21.000 Helfer im Einsatz, darunter Soldaten und Polizisten.

Recep Tayyip Erdogan umarmt eine Frau, als er ein Hilfslager für die Opfer der Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze besucht.
Recep Tayyip Erdogan umarmt eine Frau, als er ein Hilfslager für die Opfer der Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze besucht.dpa/Turkish Presidency

Viele Opfer fühlten sich bei Bergungsarbeiten im Stich gelassen

Zuvor hatte es heftige Kritik aus der Bevölkerung gegeben, dass sie bei den Bergungsarbeiten von den Behörden im Stich gelassen würden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP sahen Menschen, die mit bloßen Händen in den Trümmern nach Verwandten suchten, und sprachen mit wütenden Anwohnern, die vergeblich auf versprochene Zelte, Lebensmittel und Ausrüstung gewartet hatten.

Auch im Internet beklagten sich zahlreiche Menschen in den betroffenen Regionen bitter über das Katastrophenmanagement der türkischen Regierung. Doch zum Zeitpunkt von Erdogans Besuchs in den Erdbebenregionen war der Kurzbotschaftendienst Twitter größtenteils nicht mehr erreichbar. Nutzer in der Türkei und die Netzwerkverkehr-Beobachtungsstelle netblocks.org berichteten, dass der Zugang zu Twitter bei mehreren Internetanbietern eingeschränkt sei.

Twitter lief mit Hilfe eines VPN-Dienstes problemlos

An Twitter selber schienen die Störungen nicht zu liegen: Mit Hilfe eines VPN-Dienstes, der ein privates Netzwerk simuliert und damit den eigenen Standort verschleiern kann, gelang es AFP-Reportern weiterhin problemlos, Twitter zu benutzen.

Die türkischen Behörden äußerten sich zunächst nicht zu dem Twitter-Ausfall. Sie hatten jedoch zuvor vor der Verbreitung von falschen Informationen gewarnt und mehr als ein Dutzend Menschen festgenommen, die sich im Internet über das Krisenmanagement der Regierung beschwert hatten.

Erdogan will am 14. Mai wiedergewählt werden und seine mittlerweile zwei Jahrzehnte andauernde Präsidentschaft verlängern.

Das Erdbeben hatte sich am Montag in den frühen Morgenstunden im türkisch-syrischen Grenzgebiet ereignet. Rettungskräfte suchen noch immer nach Überlebenden, Experten rechnen jedoch bei den eisigen Temperaturen mit weiter steigenden Opferzahlen. Am Mittwoch stieg die Gesamtzahl der in beiden Ländern gezählten Todesopfer auf mehr als 11.700.