Deutsche EU-Politikerin reist nach Taiwan und irritiert Peking

Die Vizepräsidentin der EU, Nicola Beer, sorgt mit einer Reise nach Taiwan für Aufsehen. Sie warnt China vor einer Invasion.

Nicola Beer mit den Fahnen der EU und von Taiwan
Nicola Beer mit den Fahnen der EU und von TaiwanEuropäisches Parlament

Die Politik der Europäischen Union (EU) gegenüber China wandelt sich. Wie schon zuvor die USA geht die EU langsam auf Distanz zur Regierung der Volksrepublik in Peking. Sichtbarster Ausdruck der neuen Ausrichtung ist eine ostentative Hinwendung zu Taiwan. Die US-Regierung hatte in den vergangenen Wochen mehrfach hochrangige Delegationen nach Taipei geschickt, unter anderem mit qualifizierter Beteiligung von Sicherheitsexperten und Militärs. Dieser Tage hat die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, angekündigt, im August nach Taiwan reisen zu wollen – ein massiver Affront gegen Peking. Noch im April hatte der chinesische Außenminister Wang Yi gesagt, ein Besuch von Pelosi auf Taiwan wäre eine „bösartige Provokation“.

Hintergrund der verstärkten Aktivitäten ist die von Washington geäußerte Befürchtung, die Volksrepublik könne eine Invasion auf Taiwan durchführen. In diesem Fall droht die US-Regierung Peking mit massiven Konsequenzen. Erst vergangene Woche besuchte laut Radio Taiwan International der frühere US-Verteidigungsminister Mark Esper das Land. Er stand an der Spitze einer dreiköpfigen Delegation der US-Denkfabrik Atlantic Coucil. Esper wurde begleitet vom Vizepräsidenten des Atlantic Coucil, Barry Pavel, und Stefano Stefanini, dem früheren ständigen Vertreter Italiens in der Nato und früheren diplomatischen Berater des Präsidenten Italiens. Die Teilnahme Stefaninis zeigt, dass die USA und die EU koordiniert vorgehen wollen.

Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Besondere Aufmerksamkeit wird daher dem Besuch der Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer, gewidmet. Beer, Anwältin und Mitglied der FDP Deutschlands, soll während ihres dreitägigen Besuchs mit Präsidentin Tsai Ing-wen und anderen hochrangigen Beamten zusammentreffen. Nach Angaben aus Beers Umfeld handelt es sich um den bisher ranghöchsten offiziellen EU-Besuch in Taiwan, berichtet die AFP.

Das taiwanesische Außenministerium gibt laut South China Morning Post (SCMP) an, dass die Ankunft von Beer „den ersten offiziellen Besuch“ einer Europaabgeordneten ihres Ranges darstelle. Beer rief am Dienstag zum Auftakt eines Besuchs in Taiwan dazu auf, den Inselstaat gegen die Volkrepublik China zu unterstützen. Beer sagte laut SCMP: „Taiwans Blüte ist auch Europas Blüte. Wir werden Chinas Drohungen gegen Taiwan nicht ignorieren.

Beer stellte einen direkten Bezug ihres Besuchs zur russischen Invasion in der Ukraine her. Sie sagte laut AFP: „Es gibt keinen Raum für chinesische Aggression im demokratischen Taiwan. Derzeit werden wir Zeugen eines Krieges in Europa. Wir wollen nicht Zeugen eines Krieges in Asien werden.“ Die SCMP erläutert den Hintergrund: „Taiwans 23 Millionen Einwohner leben unter der ständigen Bedrohung einer Invasion durch Festlandchina, das die selbstverwaltete Insel beansprucht und geschworen hat, sie eines Tages zu erobern. Russlands Angriff auf die Ukraine hat sowohl in Taiwan als auch bei wichtigen westlichen Verbündeten die Befürchtungen verstärkt, dass Peking unter Präsident Xi Jinping dasselbe tun könnte.“

Laut einer Mitteilung auf Beers Website sagte die FDP-Politikerin wörtlich: „Taiwan verdient Europas volle Aufmerksamkeit: Es darf kein geopolitisch blinder Fleck werden, im Gegenteil, Europa muss alle Scheinwerfer auf diese junge Demokratie richten. Die EU reicht Taiwan die Hand der vertieften Partnerschaft und sendet damit ein klares Signal an Peking: Chinas Drohgebärden entgehen Europa nicht, sie sind inakzeptabel. Europa war zu langsam bei Hongkong, wurde überrascht von Russland – diese politische Naivität darf uns nicht wieder passieren. China zündelt mit dem Frieden in der Region – es ist jetzt der Moment, Feuer zu vermeiden: Jegliche einseitige Änderung des Status Quo wäre fataler Auslöser eines regionalen Brandes, der sich weltweit Bahn brechen kann. Die Ukraine lehrt uns schmerzhaft, die Kosten der Unentschlossenheit sind immens hoch. Bleiben wir wachsam und geschlossen – an der Seite Taiwans, China fest im Blick, um Frieden zu erhalten. Für Taiwan, für Europa, für die internationale Ordnung.“

Peking empfindet Besuche westlicher Politiker in Taiwan als unangemessen. Im vergangenen Jahr verurteilte die Volksrepublik einen Besuch einer Delegation des Europäischen Parlaments in Taiwan unter der Leitung des französischen Europaabgeordneten Raphael Glucksmann, eines bekannten China-Kritikers. Peking hat gegen ihn Sanktionen verhängt.

China möchte ein partnerschaftliches Verhältnis zur EU aufrechterhalten, gerade wegen der Spannungen mit den USA. Daher hat Staatspräsident Xi Jinping führende europäische Staats- und Regierungschefs nach Peking eingeladen, wie Bloomberg unter Berufung auf die SCMP berichtet. Bisher halten sich die Hauptstädte Europas allerdings bedeckt, es gäbe noch keine Antworten auf die Initiative Xis. Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sollten den chinesischen Staatspräsidenten im November in Peking treffen.

Die Beziehungen der EU mit China sind delikat, weil es um politische und wirtschaftliche Interessen geht: Am Dienstag haben die Europäische Union und China laut einer Erklärung der EU-Kommission einen hochrangigen Dialog über Wirtschaft und Handel aufgenommen. Vor den Gesprächen hatte Außenminister Wang Yi laut der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua mit Emmanuel Bonne, dem diplomatischen Berater von Macron, gesprochen.