Gauck: „Scholz handelt vielleicht langsam, aber er handelt“
Der ehemalige Bundespräsident lobt den Kanzler. Er wertet den Kurs von Olaf Scholz im Ukraine-Krieg nicht als Symbolpolitik.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck sieht die Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine angekündigt hatte, in wesentlichen Punkten eingeleitet. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) sagte Gauck: „Bundeskanzler Scholz handelt vielleicht langsam, aber er handelt.“ Bei den internationalen Gipfeln dieser Woche habe man gesehen, „dass es ein gemeinsames, abgestimmtes Handeln gibt“. „Offenbar wird auch in den Milieus, die einer stärkeren Führungsrolle Deutschlands kritisch gegenüberstehen, erkannt, dass Wegducken keine Option ist, wenn man es mit der Zeitenwende ernst meint“, so das frühere Staatsoberhaupt.
Wenn Deutschland etwa in Litauen die Nato-Kräfte unter deutscher Führung verstärke, „dann ist es nicht nur ein Symbol, sondern sehr konkret die Stärkung der Verteidigungsbereitschaft“, sagte Gauck. „Auch die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ist ein deutliches Signal dafür, dass der Wandel ernst gemeint ist und wir nicht wieder zurückfallen in eine Phase des Wunschdenkens.“
Gleichzeitig habe er Verständnis dafür, dass die Ukraine glaube, Deutschland könne mehr tun. Gauck hält es „für angemessen, wenn sich Deutschland zu seiner Führungsrolle in Europa bekennt, denn diesem Deutschland geht es nicht um Dominanz, sondern um Kooperation und Partnerschaft“.
Gauck sieht „Defizit an strategischem Wissen“
Der Ex-Bundespräsident sieht allerdings nach wie vor „ein Defizit an strategischem Wissen und strategischer Entschlossenheit“. „Wir haben über viele Jahre Bedrohungsszenarien nicht angemessen mitgedacht und vorbereitet. Wir haben insgesamt zu wenig über unsere strategischen Ziele nachgedacht und waren zum Teil zu sorglos.“
Wenn die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit von Mächten wie China und Russland nicht anerkannt werde, sodass Vertrauen wachsen könne, dann sei Misstrauen angezeigt und nicht „die Anerkennung einer anderen Normalität“. „Es ist keine Normalität, es ist die Missachtung von Rechtsgütern. Aus diesem Grund ist Misstrauen geboten gegenüber den Mächten, die die universellen Rechte und eine regelbasierte Ordnung nicht akzeptieren“, sagte Gauck.
