Untersuchung: Wohl mehrere Ursachen für die Oder-Katastrophe

Das Rätselraten um das Fischsterben in der Oder geht weiter. Eine Ursache konnte ausgeschlossen werden, aber viele Fragen sind noch offen.

Verendete Fische liegen am Ufer des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder.
Verendete Fische liegen am Ufer des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder.imago/DominikaxZarzycka

Was hat die Fische in der Oder getötet? Hat das Massensterben eine einzige Ursache oder haben mehrere Faktoren dazu beigetragen? Am Dienstag erhofften sich Verantwortliche und Bürger Antworten auf diese Fragen. Bislang ist nur klar: Quecksilber ist laut polnischen Behörden nicht der Grund – das Rätselraten geht weiter.

Nach einer Schätzung des Umweltverbandes BUND sind in den vergangenen Tagen bis zu 100 Tonnen Fisch in der Oder verendet. 500 Kilometer Flusslauf seien betroffen.

Die Masse an toten Fischen ist so gewaltig, dass sie von der Wasseroberfläche des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder mit einem Bagger beseitigt werden.
Die Masse an toten Fischen ist so gewaltig, dass sie von der Wasseroberfläche des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder mit einem Bagger beseitigt werden.dpa/PAP/ Marcin Bielecki
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Umweltministerium: Keine auffälligen Metall-Werte in Oder

Das Brandenburger Landesumweltamt hatte am Montag erste Laborergebnisse ausgewertet. Diese hätten keine besonders hohen Werte für Metalle wie Quecksilber gezeigt, teilte der Sprecher des Umweltministeriums, Sebastian Arnold, am Dienstag auf Anfrage mit. Eine einzelne Ursache für die Umweltkatastrophe lasse sich nicht erkennen.

„Die noch nicht vollständigen und noch nicht umfassenden und abgeschlossenen Untersuchungen zu Nährstoffen lassen bisher keine Hinweise auf eine singuläre Ursache für das Fischsterben in der Oder zu“, erklärte Arnold. „Weiterhin werden hohe Salzfrachten und ein hoher Sauerstoffgehalt festgestellt.“ Das Landeslabor untersuche weitere Wasserproben von verschiedenen Tagen und Messpunkten sowie Fische. Die Daten würden fortlaufend übermittelt und bewertet.

Wasserproben auf Brandenburger Seite würden an der automatischen Messstation Frankfurt (Oder) regelmäßig entnommen, erläuterte Arnold. Die Proben werden in einem regelmäßigen Abstand 1,5 Meter unter der Wasseroberfläche genommen und normalerweise auf Werte wie Wassertemperatur, pH-Wert oder Sauerstoffgehalt untersucht. Nun würden die Proben im Landeslabor auf zahlreiche weitere Werte und Giftstoffe untersucht, erläutere Arnold.

Auf der Webseite des Landesumweltamts werden stets die Ergebnisse der vergangenen 31 Tage angezeigt: Dort lässt sich ablesen, dass sich die Werte im Fluss vom 7. August an dramatisch veränderten. So schnellten der Sauerstoffgehalt, der pH-Wert, die Trübung und andere Werte schlagartig nach oben, während die Menge von Nitrat-Stickstoff deutlich abfiel.

Gesundheitsministerium rät von Wasserkontakt ab

Das Ausmaß des betroffenen Gebiets sorgt auch für Beunruhigung in Mecklenburg-Vorpommern. Bis zum Montagnachmittag waren nach offiziellen Angaben zwar keine Auswirkungen im Nordosten bekannt. „Das ist die gute Nachricht“, sagte der Landrat von Vorpommern-Greifswald Michael Sack (CDU) der Deutschen Presse-Agentur.

Aber: Die Menschen an den Ausläufern des Stettiner Haffs sind zur Vorsicht aufgerufen. Das Schweriner Gesundheitsministerium rät für mehrere Badestellen vom Schwimmen ab. Der Landkreis sowie das Landesumweltministerium hatten schon zuvor empfohlen, auf Angeln und Fischen oder die Entnahme von Wasser zu verzichten.

Ölsperren sollen verhindern, dass sich Fischkadaver im Haff ausbreiten. Die Oder mündet in das Haff, das mit rund 900 Quadratkilometern etwa doppelt so groß ist wie der Bodensee. Es gehört zu zwei Dritteln zu Polen. Von dort verlaufen Wasserverbindungen zur Ostsee.

Brandenburgs Ministerpräsident: Hinweise aus Polen nur „kleckerweise“

Polnische Behörden hatten nach Regierungsangaben schon Ende Juli erste Hinweise, dass in dem Fluss massenweise verendete Fische treiben. Sowohl die Bundesregierung als auch das Land Brandenburg bekräftigten ihren Unmut über fehlende Informationen aus Polen. Angaben seien nur „kleckerweise“ oder „überhaupt nicht“ gekommen, kritisierte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke bei einem Besuch in Lebus an der Oder, wo er sich ein Bild der Lage machen wollte. Der SPD-Politiker bekräftigte: „Wir wissen bis jetzt nicht, was genau diese Vergiftungserscheinungen bei den Fischen verursacht hat.“

Der Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Paul Ziemiak, forderte eine „lückenlose Aufklärung“. Statt um Schuldzuweisungen gehe es nun aber darum, gemeinsam „dieses gefährliche Umweltproblem“ zu lösen, sagte der CDU-Politiker der Funke-Mediengruppe.

Die polnische Seite sei dabei, in ihrem Zentrallabor nach 300 Stoffen zu fahnden, berichtete Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) vor Ort. Für das Fischsterben gibt es nach seiner Einschätzung wohl auch mehr als nur eine Ursache. Die Dürre und die geringe Wasserführung hätten ziemlich sicher einen Anteil daran. Das gesamte Ökosystem der Oder sei geschädigt.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte am Freitag erklärt, das Fischsterben sei offenbar durch Einleitung einer „riesigen Menge“ von Chemieabfällen ausgelöst worden. Die polnische Regierung setzte eine Belohnung von mehr als 200.000 Euro für die Aufklärung aus.

Auf dem Ziegenwerder unterstützt eine Gruppe von Helfern des THW die Aufräumarbeiten. Bis zum Nachmittag haben sie mehrere Tonnen toter Fische geborgen. Darunter vornehmlich Hechte, Zander, Bleie, Döbel, Barsche und  Karpfen.
Auf dem Ziegenwerder unterstützt eine Gruppe von Helfern des THW die Aufräumarbeiten. Bis zum Nachmittag haben sie mehrere Tonnen toter Fische geborgen. Darunter vornehmlich Hechte, Zander, Bleie, Döbel, Barsche und Karpfen.Imago

Kritik an deutschen und polnischen Behörden reißt nicht ab

Die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza kommentierte am Dienstag das Fischsterben in der Oder: „Umweltkatastrophen ereignen sich in jedem Land, und sie sind jedes Mal eine harte Prüfung für das Funktionieren der Regierung. Polen ist zuletzt mehrfach von Krisen heimgesucht worden, und jedes Mal zeigte sich, dass der Standard der Regierungsführung durch die (nationalkonservative) PiS von den Standards in Europa abweicht. Die Krise um die verseuchte Oder ist ein klassisches, lehrbuchhaftes Beispiel für die ‚Machtkrise der PiS‘. Deren Kern besteht darin, dass inkompetente, wegen ihrer Parteizugehehörigkeit ernannte Beamte versuchen, das Problem zu verstecken oder zu verleugnen, anstatt sich um eine Lösung zu kümmern.“

Regierungschef Mateusz Morawiecki hat, wie er selbst einräumte, zu spät von der Katastrophe erfahren. Er sprach von Nachlässigkeit und entließ zwei Spitzenbeamte. „Nur ist die Oder-Katastrophe kein Unfall, sondern ein Ergebnis. So wird ein Land regiert, wo Kompetenz durch Linientreue ersetzt wurde. Damit der Staat effizient funktioniert, müsste man sie alle entlassen.“

Fischerei-Verband: „Keine konkreten Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz“

Der Deutsche Angelfischer- und der Deutsche Fischerei-Verband haben die deutschen Behörden im Zusammenhang mit dem massenhaften Fischsterben in der Oder kritisiert. „Von außen wirkte die Aktivität der deutschen Behörden nicht wie ein souveränes Krisenmanagement“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung vom Montag. Offensichtlich verfüge das zuständige Umweltministerium nicht über konkrete Ablaufpläne oder hinreichend kompetentes Personal, um mit solchen Situationen umzugehen.

Man hätte sich eine schnellere, flexiblere und großflächigere Probenentnahme gewünscht, sagte Claus Ubl vom Deutschen Fischerei-Verband der Deutschen Presse-Agentur. Damit hätte man eine bessere Vorstellung von der durchlaufenden Welle bekommen. Bis heute sei nicht klar, woran die Fische gestorben seien. In der Mitteilung heißt es, es habe keine konkreten Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz, sondern nur die Veröffentlichung von Empfehlungen gegeben. „Auf polnischer Seite war deutlich mehr Aktivität der staatlichen Stellen erkennbar.“ Die Entsorgung der Fischkadaver erschien demnach gut koordiniert. Freiwillige Helfer, etwa aus der Anglerschaft, seien gut angeleitet und koordiniert worden.

Die Oder sei trotz allem keinesfalls fischfrei geworden. Es gebe Sichtungen von Fischbrut und überlebenden Tieren. Wiederangesiedelte Störe seien gerettet worden. Die Verbände forderten unter anderem die Ermittlung der Verursacher, Bemühung um Schadenersatz von polnischer Seite, Hilfe für geschädigte Fischereibetriebe und andere Gewässernutzer, den Wiederaufbau der Fischbestände sowie Maßnahmenplänen auf deutscher Seite für entsprechende Ereignisse.