Mediziner: „Keine bekannten Fälle von Genesenen auf Intensivstationen“

Virologen und Mediziner zeigen Unverständnis für Verkürzung des Genesenen-Status. Der Schutz vor einer Infektion sei vergleichbar mit Schutz nach Impfung.

Hendrick Streeck.
Hendrick Streeck.dpa/ Fabian Sommer

Die Verkürzung des Genesenen-Status sorgt für immer größere Kritik. Mehrere Mediziner, Ärzte und Virologen äußern ihr Unverständnis für die Entscheidung von Karl Lauterbach und dem Robert Koch-Institut (RKI). In einer neuen Stellungnahme von Experten um den Infektiologen und Arzt Matthias Schrappe heißt es dazu: „In Italien, Frankreich und Österreich gilt der Genesenenstatus sechs Monate, in der Schweiz bislang sogar zwölf Monate, wenn durch einen Antikörpertest nach 3 Monaten eine ausreichende Immunität nachgewiesen wird.“ Dass der Genesenen-Status in Deutschland auf drei Monate verkürzt wurde, sei „wissenschaftlich schwer nachzuvollziehen, daran ändern auch die vom RKI angeführten Studien nichts, die diesen Schritt belegen sollen“.

Das Gesundheitsministerium hatte mitgeteilt: „Die Dauer des Genesenenstatus wurde von sechs Monaten auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikron-Variante haben.“ Dem Nachrichtenportal Focus Online sagte Medizin-Statistiker Gerd Antes dazu: „Die vom RKI zitierten Arbeiten sind nicht dazu geeignet, eine Reduzierung des Genesenen-Status auf drei Monate zu rechtfertigen.“

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Sogar innerhalb des Expertenrats der Bundesregierung wird der Schritt des RKI kritisiert. Expertenrat-Mitglied Hendrik Streeck sagt zu Focus Online, er sehe bei der Verkürzung der Genesenen-Dauer „Diskussionsbedarf“. Die Datenlage sei unübersichtlich „mit den verschiedenen Virusvarianten und den möglichen Kombinationen von Genesenen und Geimpften, also Genesen von einer Alpha Variante und reinfiziert mit Omikron“. Dennoch würden alle Daten zeigen, dass der Schutz für Genesene vor einem schweren Krankheitsverlauf nach einer Corona-Infektion „sehr gut“ sei. Der Schutz vor einer Covid-Infektion sei sogar „vergleichbar mit dem Schutz nach der Impfung“.

Mediziner: Zwischen positivem Testergebnis und schwerer Erkrankung unterscheiden

Weder RKI noch Bundesgesundheitsministerium konnten dem Bericht zufolge eine Anfrage beantworten, wie viele Genesene nach einer erneuten Infektion im Krankenhaus oder auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Thomas Voshaar, Chef der Lungenklinik am Bethanien-Krankenhaus Moers fragte auf eigene Faust 17 Krankenhäuser in Deutschland dazu: In Berlin, im Raum Stuttgart, Solingen, Kleve, Köln, Kassel, Nürnberg, Berlin, Dortmund, Hamburg, Hannover und in Moers. 13 Kliniken gaben dem Mediziner Auskunft. Das Ergebnis laut dem Voshaar: „Abgesehen von einigen Fällen auf einer Normalstation und einem unklaren Status gab es in den Kliniken keine Schwerkranken beziehungsweise auf den Intensivstationen keine Fälle von wegen einer Covid-19-Erkrankung behandelten Patienten, die bereits vorher einmal genesen waren.“ 

Für Voshaar sind die Ergebnisse seiner Anfragen ein klarer Hinweise, dass eine durchlebte Infektion einen gute Schutz gegen Covid-19 bietet. Die umgesetzte Verkürzung des Genesenen-Status sei damit medizinisch schwer begründbar sei. Es sei fatal, sagt der Mediziner dem Focus, dass „wir immer noch nicht über ausreichend Daten verfügen, um solche weitreichenden Entscheidungen auf einer soliden Bass treffen zu können“. Man müsse „sehr klar unterscheiden“, ob man von einer Reinfektion oder nur einem positiven Testergebnis spreche. Oder ob eine erneute Infektion eines Genesenen mit Corona zu einer schweren Erkrankung führt.