Gregor Gysi: „Ich wurde behandelt wie der letzte Scheißdreck“
De 72-jährige sieht die Linke bereit für eine Beteiligung an einer möglichen rot-rot-grünen Bundesregierung. Minister will er allerdings nicht mehr werden.

Berlin-Er ist jetzt 72. Die Karriereplanung ist abgeschlossen, aber eins will Gregor Gysi gerne noch sehen und vorantreiben: seine Partei in einer Bundesregierung. „Ich bin dafür, dass sie in die Regierung geht, wenn es die Möglichkeit dazu gibt. Aber sie wird Lehrgeld bezahlen“, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Zwar kommen SPD, Grüne und Linke in den Umfragen momentan nicht auf eine Mehrheit. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl vergeht noch ein gutes Jahr, und die Ausgangslage ist diesmal anders. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will nicht mehr antreten. Wer CDU und CSU in den Wahlkampf führen wird, ist noch offen. Die Karten werden neu gemischt. Die Linken-Spitze setzt sich schon lange für ein Bündnis mit SPD und Grünen ein. Die SPD-Spitze kann sich das inzwischen auch vorstellen. Die Grünen halten sich noch alles offen.
Jahrelang galt die Linke für die anderen Parteien als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED – als Schmuddelkind, mit dem man nicht spielt. Inzwischen regiert sie in mehreren Bundesländern mit, sogar im Westen, in Bremen. „Wäre das vor 20 Jahren passiert, hätte Bayern vor Schreck Deutschland verlassen“, lacht Gysi. Inzwischen werde die Linke von der Mehrheit zwar nicht gewählt, aber akzeptiert. Er selbst sei nach der Wiedervereinigung, als er für die PDS im Bonner Bundestag saß, behandelt worden „wie der letzte Scheißdreck“. Wenn seine Partei im Herbst 2021 an Sondierungs- oder gar Koalitionsgesprächen teilnehmen könnte, wäre das eine „ganz schöne Entwicklung“.
Gysi als Makler?
Welche Rolle könnte er selbst dabei spielen? Gysi hat die Linke und ihre Vorgängerin, die PDS, in den 30 Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung geprägt wie kein anderer: Parteichef, Fraktionschef, Fernsehgesicht, großer Redner. Nach fünfjähriger Pause ohne Funktion ist er nun seit Mai außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Was wie ein Randposten klingt, könnte zur Schaltstelle werden. In der Außenpolitik liegen einige der größten Knackpunkte. Die Linke muss sich immer wieder den Vorwurf anhören, auf internationalem Gebiet nicht regierungsfähig zu sein. Auslandseinsätze der Bundeswehr lehnt sie strikt ab, plädiert für die Auflösung der Nato, ein Verbot von Rüstungsexporten und die Abschaffung der Geheimdienste.
Hier könnte Gysi zum Makler werden. Fraktionschef Dietmar Bartsch spricht ihm „umfangreiche außenpolitische Erfahrungen“ zu. Er selbst sagt in Richtung der eigenen Partei: „Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig.“ Wenn beispielsweise ein komplettes Rüstungsexportverbot mit SPD und Grünen nicht gehe, wäre es schon „ungeheuer wichtig“, wenn man erreiche, dass in Diktaturen und kriegführende Staaten keine Waffen mehr exportiert würden. Das mit der Nato sei „eine Vision, bei der wir auch bleiben“ – für Koalitionsverhandlungen aber „nicht so wahnsinnig dramatisch“.
„Wenig Spielraum für linke Kompromisse“
Dass es schwierig würde, wenn es denn zum rot-rot-grünen Versuch käme, ist aber klar. Gysis Fraktionskollege Alexander Neu, Fachgebiet Verteidigungspolitik, sagt: „In der Außen- und Sicherheitspolitik sehe ich wenig Spielraum für linke Kompromisse, da diese das linke Selbstverständnis berühren.“ Entscheidende Frage sei, ob man als eigenständiger Akteur oder als mehrheitsbeschaffendes Anhängsel in eine Regierung gehe. „Letzteres wäre der Fall, wenn die Linke zentrale Überzeugungen über Bord würfe.“
Das müsste sie nach Gysis Vorstellung aber nicht. Kompromisse ohne Selbstaufgabe – bei ihm klingt das fast poetisch: „Alle vereinbarten Schritte müssen in die richtige Richtung gehen. Aber die Schritte können kürzer sein, als wir es uns vorgestellt haben. Das heißt, nicht in der Richtung des Schrittes besteht die Möglichkeit zum Kompromiss, sondern in der Länge des Schrittes.“
„Nee, Gysi, das hat keinen Sinn“
Eins stellt Gysi noch klar: Falls seine Partei es in die Regierung schaffen sollte, will er nicht in der ersten Reihe sein. Minister oder so? Da winkt er ab. Angesprochen auf seinen Promi-Status, erzählt er eine Anekdote aus jungen Jahren. Da habe es mal eine Frau gegeben, die etwas von ihm wollte. Er habe dann gelogen, dass er am kommenden Wochenende nicht da sei, dies am nächsten Tag aber wieder vergessen.
„Dann habe ich mich versprochen, und dann kam alles raus, und da hab ich mir gesagt: Nee, Gysi, das hat keinen Sinn. Wenn du lügen willst, müsstest du dir wenigstens deine Lügen merken können.“ Das sei ihm eine Lehre gewesen. Er äußere seine Ansichten ehrlicher und freier. „Das merken die Leute. Das könnte vielleicht der Partei nutzen.“