Häusliche Gewalt: Opferzahlen im Corona-Jahr deutlich gestiegen

Frauen sind besonders betroffen. Sexueller Missbrauch an Kindern bleibt laut dem früheren BKA-Chef Jörg Ziercke oft unentdeckt.

Opfer von häuslicher Gewalt sollten sich an die Polizei, den Weißen Ring oder andere Hilfseinrichtungen wenden.
Opfer von häuslicher Gewalt sollten sich an die Polizei, den Weißen Ring oder andere Hilfseinrichtungen wenden.imago images/Panthermedia

Berlin-Beim Weißen Ring haben sich in den ersten zehn Monaten des Corona-Jahrs 2020 gut zehn Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt, Sexualdelikten und Körperverletzung gemeldet als im Vorjahreszeitraum. „Die Zahlen waren nach dem ersten Lockdown im Frühjahr sehr verhalten und sind dann aber im Juni wieder deutlich angestiegen“, sagte der Bundesvorsitzende des Weißen Rings und frühere Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, der dpa in Mainz. „Wir müssen leider mit dem Schlimmsten rechnen.“ Dies bestätigten die Zahlen aus der zweiten Jahreshälfte bis Oktober; neuere gibt es noch nicht.

„Unsere Erfahrung ist, dass sich häusliche Gewalttaten nicht sehr schnell in Zahlen niederschlagen. Das kommt erst nach und nach“, sagte Ziercke. „Wir wissen aus Studien, dass Frauen bis zu sieben Anläufe brauchen, um sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu befreien.“ Dazu komme in Zeiten des Lockdowns die Gefahr des unentdeckten Missbrauchs von Kindern oder auch Gewalt gegen sie.

Lockdown führt zu zunehmender Gereiztheit

Wenn Kitas, Schulen und Sportvereine schließen müssten, gebe es auch weniger Möglichkeiten hinzuschauen, wenn Jungen oder Mädchen Verhaltensauffälligkeiten zeigten. „Der Lockdown führt dazu, dass wir in einer Phase zunehmender Gereiztheit miteinander leben“, stellte Ziercke fest. Dazu kämen bei vielen Menschen noch beengte Wohnverhältnisse, die Betreuung von Kindern oder der Verlust der Arbeit, wirtschaftlicher und damit auch psychischer Druck.

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Ziercke appellierte an Opfer von häuslicher Gewalt, sich an den Weißen Ring oder andere Hilfseinrichtungen zu wenden. Er forderte aber auch die Bürger generell auf, mit offenen Augen auf das jeweilige Umfeld zu achten. „Menschen, die Hilfe benötigen und sie sich selber nicht holen können, müssen wahrgenommen und ihnen muss von außen geholfen werden.“