Instagram-Serie „@ichbinsophiescholl“: Wie weit darf Fiktion gehen?

Sophie Scholl postet Fotos und Videos bei Instagram aus ihrem Leben. Nun steht „@ichbinsophiescholl“ vor dem Abschluss – und neben viel Lob gibt es auch Kritik.

Hans Scholl (Max Hubacher), Sophie Scholl (Luna Wedler) und Alexander Schmorell (David Hugo Schmitz) besprechen die Flugblattproduktion im Atelier in einer Szene aus der Instagram-Serie.
Hans Scholl (Max Hubacher), Sophie Scholl (Luna Wedler) und Alexander Schmorell (David Hugo Schmitz) besprechen die Flugblattproduktion im Atelier in einer Szene aus der Instagram-Serie.dpa/SWR/BR/Sommerhaus/Rebecca Rütten

Seit Mai 2021 erzählte eine Instagram-Serie aus dem Leben der NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Wenige Tage nach dem 79. Jahrestag ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943 durch die Nationalsozialisten endet „@ichbinsophiescholl“ nun am Samstag.

Der Bayerische Rundfunk (BR) und der Südwestrundfunk (SWR) ziehen eine positive Bilanz: Mehr als 750.000 Leute hätten die in Teilen fiktional mit Schauspielern erzählte Geschichte verfolgt, darunter viele unter 25 Jahren. Andere dagegen bringen Kritik vor, so wie der Satiriker Jan Böhmermann in der ZDF-Show „Magazin Royale“.

Böhmermann geht mit dem Projekt hart ins Gericht

Er habe eine „supersweete“ Bloggerin entdeckt, „die postet total cooles Influencerzeug, Rezepte, Traveltipps zwischen München und Ulm und Aktivisti-Lifestyle so bisschen mit Flyer verteilen an der Uni“, so der Satiriker am 18. Februar. Sophie Scholl, die Videos und Fotos teilt und sogar Kommentare beantwortet: Er sei nur Hobbyhistoriker, aber das klinge alles ziemlich erfunden, monierte Böhmermann. „Geht es bei Geschichte nicht um Fakten und um Genauigkeit?“

Doch das ist das Konzept der Serie: Es soll so wirken, als würde Sophie selbst posten, mit Luna Wedler („Biohackers“) als Gesicht des Kanals. In fiktiven Filmsequenzen spielt sie die Studentin, neben Darstellern wie Max Hubacher (Hans Scholl) oder David Hugo Schmitz (Alexander Schmorell). Sie genießt das Studentenleben, feiert, ist verliebt – und wird immer nachdenklicher angesichts der NS-Verbrechen, bis sie in der Weißen Rose aktiv wird, die in Flugblättern die Schandtaten anprangert.

„Wie bei jedem historischen Spielfilm zeichnen wir unser Bild von Sophie Scholl, nur eben nicht im Fernsehen oder im Kino, sondern auf Social Media“, sagt BR-Redakteurin Lydia Leipert. In Abstimmung mit Historikern habe man sich die Freiheit genommen, historische Lücken kreativ zu schließen, auf Basis der recherchierten Fakten. Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, dem internationalen Zentrum über NS-Verfolgung, findet genau diesen Bezug zur Lebenswelt junger Menschen und die erzählerische Form wichtig. „Lücken mit Fiktion zu füllen, ist für uns kein Tabu. Es ist nur wichtig, die fiktionalen Elemente zu kennzeichnen oder deutlich zu machen, um Missverständnissen vorzubeugen.“

Empörung: Täter der NS-Zeit fast „zu Opfern erklärt“

Das sieht Böhmermann nicht überall erfüllt, etwa wenn Sophie unter einem Video schreibt: „Alex hat uns die ersten Aufnahmen von Ostfront gezeigt“. Erst weiter unten in den Kommentaren wird klargestellt: „Die gezeigten Bilder stammen von keinem Mitglied der Weißen Rose.“ Andere teilen unter dem Film Erinnerungen von Angehörigen, die als Soldaten an der Ostfront waren. Eine historische Einordnung des Russlandfeldzuges oder ein Verweis auf die Verbrechen der Wehrmacht an der Bevölkerung findet sich an der Stelle nicht, nur mitfühlende Worte: „Das tut uns sehr leid. Danke, dass du dieses sehr persönliche Schicksal mit uns teilst“. In den Kommentaren Empörung: „Hier werden die Täter der NS-Zeit fast schon zu Opfern erklärt“.

Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung in München, sieht in solchen Fällen Handlungsbedarf: „Wenn zum Beispiel bei einem Post von einzelnen UserInnen Familienerzählungen eingebracht werden, sollte hier eine Anmerkung über diesen verbrecherischen Krieg gemacht werden.“

Instagram-Serie berührte viele und schafft Aufmerksamkeit

Insgesamt findet Kronawitter das Projekt aber gut und historisch korrekt. „Wir setzen darauf, dass das bei sehr, sehr vielen Menschen geweckte Interesse weiter wirkt und sie sich mit den Inhalten in anderen Medien befassen“, hofft sie. „Wichtig ist, dass junge Menschen erst einmal vom Widerstand der Weißen Rose hörten und den bedrückenden Anlässen, den dieser Widerstand hervorrief.“ In der Tat hat die Serie viele sehr berührt, wie aus den Kommentaren hervorgeht.

BR und SWR reagieren zudem aufgeschlossen: Das Konzept könne und dürfe jederzeit kritisiert werden. „Das hat Jan Böhmermann in seiner Sendung in satirischer Form getan“, sagt Leipert. „Wenn Kritik am Konzept von ‚@ichbinsophiescholl‘ eine konstruktive Debatte über die deutsche Erinnerungskultur auslöst, begrüßen wir das.“