Internationaler Gedenktag: Zeitzeugen und Politiker erinnern an den Holocaust

In Israel leben derzeit mehr als 150.000 Holocaust-Überlebende. Am Internationalen Gedenktag rückt besonders eine Opfergruppe in den Fokus der Erinnerung.

„Wenn ich mich nur gut anpasse und nicht weiterfrage, wird mir schon nichts geschehen“: Rozette Kats.
„Wenn ich mich nur gut anpasse und nicht weiterfrage, wird mir schon nichts geschehen“: Rozette Kats.Bernd von Jutrczenka/dpa

Der Bundestag hat in seiner Holocaust-Gedenkstunde in diesem Jahr die Menschen in den Mittelpunkt gerückt, die von den Nationalsozialisten wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) betonte am Freitag im Parlament zugleich, für eine lebendige Erinnerungskultur sei es wichtig, „dass wir die Geschichten aller Verfolgten erzählen. Ihr Unrecht sichtbar machen. Ihr Leid anerkennen.“

Es könne keinen Schlussstrich geben, betonte Bas. Sich mit der deutschen Vergangenheit und der Shoah auseinanderzusetzen heiße auch, Antisemitismus in jeder Form, Rassismus und der Diskriminierung von Minderheiten entschieden entgegenzutreten. Sie erinnerte an die Auseinandersetzung um antisemitische Tendenzen auf der Documenta 15 im vergangenen Jahr und den gewaltsamen Tod eines Transmannes am Christopher Street Day.

Bas sagte, in sozialen Netzwerken werde in unerträglicher Weise gegen queere Menschen gehetzt. „Wir alle sind gefordert, gegen Diskriminierung aufzustehen. Eine freie, offene Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte die Bundestagspräsidentin.

Holocaust-Überlebende hält bewegende Rede

Auch die Holocaust-Überlebende Rozette Kats forderte in ihrer Rede dazu auf, alle Opfer der Nazis gleichermaßen in das Gedenken einzuschließen. „Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdient achtungsvolle Erinnerung“, sagte die 80-Jährige. „Jeder Mensch, der heute verfolgt wird, hat Anspruch auf unsere Anerkennung und unseren Schutz“, ergänzte sie mit Blick auf heutige Ausgrenzung und Gewalt gegen Homosexuelle.

Bewegend schilderte Kats ihr eigenes Schicksal. Als sie acht Monate alt war, versteckten ihre Eltern sie 1943 bei einem Ehepaar in Amsterdam, bevor sie selbst deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. Am Abend vor ihrem sechsten Geburtstag habe ihr Adoptivvater sie über ihre echten Eltern aufgeklärt. Kats setzt sich heute dafür ein, dass insbesondere auch sexuelle Minderheiten Anerkennung für das erlittene Leid erhalten und heute frei leben können. „Ich habe nicht vergessen, wie schlimm es ist, sich verleugnen und verstecken zu müssen“, sagte sie.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Rozette Kats bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Rozette Kats bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag.Bernd von Jutrczenka/dpa

Klaus Schirdewahn vertritt queere Community: Signal an die Gesellschaft

Der Aktivist Klaus Schirdewahn, der als Vertreter der queeren Community zu Wort kam, schilderte sein erzwungenes und leidvolles Doppelleben als homosexueller Mann in der Bundesrepublik, aus dem er sich erst spät in seinem Leben lösen und zu seiner Identität stehen konnte.

Schirdewahn sagte, die Gedenkstunde sei für die gesamte queere Community ein Zeichen der Anerkennung und ein Signal an die Gesellschaft. Sie drücke die Trauer über das Leiden aus, das queeren Menschen von den Nazis angetan worden sei, mache aber auch deutlich, dass das Unrecht 1945 nicht endete, und gebe den Betroffenen etwas von ihrer Würde zurück. Schirdewahn war 1964 als 17-Jähriger nach dem Strafrechtsparagrafen 175 verurteilt und erst 2017 vollständig rehabilitiert worden.

Ereignis wurde zum Gedenktag: Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit

Der Holocaust-Gedenktag wird seit 1996 am 27. Januar begangen. Im ganzen Land wird mit Veranstaltungen der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, von Sinti und Roma, Widerstandskämpfern und religiösen Gruppen sowie behinderter Menschen durch die Nationalsozialisten gedacht. An der Gedenkstunde im Bundestag nahmen die Spitzenvertreter der Verfassungsorgane und zahlreiche geladene Gäste teil.

Begleitet wurden die Reden durch eine Lesung des Schauspielers Jannik Schümann über Karl Gorath, der als schwuler Mann die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überlebte und in der Bundesrepublik erneut verurteilt und inhaftiert wurde. Er starb 2003. Die Schauspielerin Maren Kroymann trug die Biografie der lesbischen Jüdin Mary Pünjer vor, die im Konzentrationslager Ravensbrück interniert und 1942 ermordet wurde.

Hannah Malka: Zeitzeugin mahnt soziales Miteinander an

Eine der Überlebenden ist die aus Tschechien stammende Jüdin Hannah Malka: Die 99-Jährige überlebte das Ghetto Theresienstadt, das Vernichtungslager Auschwitz und das Außenlager Oederan des KZ Flossenbürg. Wie viele andere Zeitzeugen hat Malka das Grauen, das sie dort erlebt hat, jahrzehntelang für sich behalten. „Ich wollte, dass meine Kinder normal aufwachsen“, erzählte Malka nun vor Journalisten in Tel Aviv. Da sie jedoch beobachtet habe, dass der allgemeine Umgang der Menschen miteinander immer schlechter werde, habe sie ihr Schweigen gebrochen. Um ihre mahnende Stimme zu erheben, reiste sie auch mehrfach nach Deutschland.

Malka: „Man hat immer geholfen, wenn jemand Hilfe gebraucht hat“

„Es schmerzt mich zu hören, wie Menschen, die zueinander gehören, sich heute behandeln“, sagte Malka und verwies auf ihre Zeit im Lager Theresienstadt. „Das Leben war so hart, wir hatten so wenig zu essen, man hat nie gestohlen, man hat nie etwas Schlechtes gemacht, man hat immer geholfen, wenn jemand Hilfe gebraucht hat.“

Malka war 1942 gemeinsam mit ihrer Mutter in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden. Dort lebten sie rund zwei Jahre lang mit Zehntausenden weiteren Jüdinnen und Juden auf engstem Raum unter schrecklichen Bedingungen. Beide wurden später weiter nach Auschwitz verschleppt. Ihre Mutter hat sie daraufhin nie wieder getroffen.

Malka über Auschwitz: „Es ist unmöglich so zu leben“

An ihre Zeit in dem Vernichtungslager könne sie sich kaum erinnern, sagte Malka. „Ich erinnere mich nur, wie schlimm die Menschen aussahen, und ich dachte, es ist unmöglich so zu leben.“ Heute sei ihr klar, dass sie selbst wohl nicht anders ausgesehen haben muss. Von Auschwitz wurde Malka nach Deutschland gebracht, um dort als Hausmädchen und in einer Munitions- und Waffenfabrik zu arbeiten. Nach dem Krieg schaffte sie es 1946 in das heutige Israel.

Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet, zumeist Juden. Seit 1996 wird das Datum der Befreiung in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen.

In Israel leben nach jüngsten Zahlen noch 150.600 Zeitzeugen des Holocausts. Mehr als tausend von ihnen sind bereits über 100 Jahre alt, wie die zuständige Behörde anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags in Jerusalem mitteilte. 

Scholz erinnert an historische deutsche Verantwortung

Bundeskanzler Olaf Scholz erinnerte derweil an die historische Verantwortung Deutschlands für die Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. „Unvergessen ist das Leid von sechs Millionen unschuldig ermordeten Jüdinnen und Juden – genauso wie das Leid der Überlebenden“, schrieb der SPD-Politiker am Freitag auf Twitter. Damit dies nie wieder geschehe, erinnere man am Holocaust-Gedenktag an die historische Verantwortung Deutschlands.

Unter anderem am Gedenk- und Informationsort T4 in Erinnerung an die Ermordung von Menschen mit Behinderungen sowie an den Denkmälern für die in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen und ermordeten Sinti und Roma wurden am Freitag Kränze niedergelegt. Auch Vertreter des Senats nahmen teil. Bei der Gedenkveranstaltung am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen waren Klaus Lederer (Linke) und Bettina Jarasch (Grüne) vor Ort.

Auch am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurden Kränze niedergelegt.
Auch am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurden Kränze niedergelegt.Sebastian Ahlefeld

Auch in den Bezirken finden Gedenkveranstaltungen statt. So wurde etwa am Gedenkort Güterbahnhof Moabit am Freitagmittag eine zeitweilige Open-Air-Ausstellung eröffnet. Am Güterbahnhof in Moabit begannen für Tausende Berliner Jüdinnen und Juden die Deportationen in die Lager. Der Gedenkort befindet sich an der Quitzowstraße zwischen Lidl und Hellweg.

In der Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche sind an diesem Tag zwei Führungen angesetzt (16 und 18 Uhr). Erinnert wird an die Verhaftungs- und Gewaltwelle der Nationalsozialisten vom 21. bis 26. Juni 1933. Damals verschleppten und misshandelten in aller Öffentlichkeit Einheiten von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) der Nazis mehrere hundert politisch Andersdenkende sowie Jüdinnen und Juden. Mindestens 23 Menschen starben dabei. Die Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche befindet sich im ehemaligen Köpenicker Amtsgerichtsgefängnis in der Puchanstraße.

Bezirksverordnetenversammlung und Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf erinnern am Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers des KZ Sachsenhausen an der Wismarer Straße/Eugen-Kleine-Brücke an die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und Völkermordes. Kranzniederlegungen sind auch an der Spiegelwand auf dem Hermann-Ehlers-Platz geplant.

Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wird am Samstag (28. Januar) an verschiedenen Orten der Opfer des NS-Terrors gedacht, unter anderem an der Gedenkstätte "Zwangslager Marzahn” am Otto-Rosenberg-Platz und an der Gedenkstele für die Opfer der Zwangsarbeit auf dem Parkfriedhof, am ehemaligen Zwangsarbeiterlager Kaulsdorf.