Internes Papier: Darum hat sich die Berliner CDU für die SPD entschieden

Die CDU in Berlin will mit der SPD koalieren. Die Berliner Zeitung veröffentlicht das Sondierungspapier im Wortlaut.

Kai Wegner möchte neuer Regierender Bürgermeister werden. 
Kai Wegner möchte neuer Regierender Bürgermeister werden. Axel Heimken/dpa

Der CDU-Landesvorstand und Spitzenkandidat Kai Wegner haben es am Donnerstag entschieden: Die CDU Berlin will in Koalitionsverhandlungen mit der SPD gehen. Damit ist eine schwarz-grüne Koalition vorerst vom Tisch. In einem internen Sondierungspapier, das der Berliner Zeitung vorliegt, erklärt die Sondierungsgruppe die Gründe, die für eine Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der SPD sprechen.

„Das Vertrauen in Senat, Politik und Parteien ist so gering wie noch nie. Das Wahlergebnis dokumentiert eine Spaltung der Stadt, die es zu überwinden gilt“, heißt es in dem Papier unter anderem. In einer einer neuen Koalition unter CDU-Führung wolle man „neues Vertrauen in politisches Handeln stiften und die Stadt wieder zusammenführen, wo in den vergangenen Jahren tatsächliche oder vermeintliche Gräben entstanden sind.“ Eine neue Koalition müsse „schnell, zielgerichtet und effektiv“ ihre Arbeit aufnehmen. „Hierfür sehen wir die notwendigen Voraussetzungen bei der SPD als Regierungspartner in einer erfolgreichen Berlin-Koalition“.

Das ist das Sondierungspapier im Wortlaut:

Berlin nach vorne bringen und zusammenführen.

Berlin ist weltoffene Metropole und pulsierende Großstadt. Berlin muss endlich besser funktionieren. Die Wiederholungswahl hat gezeigt: Das Vertrauen in Senat, Politik und Parteien ist so gering wie noch nie. Das Wahlergebnis dokumentiert eine Spaltung der Stadt, die es zu überwinden gilt.

Die CDU Berlin nimmt diese Befunde ernst. Sie sind für uns ein Auftrag: Wir wollen und wir müssen neues Vertrauen in politisches Handeln stiften und die Stadt wieder zusammenführen, wo in den vergangenen Jahren tatsächliche oder vermeintliche Gräben entstanden sind.

Dafür streben wir eine Regierung unter CDU-Führung an, die vertrauensvoll zusammenarbeitet, die zügig und lösungsorientiert die bestehenden Probleme anpackt und hart dafür arbeitet, dass Berlin jeden Tag ein bisschen besser funktioniert.

Wir wollen eine Koalition der Vernunft und Verantwortung eingehen, die Gegensätze überwindet und Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt stellt. Wir glauben an Berlin. Wir glauben an die Berlinerinnen und Berliner. Wir glauben an das Potenzial unserer Stadt. Berlin gehört allen – und muss für alle funktionieren. Wir Berliner haben immer wieder gezeigt, dass wir Brüche und Gegensätze überwinden können, um gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten. In diesem Sinne muss auch jetzt das Beste für ein funktionierendes Berlin zusammenkommen.

Wir wollen Berlin nicht neu erfinden. Berlin bleibt Berlin. Es geht uns darum, Berlin noch besser zu machen. Dafür muss eine neue Koalition schnell, zielgerichtet und effektiv ihre Arbeit aufnehmen. Hierfür sehen wir die notwendigen Voraussetzungen bei der SPD als Regierungspartner in einer erfolgreichen Berlin-Koalition.

Die neue Koalition hat für ihre großen Aufgaben nicht viel Zeit. Sie muss deshalb so schnell wie möglich gebildet werden können. Insbesondere müssen unverzüglich unumkehrbare Weichen für eine grundlegende Reform und Modernisierung der Berliner Verwaltung gestellt werden, wenn Berlin in Zukunft noch handlungsfähig sein soll.

Dabei setzen wir auf folgende Schwerpunkte:

Berlin – eine weltoffene und sichere Metropole, die auf Vielfalt und Respekt für Regeln setzt

Wir geben den Berliner Polizistinnen und Polizisten die Wertschätzung, die Ausrüstung und die rechtlichen Möglichkeiten an die Hand, die sie brauchen und verdienen. Mit der Anschaffung von Bodycams schützen wir die Kolleginnen und Kollegen noch besser vor Übergriffen und erhöhen die Transparenz des Einsatzgeschehens. In Modellprojekten wollen wir erproben, wie der Einsatz von Videoschutz beispielsweise an Fahrradabstellanlagen für mehr Sicherheit sorgen und die Aufklärungsquote bei Verbrechen erhöhen kann. Die Sanierung maroder Polizei- und Feuerwachen wird durch einen entsprechenden Investitionsschwerpunkt vorangetrieben. Die Präsenz des allgemeinen Ordnungsdienstes wollen wir erhöhen.

Die Verbesserung der Sauberkeit in der Stadt ist uns ein wichtiges gemeinsames Anliegen. Hierfür wollen wir die Müllbeseitigung im öffentlichen Raum verbessern und Kontrollen verstärken. Die Justiz werden wir für ihre Aufgaben unterstützen, indem wir die Gerichte besser ausstatten und ihre Digitalisierung beschleunigen.

Berlin – eine bezahlbare Metropole, die Mieter schützt und schneller baut

Unser gemeinsames Ziel ist ein bezahlbares Berlin für alle. Mieterschutz darf nicht nur auf dem Papier bestehen. Wir wollen die Durchsetzung des sozialen Mietrechts bzw. von Mieterrechten in Berlin konsequent verstärken. Mit einem Mietenkataster streben wir an, die Transparenz der Mietenentwicklung in Berlin zu verbessern. Für die nachhaltige Entlastung auf dem angespannten Wohnungsmarkt wollen wir bestehende Hemmnisse für den Neubau in Berlin abbauen und die Aktivierung von Flächenpotenzialen verbessern. Durch eine strategische Ankaufspolitik wollen wir den kommunalen Wohnungs- und Bodenbestand kontinuierlich erhöhen.

Wir nehmen die Sorgen der Berlinerinnen und Berliner ernst, die im Enteignungsvolksentscheid zum Ausdruck gekommen sind. Gerade deshalb sind die Maßnahmen des Mieterschutzes und die Ausweitung des kommunalen Wohnungsbestands zu forcieren. Eine willkürliche Enteignung großer Wohnungsunternehmen lehnen wir ab. Regelungsspielräume bei der Grundsteuerreform wollen wir so nutzen, dass eine flächendeckend höhere Belastung von Mietern und Eigentümern verhindert wird.

Berlin – eine mobile Metropole für alle

Wir wollen für ein Mobilitätsangebot sorgen, das den verschiedenen Bedürfnissen der Berlinerinnen und Berlinern in ihrer jeweiligen Lebenslage gerecht wird. Wir sind uns der Notwendigkeit einer Verkehrswende ebenso bewusst wie der Notwendigkeit, sie sozial und im gesellschaftlichen Miteinander zu gestalten.

Mit einem unbefristeten 29-Euro-Ticket wollen wir den ÖPNV als klimafreundliches Fortbewegungsmittel noch attraktiver machen. Die verkehrspolitische Zusammenarbeit mit Brandenburg bleibt für uns von zentraler Bedeutung. Den U-Bahnausbau treiben wir weiter voran, um auch in den Randbezirken das Mobilitätsangebot zu verbessern. Wir legen gemeinsam größten Wert darauf, dass das Fahrradfahren in unserer Stadt sicherer und attraktiver wird. Dafür werden wir mehr sichere Radwege schaffen und gefährliche Kreuzungsbereiche umbauen.

Auch das Auto gehört für uns weiterhin zu einem durchdachten Mobilitätskonzept. Wir wollen die Wende zur klimaneutralen Individualmobilität durch ein attraktives Netz von Ladeinfrastruktur in allen Stadtteilen beschleunigen. Wir bremsen Berlin nicht aus, weshalb es mit uns keine flächendeckende Anordnung von Tempo 30 geben wird. Die Bürgerbeteiligung bei notwendigen Maßnahmen des Stadtumbaus in Zusammenhang mit der Verkehrswende werden wir deutlich verbessern. Die Planungen für die TVO wollen wir schnell zu einem erfolgreichen Abschluss bringen und schnellstmöglich unumkehrbare Planungsentscheidungen treffen. Für die Historische Mitte einschließlich der Friedrichstraße wollen wir unter Einbindung der Betroffenen ein umfassendes Mobilitätskonzept erarbeiten, das Aufenthaltsqualität schafft und die Anliegen der Anrainer vor Ort berücksichtigt.

Berlin – eine klimagerechte Metropole, die Innovation und Klimaschutz zusammendenkt

Die Erreichung der Klimaneutralität möglichst früher als 2045 hat für uns eine hohe Priorität. Dieses ambitionierte Ziel wird sich in allen Politikbereichen niederschlagen. Um diese Zielmarke zu erreichen, wollen wir unter anderem die Rahmenbedingungen für Sanierung und Neubau im Zuständigkeitsbereich des Landes im Sinne der Energiewende verbessern. Um die Energiesicherheit und unseren Einfluss auf die Wärmewende zu verbessern, wollen wir neben der Förderung alternativer Energien wie Geothermie und Wasserstoff zusammen mit starken privaten Partnern unseren Einfluss auf die Fernwärme- und Gasnetze nachhaltig erhöhen.

Berlin – eine Chancen-Metropole, die Aufstieg durch Bildung garantiert

Kinder verdienen die besten Chancen. Das Bildungsversprechen kann nur Realität werden, wenn wir bereits in den Kitas mit der besten Betreuung und Vorbereitung auf die schulische Bildung anfangen. Wir streben an, ein Vorschuljahr in den Kitas anzusiedeln. Zudem wollen wir die Sprach-Kitas durch ein Landesprogramm fortführen und so Sprachdefizite möglichst früh abbauen. Für die bestmögliche Beschulung wollen wir mehr Lehrer ausbilden und die Schulbauoffensive weiter vorantreiben. Wir wollen die Bildungsqualität nachhaltig erhöhen und setzen dabei einen Schwerpunkt auf die Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss wollen wir spürbar reduzieren. Darüber hinaus wollen wir die Rahmenbedingungen für Kitas und Schulen in freier Trägerschaft verbessern, um unser vielfältiges Bildungssystem zu erhalten. Wir bekennen uns zur Vielfalt der Schulformen einschließlich starker Gymnasien.

Berlin – eine Wachstumsmetropole, die wirtschaftlich erfolgreich ist und gute Arbeit schafft

Die Berliner Wirtschaft ist Wohlstandsgarant und Innovationsmotor. Durch Entbürokratisierung und die Anpassung des Vergaberechts, ohne die sozialen und ökologischen Standards zu unterminieren, wollen wir die Berliner Wirtschaft entlasten und ihr in Zeiten von Inflation und Fachkräftemangel die Möglichkeiten verschaffen, die sie braucht, um sich frei entfalten zu können. Gleichzeitig wollen wir mehr junge Menschen in eine Ausbildung bringen und die Meisterfortbildung möglichst gebührenfrei machen.

Berlin – eine Gesundheitsmetropole, die Spitzenforschung und gute Versorgung für alle zusammenbringt

In der Gesundheitsmetropole Berlin wollen wir eine flächendeckend gute ärztliche Versorgung sicherstellen und gleichzeitig die wissenschaftliche Forschung vorantreiben. Wir verpflichten uns zu mehr Anstrengungen, die Ärzteversorgung in den Berliner Außenbezirken zu verbessern. Dazu gehört auch der Neubau einer Kinderklinik in Berlin, der über eine öffentlich-private Partnerschaft realisiert werden könnte. Wir bekennen uns zum Krankenhausinvestitionsprogramm und zur Rückholung der Tochtergesellschaften von Charité und Vivantes. Gleichzeitig setzen wir weiterhin auf die Trägerpluralität in Berlin, denn auch die freien und gemeinnützigen Träger leisten einen wichtigen Beitrag zu einer guten Gesundheitsversorgung in unserer Stadt. Wir wollen die Situation der Rettungsdienste nachhaltig verbessern und eine gemeinsame Leitstelle schaffen.

Berlin – eine Wissenschaftsmetropole, die auf kluge Köpfe und neue Ideen setzt

Wir wollen die Hochschulverträge entschlacken und die Hochschulautonomie stärken. Das Berliner Hochschulgesetz werden wir so überarbeiten, dass Hochschulen mehr Freiheiten und verlässliche Rahmenbedingungen erhalten. Dauerstellen sollen auf Dauer angelegten Tätigkeiten vorbehalten sein und sind von Qualifikationsstellen zu unterscheiden. Unter anderem mit diesen Schwerpunkten will die CDU unsere Stadt bis 2026 voranbringen. Voraussetzung dafür ist eine funktionierende Verwaltung und möglichst auf allen Ebenen die Beschleunigung und Entschlackung von Verfahren. Darum geht es jetzt in Koalitionsverhandlungen mit der SPD Berlin.