Jan Vogler: Klassik-Branche muss sich nach der Pandemie erneuern
Musiker Jan Vogler hat in der Corona-Pandemie Konzerte im Internet organisiert. Mit Blick auf die Zukunft hält er „neue Töne“ im Konzertbetrieb für ratsam.

Die Klassik-Szene muss sich nach Ansicht des Cellisten und Festspielintendanten Jan Vogler nach der Corona-Pandemie erneuern. „Die Konzertbesucher wählen jetzt stark aus und haben eine genaue Vorstellung davon, was sie hören wollen. Sie haben in der Pandemie gelernt, notfalls auch ohne Live-Musik auszukommen“, sagte der 58-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Musikfans kämen zwar wieder in die Konzerte, aber nicht mehr um jeden Preis und würden auch nicht alles annehmen, was man ihnen vorsetze: „Auch wenn das paradox klingt, das ist im Grunde etwas Gutes für unsere Branche. Wir müssen jetzt sehr genau schauen, wie wir die Musik wieder zu den Hörern bringen, es ist der perfekte Moment, neue Formate auszuprobieren und all unsere Leidenschaft für die Musik in die Waagschale zu werfen.“
Vogler, der als Solist auf seinem Instrument unterwegs ist und als Intendant die Dresdner Musikfestspiele und das Moritzburg Festival verantwortet, kann der Pandemie im Rückblick auch eine gute Seite abgewinnen. „Die Pandemie hat uns sehr nachdenklich gemacht. Nachdenklichkeit ist auch in der Musikbranche immer gut.“ Die Verunsicherung halte bei Zuhörern und Künstlern gleichermaßen an. Viele Konzerte seien selbst nach Aufhebung der Beschränkungen nicht mehr ausverkauft. Auch manche Musiker und Musikerinnen hätten noch Ängste und würden Tourneen noch scheuen.
Vogler selbst hält nicht viel von einer Unterteilung in U- und E-Musik
„Die meisten Künstler sind jedoch hoch motiviert und freuen sich sehr auf die Live-Begegnungen mit dem Publikum. Wir beobachten bei den Dresdner Musikfestspielen und auch beim Moritzburg Festival eine starke Nachfrage nach Konzerten, bei denen das Publikum eine besondere Atmosphäre und Ausstrahlung antizipiert“, sagte Vogler.
„Jetzt ist Vielfalt in der Klassik gefragt. Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt“, sagte Vogler. Die Klassik-Szene könne da von Popkünstlern lernen, die sich immer wieder neu erfinden und auch neue Formen der Vermarktung aufbauen müssten. „Die Klassik sollte nicht in den Glaskasten gestellt werden. Die Zuhörer verlangen Qualität, wollen begeistert nach Hause gehen. Es geht nicht nur darum, welches Genre wir präsentieren, sondern wie wir es präsentieren.“
Vogler selbst hält nicht viel von einer Unterteilung in U- und E-Musik. Vergangene Woche legte der Cellist sein neues Album „Pop Songs“ vor, auf dem er gemeinsam mit dem BBC Philharmonic und dem Dirigenten Omer Meir Wellber Hits von Monteverdi bis Michael Jackson interpretiert.
45. Ausgabe der Dresdner Musikfestspiele beginnt am Mittwoch
„Die Klassik braucht Veränderungen, genau wie jeder Musiker“, sagte Vogler und erinnerte an Künstler anderer Sparten. Bei großen bildenden Künstlern wie Picasso sei das nicht anders gewesen. „Auch er hat Trends der Zeit aufgenommen und nicht alles selbst erfunden. Er hat sie aber aufgesogen und sich zu eigen gemacht. Das ist genau das, was wir auch machen müssen.“ Dabei gehe es aber nicht darum, sich dem Publikum „anzubiedern“. „Das wäre ein Missverständnis. Es geht um Authentizität. Ein Künstler, der authentisch auf sein Publikum zugeht, bringt ihm die Musik, die er spielt, nahe. Authentizität ist das größte Kapital, das wir haben.“
Nach Meinung Voglers, der abwechselnd in New York und Dresden lebt, gibt es eine gute Chance, die Klassik neu zu positionieren. „Denn sie ist eine Musik für alle Menschen. Selbst bei den Taxifahrern in New York höre ich ständig Klassik. Sie sagen mir, bei dem hektischen Verkehr würden sie Musik brauchen, die sie beruhigt.“ Kein Mensch werde ernsthaft etwas gegen die Schönheit klassischer Musik einwenden können. Allerdings sei die Schwelle zu ihrem Erleben gerade bei Live-Konzerten für manche noch sehr hoch. Es gehe nun darum, die Klassik praktisch „barrierefrei“ zu machen.
Für die 45. Ausgabe der Dresdner Musikfestspiele, die an diesem Mittwoch beginnen und bis 10. Juni dauern, hat Vogler das Motto „Zauber“ gewählt. Bei Auftritten renommierter Künstler und Ensembles wie den Wiener Philharmonikern, des Percussionisten Martin Grubinger, von Ute Lemper oder des Jazzers Jamie Cullum soll sich das Publikum ganz dem Zauber der Musik hingeben.