Berlin-Die Lage in der Corona-Pandemie ist in Deutschland laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) so kritisch wie noch nie zuvor: „Wir werden erstmals in größerem Umfang über 100 Intensivpatienten verlegen müssen auch unter Beteiligung der Luftwaffe. Die Lage war noch nie so ernst in dieser Pandemie.“
Spahn ist noch geschäftsführend im Amt, solange die Ampel-Regierung noch nicht vereidigt ist. Am Freitag informierte er zusammen mit RKI-Präsident Lothar Wieler über die aktuelle Situation. Die vierte Corona-Welle werde nicht nur die südlichen Bundesländer treffen, sagte Spahn. „Sie wird sich auch nach Norden ausbreiten. Es braucht bundesweit mehr Kontaktbeschränkungen und die Absage von Großveranstaltungen.“
Spahn: Verlegung von Intensivpatienten geht nicht ewig gut
„80 oder 100 Patienten innerhalb Deutschlands zu verlegen, geht vielleicht zwei oder drei Mal, aber nicht beliebig oft“, so Spahn. Ewig schaffe Deutschland das nicht. „Die Impfkampagne zieht erfreulicherweise wieder an. Es gab 3,5 Millionen Impfungen in den letzten sieben Tagen. Aber es liegen noch zu viele Impfdosen in den Kühlschränken herum.“
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Die Menschen und die neue Regierung würden aber immer noch denken, das wird schon irgendwie werden. „Wird es aber nicht!“ Zumindest, solange jetzt nichts Entscheidendes passiere. Spahn bat darum, Kontakte massiv zu reduzieren: „Bis jetzt haben nur wenige Menschen ihr Verhalten geändert. Es hat einen Grund, warum sich trotz der Impfquote die Dinge so entwickelt haben. Das hat was mit dem Kontaktverhalten zu tun.“
Wieler: Kontaktbeschränkungen müssen sofort kommen
Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), ergänzte: „100.476 Menschen haben seit Beginn der Pandemie in unserem Land ihr Leben verloren. Wir können die vielen Todesfälle nur verhindern, wenn wir verhindern, dass sich Menschen anstecken. Wir müssen jetzt unsere Kontakte reduzieren.“ Er appellierte an die Bürger, sich impfen und auffrischen zu lassen und die Corona-Regeln einzuhalten.
Wieler weiter: „Aktuell werden mehr als 4000 Patienten auf Intensivstationen behandelt. 85 Prozent der Behandelten benötigen eine Form der Beatmung. 2000 werden intensiv beatmet. 18,9 Prozent der Intensivbetten sind von Covid-Patienten belegt. Das mag wenig klingen. Aber das ist ein Fünftel der Betten, und sie werden auch von anderen Patienten benötigt.“
RKI-Chef Wieler: Boostern bietet den besten Schutz
„Die Zahlen würden ohne Impfungen noch viel höher liegen. Wer geimpft ist, muss seltener auf die Intensivstation. Aber wir brauchen jetzt sofort eine massive Reduktion der Kontakte“, so Wieler.
Auf die Frage, ob sich Geimpfte und Geboosterte weniger Sorgen machen müssen, erklärte der RKI-Chef: „Diejenigen, die geboostert sind, haben einen ausgezeichneten Schutz gegen Krankheit und vor dem Tod. Aber es entbindet sie nicht davon, sich verantwortungsvoll zu verhalten.“
Wieler bat darum, die Corona-Warn-App intensiv zu nutzen: „Sie war noch nie so wichtig. Alle Personen, die sich in einem Innenraum aufgehalten haben, werden clustergenau gewarnt. Also nutzen Sie unsere Apps. Bislang wurde unsere Corona-Warn-App schon 37 Millionen Mal heruntergeladen.“
Spahn sichtbar sauer auf die künftige Ampel-Koalition
Jens Spahn befindet sich in der Zwickmühle: Er ist zwar noch Gesundheitsminister, doch die neue Ampel-Regierung wird in wenigen Tagen vereidigt. Der CDU-Politiker ist spürbar sauer über den Umgang von Rot-Grün-Gelb mit der Pandemie: „In der Vergangenheit wusste ich nach Rücksprache mit meiner Fraktion im Bundestag, welche Dinge ich umsetzen konnte. Das ist jetzt anders.“
Er erneuerte seine Appelle wie so oft, aber an diesem Freitag klang Spahn besonders ernst: „Je stärker wir jetzt auf die Bremse treten, umso besser. Alles, was wir jetzt nicht an Kontakten reduzieren, wird in zwei oder vier Wochen noch drastischere Maßnahmen notwendig machen. Selbst wenn es ab morgen keine Infektionen mehr in Deutschland gäbe. Allein mit den 150.000 Infektionen der letzten zwei Tage wird es tausend zusätzliche Intensivpatienten in den nächsten zehn, vierzehn Tagen geben.“
Spahn: 6,5 Millionen Booster-Impfdosen werden ausgeliefert
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte kritisiert, dass es Lieferengpässe bei Biontech und Moderna gebe. Laut Spahn werden jedoch in den kommenden Tagen 6,5 Millionen Booster-Impfdosen ausgeliefert. Er könne aber nicht sicher sagen, ob es in der Logistik Probleme beim Ausliefern geben werde, sagte der Gesundheitsminister. Er verwies darauf, dass innerhalb von zehn Tagen 18 Millionen Booster-Dosen ausgeliefert worden seien. „Es sind aber nur 3,5 Millionen Dosen verimpft worden.“
