London-Britische Behörden haben Corona-Patienten nach Aussagen eines ehemaligen Regierungsberaters aus Kliniken zurück in Pflegeheime geschickt. „Im März (2020) wurde uns eindeutig gesagt, dass die Menschen getestet werden, bevor sie in Pflegeheime zurückkehrten“, sagte Dominic Cummings, einst der wichtigste Berater von Premierminister Boris Johnson, am Mittwoch in London vor Abgeordneten. Erst nach Wochen hätten Johnson und er herausgefunden, dass das nicht stimmte. „Wir haben sie nicht geschützt, ganz im Gegenteil: Wir haben Leute mit Corona zurück in die Pflegeheime geschickt“, sagte Cummings.
Pflegeheime hätten lange weder über ausreichend Schutzausrüstung verfügt noch über Testmöglichkeiten für Mitarbeiter. Das habe einen Dominoeffekt erzeugt, sagte Cummings. Corona-Erkrankte hätten ihrerseits andere Menschen infiziert, „und dann hat es sich wie ein Lauffeuer verbreitet“.
Cummings: Johnson wollte sich Virus live im Fernsehen infizieren lassen
Cummings zeichnete vor den Mitgliedern zweier Parlamentsausschüsse das Bild eines selbstverliebten Premierministers, dem es nur um den Machterhalt gehe und der die Gefahr einer Gesundheitskrise lange ins Lächerliche zog. Der Regierungschef habe sich sogar absichtlich das Virus live im Fernsehen injizieren lassen wollen, um zu zeigen, dass Corona nicht gefährlich ist, behauptete Cummings. Johnson infizierte sich später tatsächlich und musste tagelang – „fast auf dem Sterbebett“, wie Cummings sagte – auf einer Intensivstation behandelt werden. Auch der Ex-Berater erkrankte schwer an Corona.
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Dennoch habe Johnson Kurs gehalten, so Cummings. Als er eine schärfere Einreisepolitik wie in Taiwan gefordert habe, wetterte der Premier lieber gegen den landesweiten Lockdown. Demnach sagte Johnson, er hätte sich lieber wie der Bürgermeister aus dem Spielfilm „Der Weiße Hai“ verhalten sollen, der trotz des menschenfressenden Raubfischs die Strände nicht schließt – aus Sorge um den Tourismus. Medienberichten zufolge sagte Johnson damals, lieber nehme er in Kauf, dass sich „die Leichen zu Tausenden auftürmen“. Cummings bestätigte die Aussage, die der Premier wiederholt dementiert hat.
Johnson habe zudem zugegeben, er habe vor Cummings mehr Angst als vor dem Chaos in der Regierung. „Chaos bedeutet, dass alle zu mir als Verantwortlichem hochblicken werden“, habe Johnson ihm gesagt.
Cummings beschrieb eine Regierung auf Zick-Zack-Kurs: Der eigentliche Plan sei gewesen, eine Herdenimmunität zu erreichen. So habe Mitte März 2020 der damalige oberste Spitzenbeamte Mark Sedwill gesagt, Johnson solle zu Coronavirus-Partys aufrufen, ähnlich wie Eltern Windpockenpartys für ihre Kinder veranstalten. Kabinettsmitglieder hatten die Vorwürfe schon vor der Aussage zurückgewiesen.
Opposition: „Hatten einen Zirkus, als wir eine ernsthafte Regierung brauchten“
Für die Opposition sind die heftigen Vorwürfe ein gefundenes Fressen. „Wir hatten einen Zirkus, als wir eigentlich eine ernsthafte Regierung brauchten“, sagte der Fraktionschef der schottischen Pro-Unabhängigkeitspartei SNP, Ian Blackford. Doch Johnson ließ die Anschuldigungen an sich abprallen. Zwar entschuldigte er sich für die Leiden der Bevölkerung und übernahm die Verantwortung. „Aber ich halte daran fest, dass die Regierung durchweg mit der Absicht gehandelt hat, Leben zu retten“, sagte Johnson. Lieber blickte er nach vorn – und sieht dabei die Bevölkerung an seiner Seite. Während die Opposition in der Geschichte stochere, handele seine Regierung.
Von seiner Konservativen Partei dürfte Johnson nicht allzu viel zu befürchten haben, solange er an der angekündigten Öffnungspolitik festhält. Anstelle in Sachen Cummings nachzufragen, war es einem Abgeordneten vielmehr ein Anliegen, ob Boris Johnson nicht in Nordwestengland bald ein Alpaka namens Boris treffen wolle. Er komme gern, ließ der Premier bescheiden.