In den sozialen Medien ist eine Diskussion über die Glaubwürdigkeit von und Doppelmoral bei Journalisten entbrannt. Anlass ist die Reise von Olaf Scholz und Robert Habeck nach Kanada. In dem von der Bundeswehr betriebenen Regierungsflieger saßen etwa 80 Personen, darunter auch 25 Journalisten. Auf Bildern und Videos des Fluges sind ausschließlich Menschen ohne Maske zu sehen. Zwar gilt im Regierungsflieger anders als im regulären Flugbetrieb keine Maskenpflicht, teilt die Bundesregierung mit. Doch ungeachtet der Sonderregelung werden vor allem die maskenlosen Journalisten für ihre vermeintliche Doppelmoral harsch kritisiert. So würden sie „Wasser predigen und Wein saufen“.
Die Bundesregierung und die Journalistin Miriam Hollstein, Chefreporterin von t-online.de, wehren sich gegen die Kritik. Sie weisen darauf hin, dass alle Mitreisenden einen aktuellen negativen PCR-Test vorlegen mussten. Damit sei „ein hohes Schutzniveau gewährleistet“, so die Regierung. Die t-online-Journalistin Miriam Hollstein, eine Teilnehmerin des umstrittenen Fluges, schreibt dazu an ihre Kritiker gerichtet: „Funfact für alle Trolle: Für diesen Flug mussten alle Mitreisenden einen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden war.“
Meistgelesene Artikel
„Warnung vor grundsätzlicher Aufhebung der Maskenpflicht“
Anfang August hatte Hollstein noch für einen entspannten Umgang mit der im Herbst möglicherweise wieder vorgeschriebenen Maskenpflicht plädiert. Sie schrieb zu der Kritik am geplanten Infektionsschutzgesetz: „Das Schlimmste, was passieren kann, ist also, dass man mit nem Fetzen vor dem Mund durch den Winter geht. Wenn die Infektionszahlen explodieren. So wie Pfleger und Ärztinnen in Krankenhäusern jeden Tag. Ich verstehe die Aufregung nicht.“
Das war‘s! Alles andere (Impfung, Test) ist OPTIONAL.
— Miriam Hollstein (@HollsteinM) August 5, 2022
Das Schlimmste, was passieren kann, ist also, dass man mit nem Fetzen vor dem Mund durch den Winter geht.
Wenn die Infektionszahlen explodieren. So wie Pfleger und Ärztinnen in KH JEDEN TAG.
Ich verstehe die Aufregung nicht.
Im Juni hatte Hollstein in einem Beitrag für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung vor Forderungen nach einer grundsätzlichen Aufhebung der Maskenpflicht gewarnt. Man dürfe sich von niedrigen Inzidenzen nicht täuschen lassen. Zwar seien mit Blick auf ein geringes Infektionsrisiko im Freien Masken draußen nicht mehr zwingend notwendig. In überfüllten Bussen sei die Maske auch aus Rücksicht auf Risikogruppen aber „weiter angemessen“. In Schulen sei es zwar „unsinnig“, wenn zweifach geimpfte Lehrkräfte acht Stunden am Stück die Maske tragen müssen. Hollstein schreibt weiter: „Aber für Schüler und Schülerinnen, die auf engem Raum zusammensitzen müssen, kann bis zu den Sommerferien der Mund-Nasen-Schutz weiter empfehlenswert sein.“ Und: „In Räumen ist Mund-Nasen-Schutz empfehlenswert.“
RKI: „Negatives PCR-Ergebnis schließt die Möglichkeit einer Infektion nicht aus“
Unterdessen wird zudem die Frage im Netz diskutiert, wie sicher die an einen PCR-Test gekoppelte Ausnahmeregelung wirklich ist. Zwar heißt es von der Bundesregierung im aktuellen Fall, dass „ein hohes Schutzniveau gewährleistet“ sei. Auf der Seite infektionsschutz.de, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betrieben wird, steht etwas anderes.
Hier heißt es: „Wie verhalte ich mich nach einem negativen Testergebnis? Wenn das Ergebnis des PCR-Tests negativ ist, heißt das, dass keine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 festgestellt wurde. Doch jeder Corona-Test stellt nur eine Momentaufnahme dar. Daher sollten Sie auch bei einem negativen Ergebnis weiterhin umsichtig handeln und die AHA+L+A-Formel einhalten.“ Die Behörde definiert die AHA+L+A-Regel so: „Abstand halten, Hygiene beachten, im Alltag Maske tragen, regelmäßig lüften und Corona-Warn-App nutzen.“
Auch das RKI sagt: „Ein negatives PCR-Ergebnis schließt die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht aus“. Falsch-negative Ergebnisse könnten etwa „aufgrund schlechter Qualität der Probennahme, unsachgemäßem Transport oder ungünstigem Zeitpunkt (bezogen auf den Krankheitsverlauf) der Probenentnahme nicht ausgeschlossen werden.“
„Mit 80 Personen mehrere Stunden eng ohne Maske“
Ob die Rechtfertigung der Bundesregierung und der Journalistin für den maskenfreien Flug juristisch hält, ist unter Experten umstritten. Die Anwältin Jessica Hamed schreibt dazu: „Meines Erachtens sind beide Auslegungen der Vorschrift (die ich insgesamt für klar rechtswidrig halte) vertretbar. Die Genese der Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeberwille nicht eindeutig ist. Eine teleologische Reduktion auf den Anwendungsbereich „öffentliche“ Verkehrsmittel halte ich (spätestens seit der Änderung im März) für überzeugender.“
Hamed weiter: „Von den juristischen Fragen abgesehen zeigt die Causa eines ganz deutlich: Bundesregierung und Bundeskanzler halten es für unproblematisch, mit über 80 Personen über mehrere Stunden eng ohne Maske zusammen zu sein und desavouieren damit die Maskenpflicht endgültig.“ Die „Ausflüchte“ mit der Luftwaffe, so Hamed, „sind - zurückhaltend formuliert - beschämend. Es ist zudem nicht das erste Mal, dass sich hochstehende Politiker*innen Ausnahmen abbedingen. Auch der PCR-Test ändert nichts - und eine Ausnahme dafür gibt es auch nicht -, der Test ist eine bloße Momentaufnahme“.
Unvollständiges Bild der Infektionszahlen
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz hat das Robert Koch-Institut am Dienstagmorgen unterdessen mit 288,5 angegeben. Das geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 5 Uhr wiedergeben. Am Vortag hatte der Wert der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche bei 282,2 gelegen (Vorwoche: 313,6; Vormonat: 709,7).
Allerdings liefern diese Angaben nur ein sehr unvollständiges Bild der Infektionszahlen. Experten gehen laut der dpa seit einiger Zeit von einer hohen Zahl nicht vom RKI erfasster Fälle aus, vor allem weil bei weitem nicht alle Infizierten einen PCR-Test machen lassen. Nur positive PCR-Tests zählen in der Statistik. Zudem können Nachmeldungen oder Übermittlungsprobleme zu einer Verzerrung einzelner Tageswerte führen.
