Es war ein Paukenschlag. Für neun Euro pro Monat mit dem Nahverkehr bundesweit durch ganz Deutschland fahren – mit dieser Ankündigung hat die Ampel-Koalition bei zahlreichen Bürgern das Interesse geweckt. Viele Autofahrer denken nun darüber nach, ob sie die auf drei Monate begrenzte Offerte annehmen und auf die Bahn umsteigen. Abonnenten und andere Stammkunden wiederum freuen sich auf Rückerstattungen oder geringere Abbuchungen. Doch nun ist plötzlich ungewiss, ob das Top-Angebot tatsächlich wie angekündigt zum 1. Juni kommt. Denn aus den Bundesländern mehren sich die Berichte, dass die Finanzierung durch den Bund nicht sichergestellt ist. „Wir legen Wert auf die Feststellung, dass die Liquidität zum 1. Juni sichergestellt ist“, teilte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am Montag mit. Sonst könne das Neun-Euro-Monatsticket zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht kommen.
Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig hat den Bund zur vollständigen Übernahme der Finanzierung des Neun-Euro-Tickets aufgefordert. „Die Ankündigung des Bundes war eindeutig: Je neun Euro für drei Monate – die anfallenden Kosten wollte der Bund komplett übernehmen. Jetzt versucht das Bundesverkehrsministerium, diese Kosten teilweise an die Bundesländer abzuwälzen und mit dem ÖPNV-Corona-Rettungsschirm zu verrechnen. Doch wer bestellt, muss auch zahlen“, sagte der SPD-Politiker am Sonntag in Dresden laut einer Mitteilung. Ohne die versprochene auskömmliche Finanzierung werde die Einführung des Neun-Euro-Tickets nicht funktionieren.
400 Millionen Euro weniger als zugesagt
Die nun vom Bundesverkehrsministerium geplante Verrechnung mit dem ÖPNV-Rettungsschirm würde für alle Bundesländer eine deutliche Mehrbelastung bedeuten, betonte Dulig. Für den ÖPNV-Rettungsschirm soll es demnach nur noch 1,2 Milliarden Euro geben und damit 400 Millionen Euro weniger als zugesagt.
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Zudem solle der zugesagte Ausgleich für kriegsbedingte Mehrkosten, Inflationseffekt und Leistungsanpassungen komplett unter den Tisch fallen. Dies würde weitere 1,5 Milliarden Euro Mehrkosten für die Bundesländer bedeuten. Die Länder seien nicht in der Lage, diese ungeplanten neuerlichen Lasten zusätzlich auszugleichen, hieß es weiter.
Tankpreisrabatt ja, Entlastung für Fahrgäste nein
Dass die Finanzierung durch den Bund unsicher zu sein scheint, habe in der Branche und der Politik „blankes Entsetzen“ ausgelöst, sagte ein Insider der Berliner Zeitung. „Das Thema schwelt schon seit Längerem.“ Viele Akteure hätten zuletzt eine klares Bekenntnis von Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Bundesfinanzminister Christian Lindner (beide FDP) vermisst. „Jetzt wird das gesamte Vorhaben in Frage gestellt – noch dazu auf den letzten Drücker.“ Dabei brauche die notwendige Gesetzesergänzung Zeit, und auch die BVG, die S-Bahn und die übrigen Verkehrsbetriebe benötigen einige Wochen, um sich vorzubereiten.
Es sei nachvollziehbar, dass die Bundesländer die volle Sicherheit haben müssen, dass das Geld kommt, gab der Insider zu bedenken. Auch die Geschäftsführer der Unternehmen könnten das geplante Angebot und die Entlastung der Abonnenten erst dann freigeben, wenn die Finanzierung zugesagt sei. „Schließlich gibt es im Nahverkehr noch weitere Finanzthemen. Die Folgen der Corona-Pandemie, die fast überall die Fahrgastzahlen zurückgehen ließen, seien in den Kassen der Nahverkehrsbetriebe weiterhin spürbar. Der Anstieg der Energiepreise ist ein weiteres Problem.“
Wenn der Tankpreisrabatt zum 1. Juni käme, das Neun-Euro-Monatsticket aber nicht, wäre das nicht nur peinlich für die SPD/Grünen/FDP-Koalition. Es wäre auch das falsche Signal, weil Autofahrer früher als andere in den Genuss der angekündigten Entlastung känen.
