Kommt statt der Wehrpflicht die allgemeine Dienstpflicht?

Landesverteidigung, Katastrophenschutz, Hilfe in Notsituationen: Der Verteidigungsminister sieht gute Gründe für eine Dienstpflicht. Bundesjustizminister Buschmann hat rechtliche und politische Bedenken.

„Ich habe mich ausdrücklich nicht für die Reaktivierung der Wehrpflicht ausgesprochen“, sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius.
„Ich habe mich ausdrücklich nicht für die Reaktivierung der Wehrpflicht ausgesprochen“, sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius.Olivier Matthys/Pool AP

Berlin-Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht gute Argumente für eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland zur Stärkung von Katastrophenschutz, Bundeswehr und Rettungsdiensten. Für eine politische Meinungsbildung in dieser Frage müsse aber die Stimme der jüngeren Menschen gehört werden, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich habe mich ausdrücklich nicht für die Reaktivierung der Wehrpflicht ausgesprochen“, betonte er. Vielmehr halte er die Diskussion um eine allgemeine Dienstpflicht „für wertvoll“.

Die Wehrpflicht war 2011 nach 55 Jahren unter dem damaligen CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ausgesetzt worden, was in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleichkam. Der russische Angriff auf die Ukraine hatte zuletzt wiederholt eine Debatte um diese Frage ausgelöst.

Allgemeine Dienstpflicht: Auch soziale Tätigkeiten möglich

Nach verbreitetem Verständnis wird unter dem Begriff einer allgemeinen Dienstpflicht verstanden, dass Bürger für eine gewisse Zeit einen Dienst für die Allgemeinheit leisten. Dabei könnte die Bundeswehr dann eine Option neben anderen Tätigkeiten etwa im sozialen Bereich sein.

Als 62-Jähriger sei er zurückhaltend, „einer Generation, die sowieso schon eine schwierige Zukunft vor sich hat, jetzt mal eben so eine allgemeine Dienstpflicht aufzubürden“, sagte Pistorius. „Was aus meiner Sicht dafür spräche? In den vergangenen Monaten ist der Eindruck entstanden, dass manche nicht die nötige Wertschätzung für Feuerwehr und Rotes Kreuz, Polizei und Bundeswehr aufbringen. Die allgemeine Dienstpflicht könnte helfen, die Menschen und die staatliche Organisationen wieder ein Stück näher zusammenzubringen“, sagte er. „Sie könnte vor Augen führen, wie wichtig diese Einrichtungen für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind.“

Pistorius äußerte sich überzeugt, dass Verteidigungsbereitschaft einerseits und Zivilschutz und Katastrophenhilfe andererseits zusammengedacht werden müssten. „Deutschland hat den Bereich Zivilschutz und Katastrophenhilfe zu lange nicht in ausreichendem Maß beachtet. Es fehlte lange an Geld für die Katastrophenhilfe, für Fahrzeuge und Ausrüstung. Alle hofften, dass man es nie braucht“, sagte er. Ähnlich wie bei der Verteidigung gelte: „Die Kosten sind hoch, ohne dass man den langfristigen Nutzen unmittelbar wahrnimmt.“

Buschmann hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen Dienstpflicht

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat rechtliche und politische Bedenken gegen die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. „Gerade die junge Generation war in den letzten Jahren durch die Corona-Pandemie über die Maßen belastet“, sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Die Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht halte er daher für „völlig verfehlt“. Er fügte hinzu: „Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen an einer solchen Pflicht ernsthafte Zweifel.“

Es gebe zwar viele gute Gründe, sich in diesen Zeiten zu engagieren, bei den Rettungsdiensten, im Katastrophenschutz oder bei der Bundeswehr, räumte der Justizminister ein. Dies täten Millionen Menschen in Deutschland jedoch aus Überzeugung - und nicht aus Zwang. So sollte es seiner Ansicht nach auch bleiben.

FDP-Vize Vogel zu Debatte über Dienstpflicht: „Führt in die Irre“

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Johannes Vogel, hält eine Diskussion über eine allgemeine Dienstpflicht für irreführend. „Eine Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht ist verfassungsrechtlich noch weniger haltbar als die über eine Reaktivierung Wehrpflicht - und beides führt in die Irre“, sagte Vogel. 

Vogel hält eine allgemeine Dienstpflicht für falsch gegenüber der jüngeren Generation. Er begründete das mit „ihrem außerordentlichen Beitrag in der Corona-Pandemie“. „Und es stünde uns zweitens bei der Modernisierung unserer Streitkräfte und der Profi-Bundeswehr, die wir brauchen, sogar im Weg.“