Ukraine-Update: Die Entwicklungen aus der Nacht

Das ukrainische Militär meldet Angriffe im ganzen Land. Russland will bei Friedensgesprächen völlig andere Bedingungen. Die Schweiz will keine Verletzten aufnehmen. Ein Überblick.

Ein ukrainischer Soldat steht vor einem zerstörten Haus in Mykolajiw. Es ist eine der am meisten angegriffenen Städte des Landes.
Ein ukrainischer Soldat steht vor einem zerstörten Haus in Mykolajiw. Es ist eine der am meisten angegriffenen Städte des Landes.dpa/Hector Adolfo Quintanar Perez

Die russischen Truppen haben ukrainischen Angaben zufolge in der Nacht weiter Städte in der gesamten Ukraine bombardiert. Mehr als 150 Bomben und Granaten seien auf die Region Sumy abgefeuert worden, schrieb Dmytro Schywytzki, Leiter der Militärverwaltung der Region, auf dem Kurznachrichtendienst Telegram: „Sie feuerten Mörser, Kanonen- und Raketenartillerie ab. Die Russen eröffneten auch das Feuer mit Maschinengewehren und Granatwerfern.“

Auch die Stadt Mykolajiw stehe unter starken Beschuss. Dabei sollen die russischen Angreifer Streumunition verwendet haben, teilte der Bürgermeister der Stadt, Oleksandr Senkewytsch, in den sozialen Medien mit. Mindestens zwei Menschen seien verletzt, Wohnhäuser seien beschädigt worden. In Odessa seien bei einem russischen Raketenangriff mindestens vier Menschen verletzt worden, Häuser seien niedergebrannt, berichtete ein Sprecher der Regionalverwaltung auf Telegram.

Nach Angaben des ukrainischen Militärs haben russische Streitkräfte bei der Stadt Awdijiwka nahe der Großstadt Donezk die Kämpfe erneut aufgenommen. Die Angriffe seien aber zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit.

Selenskyj feuert 28 Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes

Nach der Freistellung von Geheimdienstchef Iwan Bakanow hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weitere Entlassungen in der Behörde angekündigt. Wie Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache ans Volk sagte, werden 28 Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU gefeuert. Die Führung in Kiew ist offensichtlich mit der Arbeit der eigenen Aufklärung unzufrieden und spricht von Verrat. Politisch hintergangen fühlt sich derweil die EU-Spitze von einzelnen Mitgliedsländern bei ihrer Russlandpolitik. Konkret steht erneut Viktor Orban im Verdacht, die Sanktionspolitik der Europäischen Union zu torpedieren.

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Nach der viel beachteten Entlassung hatte Selenskyj den bisherigen Stellvertreter des Geheimdienstchefs zum Interimschef gemacht: Wassyl Maljuk soll vorerst den Geheimdienst SBU leiten. Der 39-Jährige war seit März der erste Stellvertreter von Bakanow. Der Militär hat seine juristische Ausbildung an der Geheimdienstakademie erhalten und danach in den Korruptionsbekämpfungsstrukturen der Behörde gearbeitet. Bakanow hatte den Dienst mit seinen mehr als 30.000 Mitarbeitern seit 2019 geleitet.

Schweiz nimmt keine Verletzten aus der Ukraine auf

Die Schweiz wird keine Verletzten aus dem Ukraine-Krieg in ihren Krankenhäusern behandeln. Die Regierung in Bern begründete dies am Montag mit der Neutralität des Landes, einem der Eckpfeiler der Schweizer Außenpolitik. „Die Schweiz leistet mit ihrer Hilfe und ihrem humanitären Engagement grundsätzlich eine qualitativ bessere und wirksamere Hilfe vor Ort als wenn die Patienten in der Schweiz aufgenommen würden“, teilte das Außenministerium mit.

Nach Informationen der Schweizer Zeitung Tages Anzeiger hatten zuvor mehrere Kantone die Nato-Anfrage nach einer Versorgung Verletzter aus der Ukraine wohlwollend aufgenommen. Die Regierung verhinderte eine Aufnahme mit ihrer Entscheidung.

Bern setze auf die Unterstützung ukrainischer Krankenhäuser, teilte das Außenministerium weiter mit. Den Kliniken in Lwiw, Tschernihiw und Sumy seien Behandlungsgeräte bereitgestellt worden sowie Ausbildung für Physiotherapeuten.

500 Millionen Euro für Waffen

Die EU will weitere 500 Millionen Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung stellen. Das kündigte EU-Ratspräsident Charles Michel am Montag nach Beratungen der Außenminister der EU-Staaten in Brüssel an.

Mit der neuen Unterstützung erhöhen sich die für die Ukraine zur Verfügung gestellten EU-Mittel für Militärhilfe auf 2,5 Milliarden Euro. „Europa steht an der Seite der Ukraine“, schrieb Michel in einer Twitter-Nachricht an die Adresse des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Ukrainischer Unmut über Turbine bleibt

Der Turbinenstreit treibt einen Keil zwischen die Ukraine und einen ihrer wichtigsten militärischen Unterstützer. Kiew werde Kanadas Entscheidung zur Rückgabe der Turbine über Deutschland nach Russland nicht akzeptieren, sagte Selenskyj.

Nach dem Gespräch mit Trudeau schrieb er auf Twitter, die Position zu Sanktionen müsse prinzipienfest sein. „Nach den Terrorangriffen auf Winnyzja, Mykolajiw, Tschassiw Jar und andere muss der Druck erhöht, nicht verringert werden.“ Er bezog sich dabei auf russische Raketenangriffe in ukrainischen Städten fern der Front mit Dutzenden Toten.

Der russische Energiekonzern Gazprom hat die Gaslieferungen durch die nach Deutschland führende Leitung Nord Stream 1 seit Juni deutlich gedrosselt und dies auch mit der fehlenden Turbine begründet. Kanada will mit der Rückgabe Deutschland und anderen europäischen Staaten gegen drohenden Energiemangel helfen.

Scholz sieht EU als Gegenbild zum imperialistischen Russland

Bundeskanzler Olaf Scholz setzt sich als Konsequenz aus Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine für eine stärkere und „geopolitische Europäische Union“ ein. In einem Gastbeitrag für die FAZ schreibt der SPD-Politiker, die EU müsse ihre Reihen schließen: „Bei der Migrationspolitik etwa, beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz“.

Scholz bezeichnete die EU als „gelebte Antithese zu Imperialismus und Autokratie“, weshalb sie Machthabern wie Russlands Präsident Wladimir Putin ein Dorn im Auge sei. Die russischen Raketen auf die Ukraine hätten nicht nur massive Zerstörungen verursacht, „sondern auch die europäische und internationale Friedensordnung der vergangenen Jahrzehnte in Schutt und Asche gelegt“. Scholz versicherte, die Ukraine werde unterstützt, solange sie dies brauche.

Kuleba fordert von EU zusätzliche Sanktionen

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat die EU-Pläne für weitere Russland-Sanktionen begrüßt, zugleich aber für zusätzliche Maßnahmen geworben. Konkret sprach sich Kuleba in einer Videokonferenz mit den EU-Außenministern dafür aus, Entscheidungen zu einer Preisobergrenze für russisches Öl zu beschleunigen. Zudem forderte er, die maritime Logistik Russlands ins Visier zu nehmen und alle russischen Fernsehsender aus europäischen Kabel- und Satellitennetzen zu verbannen.

„Es geht nicht um die Meinungsfreiheit, sondern darum, Russland Mittel zur Verbreitung von Desinformation und staatlicher Propaganda zu entziehen“, sagte Kuleba. Zudem wiederholte er Forderungen nach EU-Sanktionen gegen russische Gasimporte. Diese waren bislang nicht durchsetzbar wegen der großen Abhängigkeit einzelner Länder von russischem Gas, darunter auch Deutschland.

Moskau droht mit „völlig anderen Bedingungen“ für Frieden

Russland stellt der Ukraine im Fall einer Wiederaufnahme von Friedensgesprächen härtere Bedingungen als zuvor in Aussicht. Bei den Verhandlungen im März in der Türkei seien konkrete Resultate erzielt worden, ehe Kiew den Kontakt abgebrochen habe, klagte Juri Uschakow, ein Berater von Russlands Präsident Wladimir Putin, der Nachrichtenagentur RBK zufolge. „Wenn jetzt also die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, dann zu völlig anderen Bedingungen“, sagte Uschakow - ohne Einzelheiten zu nennen.

Im Osten der Ukraine haben die russischen Truppen nach Angaben des ukrainischen Militärs ihre Angriffe bei der Stadt Awdijiwka nahe der Großstadt Donezk wieder aufgenommen. Die Angriffe seien aber zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab am Montag in seinem Lagebericht mit. Die von Russland gestützten Donezker Separatisten behaupteten hingegen, das Dorf Kamjanka erobert zu haben. Awdijiwka liegt im Gebiet Donezk nur wenige Kilometer nördlich der gleichnamigen Großstadt. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben beider Kriegsparteien nicht.

Den neuen Angriffsbemühungen war ein Befehl des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu vorausgegangen. Der hatte gefordert, die Angriffe in der Ukraine zu verstärken, um den Beschuss der Infrastruktur im von Russland besetzten Donbass zu verringern. Donezk war zuletzt häufig das Ziel ukrainischer Artillerieangriffe. Es ist erklärtes Ziel Moskaus, die Region wie zuvor das benachbarte Gebiet Luhansk komplett der ukrainischen Kontrolle zu entreißen.

Journalistin Owsjannikowa vorübergehend in Haft

Nahe Moskau wurde am Sonntag die Fernsehjournalistin Marina Owsjannikowa vorübergehend festgenommen. Auf ihrem Telegram-Kanal wurden Fotos gepostet, die angeblich zeigen, wie sie von Polizisten in einen Minibus abgeführt wird. In der Nacht zum Montag meldete das Bürgerrechtsportal „OVD-Info“ unter Berufung auf den Anwalt Dmitri Sachwatow, sie sei wieder frei.

Owsjannikowa hatte am Freitag Fotos gepostet, wie sie mit einem Protestplakat in Sichtweite des Kremls steht. „Putin ist ein Mörder“, stand auf dem Plakat. Die bislang linientreue Mitarbeiterin des russischen Staatsfernsehen hatte im März in einer Live-Sendung ein Protestplakat gegen den Krieg gezeigt.

Seit Kriegsbeginn haben die russischen Behörden nach Angaben eines Bürgerrechtlers 200 Strafverfahren gegen Kritiker des Angriffs auf die Ukraine eingeleitet. Die meisten Verfahren beruhten auf dem neu verabschiedeten umstrittenen Gesetz zur „Diskreditierung der russischen Armee“, teilte der russische Menschenrechtsanwalt Pawel Tschikow am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit.

Seiner Statistik nach haben Innenministerium, Ermittlungskomitee und der Geheimdienst FSB insgesamt 22 unterschiedliche Paragrafen des Strafgesetzbuches herangezogen, um Proteste gegen den Krieg in Russland sowohl auf der Straße als auch im Internet zu unterdrücken.

Der erste nach dem neuen „Fake-Gesetz“ verurteilte Oppositionelle in Russland war der Moskauer Kommunalpolitiker Alexej Gorinow, der Anfang Juli sieben Jahre Gefängnis bekam. Auch gegen den bekannten liberalen Oppositionspolitiker Ilja Jaschin haben die Behörden wegen angeblicher Diskreditierung der Armee ein Verfahren eröffnet. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Das wird am Dienstag wichtig

Kremlchef Putin und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan treffen sich am Dienstag mit Irans Präsident Ebrahim Raisi. Bei dem Gipfel in der iranischen Hauptstadt Teheran sind offiziell Gespräche über eine Verbesserung der Lage im Bürgerkriegsland Syrien geplant. Nach Kremlangaben geht es allerdings um eine ganze Reihe von Fragen zur internationalen Politik, darunter der Krieg in der Ukraine. Das Treffen findet kurz nach einer mehrtägigen Reise des US-Präsidenten Joe Biden in die Region statt. Biden kehrte erst am Wochenende aus Saudi-Arabien zurück - dem großen regionalen Rivalen Irans.