Vertraute von Greta Thunberg protestiert in Berlin: „Es geht um unser Überleben!“
Die Klimaaktivisten der Letzten Generation haben Besuch aus Stockholm und setzten ihre Sitzblockaden am Dienstag fort. An vier Orten kam es zu Stau im Berufsverkehr.

Klimaschutz-Demonstranten haben ihre Protestaktionen auf Berliner Straßen fortgesetzt. Erneut setzten sich Mitglieder der Gruppe Letzte Generation am Dienstagmorgen an mehreren Stellen nahe Autobahnausfahrten im Berliner Stadtgebiet auf die Fahrbahn – und einige klebten sich mit Sekundenkleber auf dem Boden fest. Die Polizei war im Einsatz und versuchte, den Verkehr umzuleiten. Auf mehreren Autobahnstücken bildeten sich im Berufsverkehr Staus.
In mehreren auf Twitter geposteten Statements äußerten sich die Aktivisten zur heutigen Aktion. Dabei gingen sie auch auf lauter werdende Kritik an den seit drei Wochen laufenden Sitzblockaden ein: „Wir blockieren immer noch den Verkehr. Das bedauern wir“, erklärten die Klimaschützer. Angesichts der „drohenden Vernichtung unserer Gesellschaft“ seien die Protestaktionen jedoch notwendig.
Wir blockieren immer noch den Verkehr. Das bedauern wir. Wir können es uns jedoch nicht mehr leisten, dass der Bundeskanzler die drohende Vernichtung unserer Gesellschaft weiter völlig ignoriert. Es geht um Leben und Tod und der @Bundeskanzler will in die Sommerpause gehen? pic.twitter.com/DTFIEDXn69
— Letzte Generation (@AufstandLastGen) July 5, 2022
Laut Verkehrsinformationszentrale (VIZ) gab es zunächst eine Blockade nahe dem Kurt-Schuhmacher-Damm in Reinickendorf mit 30 Minuten Stau für die Autofahrer sowie an der Prenzlauer Promenade in Pankow mit 40 Minuten Rückstau auf der Autobahn.
Neben der Letzten Generation waren heute auch sieben Aktivisten von der Klima-Aktivismusgruppe „Scientist Rebellion“ mit dabei; zwischen 8 und 9 Uhr blockierte die Gruppe alle vier Spuren der A100 auf der Kreuzung an der Schloßstraße in Steglitz. Die Gruppe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die gerade wegen ihres Wissens um die Klimakrise zum Aktivismus gekommen sind, forderten mit ihrer Aktion eine konkrete Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz gegen erneute Ölbohrungen in der Nordsee. Zwei davon klebten ihre Hände auf den Asphalt.

Einer davon war der australischer Umweltwissenschaftler Kyle Topfer: Zuvor hatte er sich beruflich mit Themen wie kontaminierten Böden und Lärmbelästigung befasst, doch seinen letzten Job im Bereich Solarenergie gab er auf, um Scientist Rebellion in Vollzeit zu unterstützen. „Ich weiß nicht, wie man der nächsten Generation in die Augen schauen soll, wenn man nicht sagen kann, dass man alles getan hat, um diese Krise zu verhindern“, sagte er der Berliner Zeitung. Bis 11 Uhr waren alle Teilnehmenden an der Aktion von der Straße abgelöst worden; ein Teilnehmer wurde von der Polizei festgenommen, weil er sich weigerte, seinen Ausweis zu zeigen.

Aggression wächst unter Autofahrern im Stau
Die Dringlichkeit der Klimakrise sei nun so groß, dass die Regierungen der Welt drastische Maßnahmen ergreifen müssen, fügte die Aktivistin Janine O'Keeffe hinzu. Die Software-Ingenieurin ist erst kürzlich bekannt geworden, nachdem sie zusammen mit Greta Thunberg die Bewegung „Fridays for Future“ gegründet hat - sie ist derzeit aus Stockholm zu Besuch in Berlin. Nach Petitionen, Briefen und Demonstrationen in klassischer Form seien solche Blockaden eins der einzigen bleibenden effektiven Protestmitteln, sagte sie der Berliner Zeitung. „Wir wollen nicht einzelne Menschen und Verkehrsteilnehmer verärgern, das ist nicht unser Ziel“, so O'Keeffe. „Aber wie können wir sonst die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken, wenn nicht durch Störungen wie diese?“
Für Janine O'Keeffe geht es bei dem Hauptanliegen der Demonstranten bei der heutigen Aktion nicht um Politik, sondern um Überleben: Jetzt sei es an der Zeit, dass Wissenschaftlerinnen wie sie aktiv werden und dafür sorgen, dass die Welt versteht, was sie über die Klimakrise wissen. Dabei bezieht sie sich unter anderem auf die extreme Buschbrände in ihrem Heimatland Australien, sowie Temperaturen von über 50 Grad Celsius, die kürzlich in Pakistan gemessen wurden.
Diese Perspektive aber den Autofahrern zu erklären, die durch Aktionen wie diese in ihrem Alltag gestört werden, ist offenbar aber nicht immer leicht. Heute sei die Reaktion der Autofahrer „überwiegend aggressiv“ gewesen, fand Susanne Gelf, eine Physikerin aus Bonn, die heute zur Teilnahme an der Aktion nach Berlin gereist war. Einige Reaktionen habe ihr sogar Angst gemacht: „Einige haben unsere Zettel aus der Hand gerissen“, sagt sie, „andere sagten, sie wollen uns überfahren.“ Die Bonnerin ist zur Aktivistin geworden, nachdem sie die katastrophale Überschwemmungen im letzten Sommer im Ahrtal gesehen hatte.
Eine Aussage von Scholz gegen Ölbohrungen - und alles wäre vorbei
Die Biologin Dr. Nana-Maria Grüning von der Berliner Charité beklagt sich auch darüber, dass sie von Polizisten - die die Zahl der Demonstranten deutlich übertrafen - von der Straße gezerrt wurde und ihr dabei die Hände schmerzhaft verdreht wurden. Sie sieht die Aktion der Gruppe trotzdem als schlicht notwendig. „Scholz hört einfach nicht zu“, sagt sie. „Im Wahlkampf ließ er sich als Klimakanzler darstellen, heute hat er kein Respekt vor der Wissenschaft und den Tatsachen dieser Krise.“ Würde Scholz sich klar gegen weitere Ölbohrungen positionieren und den „fossilen Wahnsinn“ beenden, würde Scientist Rebellion ihre Straßenblockaden sofort abbrechen, sagte sie.
Die erneuten Blockaden in Berlin finden seit Juni bereits zum zweiten Mal statt. Von Januar bis März hatten die Demonstranten immer wieder Autobahnausfahrten blockiert und mehr Klimaschutz gefordert. Die Polizei verhängte Hunderte Anzeigen. Weitere Aktionen sind noch diese Woche erwartet im Vorfeld des Sommerferienanfangs. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte zuletzt mehrfach ein härteres Durchgreifen angekündigt.