Mediziner: „Wirkliche Krisensituation“ - und es wird noch schlimmer

Der Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung, Uwe Janssens, hält einen verschärften Lockdown noch vor Weihnachten für geboten. 

Uwe Janssens ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.
Uwe Janssens ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.dpa/Kay Nietfeld

Berlin-Intensiv- und Notfallmediziner sehen die aktuelle Entwicklung bei der Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle mit Sorge und Enttäuschung. „Wir haben jetzt eine wirkliche Krisensituation“, sagte Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), der Deutschen Presse-Agentur. Er sei sehr enttäuscht, dass es überhaupt zur jetzigen Lage kommen musste. „Die Warnungen waren ja schon lange da.“

Janssens sieht ein Problem bei den zu zögerlich und uneinheitlich reagierenden Ministerpräsidenten der Länder. „Wir sind da gerade ein Stück weit im Föderalismus gefangen.“ Es sei unsolidarisch, dass bestimmte Ministerpräsidenten bei den nötigen Verschärfungen des Teil-Lockdowns nicht mitzögen. „Wünschenswert wäre, eine klare und bundesweit einheitliche Regelung für vier, fünf Wochen oder wenn nötig auch länger durchzuziehen.“

Nicht nachvollziehbar sei die Idee, einen verschärften Lockdown erst nach Weihnachten oder Silvester ansetzen zu wollen. „Die Mitarbeiter auf den Intensivstationen kommen an ihre Grenzen, viele sind sehr enttäuscht vom Verhalten der Politiker, aber auch der Bevölkerung“, sagte Janssens. Die Pflege von Covid-19-Intensivpatienten bedeute immensen Aufwand, den das Personal auch an den Feiertagen leisten müsse und werde.

Familientreffen zu Weihnachten können lebensgefährlich sein

Dass ein großer Teil der Bevölkerung nach Umfragen Familientreffen wie gehabt standfinden lassen wolle, sei in höchstem Maße unsolidarisch, betonte der Mediziner. „Ich habe größtes Verständnis für den Wunsch, dass man die Oma zu Weihnachten sehen möchte, damit sie nicht einsam ist“, so Janssens. Doch jedem müsse klar sein, dass es nach den Feiern an Weihnachten viele Omas mehr geben werde, die letztlich allein im Krankenhaus sterben.

„Durch die mangelnde Solidarität sterben mehr Menschen, das muss klar sein“, sagte Janssens. Dahinter stünden immer neue schlimme Einzelschicksale. „Wie viel Leid die steigenden Fallzahlen bedeuten, ist vielen nicht bewusst.“ Die Vereinigung Divi unterstütze darum die Forderung der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina nach einem harten Corona-Lockdown vollauf. Dem Vorschlag zufolge sollten die Feiertage und der Jahreswechsel genutzt werden, um die Infektionszahlen schnell zu verringern - etwa indem Geschäfte außer für den täglichen Bedarf geschlossen bleiben.