Hamburg: Schüsse bei Zeugen Jehovas – acht Tote, Täter darunter

Bei einer mutmaßlichen Amoktat in einer Kirche im Stadtteil Groß Borstel sterben acht Menschen. Mittlerweile sind erste Details zur Tat und zum Täter bekannt.

Ermittler stehen am Morgen vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg, in dem mehrere Menschen getötet wurden. 
Ermittler stehen am Morgen vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg, in dem mehrere Menschen getötet wurden. Steven Hutchings/Tnn/dpa

Im Hamburger Stadtteil Groß Borstel hat es am Donnerstagabend mehrere Tote und Verletzte bei einer Schießerei in einer Kirche gegeben. Zu dem Vorfall kam es gegen 21 Uhr in der Straße Deelböge. Die Schießerei ereignete sich laut der Polizei bei einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas. Hamburgs Innensenator Andy Grote bezeichnete die tödlichen Schüsse als Amoktat bezeichnet. 

Nach aktuellem Stand starben sieben Menschen und der mutmaßliche Täter selbst, wie Hamburgs Innensenator Andy Grote bei einer Pressekonferenz am Freitagmittag mitteilte. Unter den Toten ist auch ein ungeborenes Kind, das im siebten Monat im Mutterleib verstarb.  

Bei den anderen Todesopfern handelt es sich den Angaben zufolge um vier Männer und zwei Frauen zwischen 33 und 60 Jahren. „Alle Todesopfer sind deutscher Staatsangehörigkeit und starben jeweils durch Schusseinwirkung“, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit. Acht weitere Menschen wurden bei dem Amoklauf verletzt.

Täter unter „permanentem Schusswaffengebrauch“ in Gebäude eingedrungen

Der mutmaßliche Täter soll zunächst auf eine Frau im Fahrzeug auf dem  Parkplatz geschossen haben. Sie konnte laut den Angaben des Polizisten leicht verletzt fliehen.  Anschließend soll der Täter durch ein Fenster auf der Nordseite in das Gebäude unter „permanentem Schusswaffengebrauch eingedrungen“ sein.

Auf der Veranstaltung der Gemeinde sollen sich im Erdgeschoss zu diesem Zeitpunkt 50 Gästen aufgehalten haben. 20 Personen konnten offenbar unverletzt gerettet werden. 

Spezialkräfte der Polizei waren am Donnerstagabend in Groß Borstel im Einsatz.
Spezialkräfte der Polizei waren am Donnerstagabend in Groß Borstel im Einsatz.Daniel Reinhardt/AFP

Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um den 35-jährigen Philipp F. Auf seiner Berater-Homepage gab er dem Spiegel zufolge an, in einem streng evangelischen Haushalt aufgewachsen sein. Er bezeichnete sich zudem als „bekennender Europäer“ und war ein ehemaliges Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas gewesen, bis er diese vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offensichtlich nicht im Guten verlassen hat. 

Schüsse in Hamburg: Tatverdächtiger war Sportschütze

Der Deutsche war laut Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde Sportschütze, hatte seit Dezember 2022 eine Waffenbesitzkarte und war erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Es werde derzeit nicht von weiteren Tätern ausgegangen.

Als Extremist war der mutmaßliche Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Seit dem 12. Dezember sei er im legalen Besitz einer halbautomatischen Pistole gewesen, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Dabei habe es sich um die Tatwaffe gehandelt.

Groß Borstel: Ermittler der Polizei sichern Spuren am Tatort

Die tödlichen Schüsse fielen am Donnerstagabend gegen 21 Uhr während einer Veranstaltung im Gebäude der Gemeinde im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Binnen Minuten war die Polizei am Tatort: Um 21.04 seien die ersten Notrufe eingegangen. „Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort“, sagte Grote. Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen.

Die Einsatzkräfte retteten nach den Worten des Innensenators sehr wahrscheinlich etliche Menschenleben: „Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind.“

Bis in den Freitagvormittag waren die Ermittler zur Spurensuche am Tatort unterwegs. Die Leichen wurden mittlerweile abtransportiert.

Welche Art von Veranstaltung in der Kirchengemeinde der Zeugen Jehovas abgehalten wurde, war zunächst unklar. Auf der Internetseite der Zeugen Jehovas war für den Donnerstagabend eine von zwei wöchentlichen Zusammenkünften geplant. Zu den besagten Zusammenkünften ist den Informationen zufolge auch die Öffentlichkeit eingeladen. Bei den Zusammenkünften wird sich demzufolge mit der Bibel befasst und damit wie das, was sie lehrt im Leben berücksichtigt werden kann. 

Blick auf den Einsatzort in Hamburg am Donnerstagabend. 
Blick auf den Einsatzort in Hamburg am Donnerstagabend. Jonas Walzberg/dpa

Schüsse in Hamburg: Tschentscher und Fegebank erschüttert

Der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher sprach von erschütternden Meldungen. „Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe.“

Auch Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank zeigte sich erschüttert über die Schüsse. „Ich bin schockiert über die Schießerei in Groß Borstel, bei der es mehrere Tote & Verletzte gab“, schrieb die Grünen-Politikerin in der Nacht auf Freitag bei Twitter. „Mein tiefes Mitgefühl gilt den Familien & Freunden der Opfer. Dank an alle Einsatzkräfte, die mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter & der Aufklärung dieser grausamen Tat arbeiten.“

Zeugen Jehovas „tief betroffen“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Angriff in einem Tweet als brutale Gewalttat bezeichnet. „Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen“, postete er am Freitagmorgen über den Regierungsaccount auf Twitter. „Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben.“ Die Polizei äußerte sich bislang noch nicht detailliert zu den Opfern.

Die Zeugen Jehovas zeigten sich „tief betroffen“. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten“, hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft. (mit dpa/AFP)

Die Zeugen Jehovas
Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als „allmächtigen Gott und Schöpfer“ und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden.
Die streng organisierte Gruppe wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem Geschäftsmann Charles Taze Russell (1852-1916) in den USA gegründet und finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unter dem Nazi-Regime war die Glaubensgemeinschaft verboten und wurde verfolgt.
Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die „Weltzentrale“ ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.
Die Zeugen Jehovas haben keine bezahlten Geistlichen. Ihre Gottesdienste finden in „Königreichssälen“ statt. Ihre wichtigsten Publikationen sind „Der Wachtturm“ und „Erwachet!“. Die Zeugen Jehovas glauben an einen bald bevorstehenden Welt-Untergang.
Dem Staat stehen die Zeugen Jehovas distanziert gegenüber. An Wahlen nehmen sie aus religiösen Gründen nicht teil. Übermäßiger Alkoholgenuss, Tabak und das Feiern nach dem christlichen Festkalender werden ebenso abgelehnt wie Bluttransfusionen.