Debatte um Ausgangssperren: Opposition droht Merkel mit Verfassungsbeschwerde
Der Bund soll mehr Macht bei der Pandemie-Bekämpfung bekommen. Die sogenannte Bundesnotbremse wurde am Freitag im Parlament heftig diskutiert.

Berlin-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dazu aufgerufen, die geplante bundesweite Notbremse gegen die dritte Corona-Welle schnell auf den Weg zu bringen. „Jeder Tag früher, an dem die Notbremse bundesweit angewandt ist, ist ein gewonnener Tag“, sagte Merkel am Freitag im Bundestag. Im Plenum wurde die entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes mit Schritten wie etwa nächtlichen Ausgangsbeschränkungen erstmals beraten. Am Mittwoch soll sie dort beschlossen werden, nachdem das Parlament auf eine mögliche Verkürzung der Beratungsfristen verzichtet hatte.
Die Debatte im Bundestag fiel erwartungsgemäß hitzig aus. FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner drohte der Bundesregierung gar mit einer Verfassungsbeschwerde, sollten Teile des Gesetzentwurfes nicht noch einmal überarbeitet werden.
Derzeit ist geplant, dass es künftig bundeseinheitliche Regelungen für Corona-Maßnahmen geben soll. Überschreitet die Zahl der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen in einer Stadt oder einem Landkreis den Wert von 100 an drei aufeinander folgenden Tagen, müssen etwa Geschäfte geschlossen werden und es greifen Ausgangsbeschränkungen ab 21 Uhr. Schulen sollen ab einem Wert von 200 mit Ausnahmen keinen Präsenzunterricht mehr anbieten dürfen. Bisher lagen solche Maßnahmen in der Verantwortung der Länder.
Merkel sagte: „Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten, sie machen alles nur noch schwerer. Das Virus verzeiht kein Zögern, es dauert alles nur noch länger. Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln, es versteht nur eine einzige Sprache, die Sprache der Entschlossenheit. Entschlossenheit jetzt hilft am Ende allen so viel mehr, davon bin ich überzeugt, als wenn wir jetzt wieder zögern und halbherzig vorgehen.“
Das geplante Gesetz solle das Land aus der „furchtbaren Phase“ der ständig steigenden Infektionszahlen herausführen und ein immer weiteres Ansteigen bei den Schwerkranken sowie Intensivpatienten verhindern. Merkel betonte: „Die Notbremse ist also das Instrument, die drohende Überlastung unseres Gesundheitswesens zu verhindern. Systematisches Testen ist das Mittel bei niedrigeren Inzidenzen, konsequente, nachhaltige Öffnungen zu ermöglichen. Impfen ist der Schlüssel, die Pandemie zu überwinden.“
Mit Blick auf den Frühjahrslockdown 2020 sagte sie: „Wir haben es doch schon einmal geschafft, wir können es jetzt wieder schaffen.“ Die Politik mache es den Bürgern nicht leicht. Die übergroße Mehrheit der Menschen in Deutschland helfe aber unverändert mit, durch die Einhaltung der Schutzmaßnahmen dem Virus Einhalt zu gebieten.
Opposition kritisiert Ausgangsbeschränkungen und Regeln für Unternehmen
Der Opposition ist vor allem das geplante Mittel der Ausgangsbeschränkungen ein Dorn im Auge. Die geplanten Ausgangssperren zwischen 21 und 5 Uhr seien nicht nur verfassungsrechtlich problematisch, sagte FDP-Chef Christian Lindner. Auch die wissenschaftliche Wirksamkeit sei nicht erwiesen. Zudem werde in dem geplanten Gesetz keine ausreichende Differenzierung vorgenommen. So sei etwa keine Unterscheidung zwischen geimpften und nicht-geimpften Menschen vorgesehen. „Ein geimpftes Ehepaar wird damit daran gehindert, nach 21 Uhr einen Abendspaziergang zu machen – obwohl von ihm keine Gefahr ausgeht“, sagte Lindner. Sollte der Gesetzentwurf nicht nachgebessert werden, behalte sich seine Fraktion vor, Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einzulegen.
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, bezeichnete den Weg der Pandemie-Bekämpfung, den die Bundesregierung verfolgt, als „gescheitert“. Neben den geplanten Ausgangsbeschränkungen stört sich die Linke vor allem an einem aus ihrer Sicht zu laxen Umgang mit den Unternehmen. Laut einer Verordnung, die in der kommenden Woche in Kraft tritt, müssen Unternehmen ihren Beschäftigten mindestens einmal in der Woche einen Corona-Test anbieten. Die Angestellten sind allerdings nicht verpflichtet, dieses Angebot auch anzunehmen.
Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verlangte Nachbesserungen bei den vorgesehenen Regeln für den Arbeitsmarkt. Ein reines Testangebot reiche nicht aus und schütze die Beschäftigten nicht angemessen. Die Grünen stören sich außerdem an den Plänen der Bundesregierung, Schulschließungen erst ab einer Inzidenz von 200 vorzuschreiben.
Alice Weidel: „Alarmierendes Dokument obrigkeitsstaatlichen Denkens“
Die schärfste Kritik kam von der AfD-Fraktion, die der Kanzlerin vorwarf, den Bürgern grundsätzlich zu misstrauen. Fraktionschefin Alice Weidel nannte den Gesetzentwurf ein „alarmierendes Dokument obrigkeitsstaatlichen Denkens“. Die geplanten Ausgangsbeschränkungen nannte sie unverhältnismäßig und verfassungswidrig.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verteidigte hingegen das Mittel der Ausgangsbeschränkungen. „Es wird alleine nicht reichen, aber in keinem Land ist es gelungen, eine Welle mit Variante B.1.1.7 noch einmal in den Griff zu bekommen, ohne dass man nicht auch das Instrument der Ausgangsbeschränkung genutzt hätte“, sagte er. „Wir brauchen jetzt Pragmatismus, keine Debatte, was alles nicht geht“, so Lauterbach.
