Kramatorsk: Dutzende Tote und Verletzte bei Angriff auf Bahnhof

Der russische Raketenangriff auf einen Bahnhof voller Flüchtlinge hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Selenskyj: „Dies ist das grenzenlose Böse.“

Fragment einer Tochka-U-Rakete mit der russischen Aufschrift „Für die Kinder“.
Fragment einer Tochka-U-Rakete mit der russischen Aufschrift „Für die Kinder“.dpa/Andriy Andriyenko

Ein Raketenangriff mit Dutzenden Toten auf einen Bahnhof voller Flüchtlinge im ostukrainischen Kramatorsk hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Nach Angaben des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU wurden bei dem Angriff am Freitag 39 Menschen getötet, darunter vier Kinder. Dutzende weitere wurden nach ukrainischen Behördenangaben verletzt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland wegen des Angriffs auf flüchtende Menschen „grenzenlose Bösartigkeit“ vor. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warf Moskau vor, die Flucht von Zivilisten zu vereiteln. Russland wies jegliche Verantwortung zurück und beschuldigte die Ukraine, den Angriff absichtlich verübt zu haben.

AFP-Reporter vor Ort sahen mindestens 30 Tote unter Plastikplanen und in Leichensäcken. Zuvor hatte ein AFP-Journalist am Morgen am Bahnhof Hunderte Menschen gesehen, die auf einen Zug zur Flucht Richtung Westen warteten.

Vor dem Bahnhofsgebäude standen ausgebrannte Autos, am Eingang und in der Bahnhofshalle waren Blutlachen und verkohlte Sitzbänke zu sehen. Der Platz war mit verlassenen Gepäckstücken, Scherben und Splittern übersät.

Überreste der Rakete wurden laut Angaben des Zentrums für strategische Kommunikation und Informationssicherheit beim Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine auf einer Rasenfläche in der Stadt gefunden. Es soll sich dabei um ein älteres Modell des Typs Tochka-U handeln. Auf der Rakete waren auf Russisch die Wörter За детей („Für die Kinder“) zu lesen. Bei den russischen Streitkräften, wie auch bei anderen Armeen, ist es üblich, auf Raketen und Bomben Grußwörter zu schreiben.

Laut Angaben ukrainischer Medien sollen auf Telegram-Kanälen für den besetzten Donbass zunächst die russischen Kräfte Verantwortung für den Raketenangriff übernommen haben. Man habe erfolgreich einen Munitionszug der ukrainischen Streitkräfte angegriffen. Als erste Meldungen über tote Zivilisten am Bahnhof von Kramatorsk vermeldet wurden, wurde der Post jedoch gelöscht. Mittlerweile schieben die russischen Kräfte die Verantwortung für den Angriff den ukrainischen Streitkräften zu.

Der ukrainische Präsident Selenskyj warf Russland in einer ersten Reaktion vor, die Zivilbevölkerung seines Landes „zynisch zu vernichten“. „Dies ist das grenzenlose Böse“, schrieb er auf Facebook. „Und wenn es nicht bestraft wird, wird es nie aufhören.“

Der EU-Außenbeauftragte Borrell, der zum Zeitpunkt des Angriffs gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen per Zug auf dem Weg nach Kiew war, verurteilte den Angriff scharf. Es sei „furchtbar zu sehen, dass Russland einen der wichtigsten Bahnhöfe angreift, den Zivilisten zum Verlassen der Region nutzen, in der Russland seinen Angriff verschärft“, schrieb er auf Facebook. Es handle sich um einen Versuch, Zivilisten an der Flucht zu hindern und Leid zu verursachen.

Russland wies jegliche Verantwortung für den Angriff zurück und beschuldigte die Ukraine: „Das Regime in Kiew“ habe den Bahnhof beschossen, um die Flucht von Bewohnern zu verhindern und sie als „menschliche Schutzschilde“ zur Verteidigung ukrainischer Armeestellungen zu missbrauchen, erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau. Die Rakete sei von der ukrainischen Ortschaft Dobropillja aus abgefeuert worden.