Forscher: Erreichen der 35er-Inzidenz vorerst unrealistisch

Soll weiterhin der Inzidenzwert 35 die Zielmarke für Lockerungen sein? Wissenschaftler der TU Berlin denken, dieser Wert liegt noch in weiter Ferne.

Menschen sitzen und gehen bei frühlingshaften Temperaturen auf dem Tempelhofer Feld.<br>
Menschen sitzen und gehen bei frühlingshaften Temperaturen auf dem Tempelhofer Feld.
Stefanie Loos

Berlin-Wegen der schnellen Ausbreitung einer ansteckenderen Corona-Mutante in Deutschland halten Experten die Zielmarke von 35 bei der Sieben-Tage-Inzidenz für schwer erreichbar. Ohne zusätzliche Maßnahmen erscheine das Erreichen dieses Werts „bis auf weiteres unrealistisch“, erklärte der Leiter des Fachgebiets Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der TU Berlin, Kai Nagel. Seine Gruppe modelliert das Infektionsgeschehen in Berlin unter anderem mit anonymisierten Mobilfunkdaten. Nagel zufolge sind die Ergebnisse übertragbar auf die Lage bundesweit.

Die vor Weihnachten zunächst in Großbritannien entdeckte Mutante B.1.1.7 breitet sich nach Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) von vergangener Woche auch hierzulande aus: Binnen zwei Wochen wuchs der Anteil in Stichproben von knapp 6 auf 22 Prozent. Berücksichtige man die deutlich erhöhte Ansteckungswahrscheinlichkeit, sei die Situation laut Modell „deutlich kritischer als bisher von uns vorhergesagt“, erläuterte Nagel. „Bei reiner Beibehaltung der jetzigen Maßnahmen bekommen wir dann laut Modell eine dritte Welle; jede Art von Öffnungen vergrößert diese Welle.“

Kein Infektionszuwachs bei Freizeitaktivitäten im Freien erwartet

Nagel betonte: „Wir können dagegenhalten, indem Kontakte in Innenräumen ohne Schutzmaßnahmen generell vermieden werden.“ Zu solchen zu vermeidenden Kontakten gehörten neben Schulen auch Mehrpersonenbüros und gegenseitige Besuche. Mögliche Schutzmaßnahmen seien Masken, Schnelltests, Impfungen und eine Verlagerung von Veranstaltungen nach draußen.

In die Modelle der TU-Wissenschaftler fließen auch Kennzahlen zum Virus und Aspekte wie die Temperatur und die davon abhängigen Freizeitaktivitäten ein. Zuletzt sei in den Mobilitätsdaten kein verändertes Verhalten der Menschen zu sehen gewesen, schilderte Nagel – mit Ausnahme der Wochenenden, an denen bei besserem Wetter mehr Leute unterwegs seien. Solange diese zusätzlichen Aktivitäten allerdings im Freien stattfänden, „entstehen daraus laut unseren Modellen aber keine relevanten zusätzlichen Infektionen“, so Nagel.