Erdbeben: Mehr als 25.000 Tote, Berlin stockt humanitäre Hilfe auf

Überall Zerstörung, eisige Temperaturen und heftige Nachbeben. Rettungskräfte suchen weiter nach Verschütteten. Das ist die Lage nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet.

Ein Mitglied eines chinesischen Rettungsteams steht in Antakya.
Ein Mitglied eines chinesischen Rettungsteams steht in Antakya.dpa/Shadati/XinHua

In den Erdbebengebieten in Syrien und der Türkei werden bei der Suche nach Verschütteten immer mehr Leichen aus den Resten eingestürzter Gebäude geborgen. Mehrfach korrigierten die türkischen Behörden die Zahl bestätigter Opfer nach oben – in den beiden Ländern starben mehr als 25.000 Menschen. Präsident Recep Tayyip Erdogan versprach den Betroffenen finanzielle Unterstützung und räumte zugleich Schwierigkeiten bei Rettungsaktionen ein. Indes wurde die internationale Hilfe verstärkt.

So stockte die Bundesregierung in Berlin ihre humanitäre Hilfe für Syrien und die Türkei um weitere 26 Millionen Euro auf. Davon sind nach Angaben des Auswärtigen Amts insgesamt 25 Millionen Euro für zwei Hilfsfonds der Vereinten Nationen vorgesehen sowie eine Million für den Malteser Hilfsdienst. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im Bundestag, Deutschland liefere Hilfsgüter in die Türkei und stehe in engem Kontakt mit den Vereinten Nationen, um humanitäre Hilfe auch in das syrische Erdbebengebiet zu bringen.

Mitglieder eines Rettungsteams suchen in einem zerstörten Gebäude im türkischen Adana nach Überlebenden.
Mitglieder eines Rettungsteams suchen in einem zerstörten Gebäude im türkischen Adana nach Überlebenden.Francisco Seco/AP

Allein in der Türkei starben nach Angaben Erdogans bislang 21.848 Menschen. Aus Syrien wurden zuletzt 3553 Tote gemeldet. Mehr als 60.000 Menschen wurden in den beiden Ländern verletzt. Die Opferzahl schnellte nicht zuletzt deshalb in die Höhe, weil sich nun deutlich mehr Rettungsteams an der Bergung beteiligen. Angesichts der vielen Vermissten wird befürchtet, dass noch mehr Leichen gefunden werden.

Türkei und Syrien: Weiter Hoffnung auf Überlebende

Auch in der zweiten Nacht nach dem schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet suchten Angehörige und Rettungskräfte weiter nach Verschütteten. Die Bergungsaktivitäten in den Erdbebengebieten liefen immer noch auf Hochtouren, wie der türkische Vizepräsident Fuat Oktay am späten Dienstagabend mitteilte. „Diese Arbeiten werden fortgesetzt, bis wir den letzten Bürger unter den Trümmern erreicht haben.“ Nach Angaben Oktays sind rund 16.150 Rettungs- und Suchteams im Einsatz – sie seien in alle betroffenen Provinzen und Bezirke entsandt worden. Insgesamt seien rund 60.000 Helfer vor Ort.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 23 Millionen Menschen potenziell von dem schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet betroffen. Für Betroffene in den Erdbebengebieten stehen laut dem Minister 50.000 Betten in drei Provinzen zur Verfügung.

Der türkische Wetterdienst hatte für die vom Erdbeben betroffenen Gebiete niedrige Temperaturen und teils Schneefall und Regen vorhergesagt. In den südöstlichen Provinzen Mardin und Diyarbakir werde Schnee erwartet, teilte die die Meteorologische Generaldirektion am Dienstag mit. In den Provinzen Malatya und Hatay soll es regnen. Winde könnten bis zu 50 Stundenkilometer erreichen. Am Kältesten werde es voraussichtlich in der Provinz Kahramanmaras, dem Epizentrum des Bebens. Die niedrigste dort zu erwartende Temperatur für Dienstag sei fünf Grad minus, die höchste ein Grad.

Im südtürkischen Hatay sei der Strom ausgefallen, berichtete eine Augenzeugin am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Hilfe werde dringend benötigt. Die Tankstellen hätten kein Benzin mehr und es gebe kein Brot zu kaufen. Auch in der Nachbarprovinz Osmaniye sei der Strom ausgefallen, sagte eine Reporterin des Senders CNN Türk.

Erste Hilfstruppen aus Deutschland kommen in der Türkei an

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) telefonierte am Dienstag mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und sagte ihm umfassende Unterstützung zu. „Unsere Einsatzkräfte werden dabei helfen, Menschen aus den Trümmern zu bergen und hoffentlich Überlebende zu retten“, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Zudem würden derzeit Hilfslieferungen mit Notstromaggregaten, Zelten und Decken für die Erdbebenopfer zusammengestellt.

Laut Faeser sind bereits 40 Einsatzkräfte der Hilfsorganisation International Search and Rescue (ISAR) sowie mehrere Rettungskräfte der Bundespolizei in die Türkei gereist. Ein 50-köpfiges Team des Technischen Hilfswerks (THW) wollte am Dienstag vom Flughafen Köln-Bonn in das Katastrophengebiet fliegen. Allerdings wurde das Anlaufen der internationalen Hilfe durch einen Wintersturm verzögert, viele Flughäfen in der Region waren gesperrt.

Türkei und Syrien: Über 240 Nachbeben – weitere Erdbeben drohen

In der türkisch-syrischen Grenzregion hat es zudem bisher 243 Nachbeben gegeben. Das teilte die Katastrophenschutzbehörde Afad am Dienstag mit. Das Hauptbeben am Montagmorgen hatte nach Afad-Angaben eine Stärke von 7,7, das Epizentrum lag im südtürkischen Kahramanmaras. Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie die Erdbebenwarte Kandilli meldete.

In nächster Zeit könnte es nach Ansicht von Experten zu ähnlich große Beben in nahen Regionen kommen. „Das war vermutlich nicht das letzte starke Erdbeben in dieser Region. Weitere können folgen, insbesondere in Richtung Nordosten weiter ins Landesinnere“, sagte Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. Ursache seien Spannungsumlagerungen an der Plattengrenze infolge des Bebens vom Montag. „Die Gefahr ist für die Region leider nicht gebannt.“

Lediglich für die Stelle des Hauptbebens sei davon auszugehen, dass die Spannung dort erst mal weg sei, sagte Bohnhoff. Auch die Wahrscheinlichkeit für Nachbeben sinke. „Die Nachbebenaktivität ist am stärksten unmittelbar nach dem Hauptbeben.“

Der türkische Vizepräsident, Fuat Oktay, teilte am späten Montagabend mit, dass bereits 7840 Verschüttete aus den Trümmern gerettet worden seien. In Adiyaman wurde ein zwölfjähriger Junge nach 21 Stunden aus den Trümmern gerettet, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Auch in Diyarbakir und Sanliurfa wurden Menschen nach fast einem Tag und in eisigen Temperaturen lebendig aus den Trümmern gerettet.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939 und verkündete eine einwöchige Staatstrauer. In dem betroffenen Bereich habe es seit etwa 900 Jahren kein so großes Beben mehr gegeben, sagte die Geologin Charlotte Krawczyk vom Geoforschungszentrum Potsdam der ARD. Ob und wann weitere große Beben folgen, könne nicht vorhergesagt werden.

Nach heftigem Erdbeben: Hilfe aus aller Welt mobilisiert

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden in das Erdbebengebiet. Das Technische Hilfswerk (THW) bereite die Lieferung von Notstromaggregaten, Zelten und Decken vor, kündigte Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag an. Auch Notunterkünfte und Anlagen zur Wasseraufbereitung könnten bereitgestellt werden. EU-Staaten wollen sich untereinander abstimmen. Hilfszusagen kamen unter anderem auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.

US-Präsident Joe Biden sicherte Erdogan persönlich Unterstützung zu. Die beiden hätten am Montag telefoniert, teilte das Weiße Haus mit. In dem Gespräch habe Biden versichert, dass die USA dem Nato-Verbündeten Türkei „jede erforderliche Unterstützung“ zur Bewältigung der Tragödie zukommen ließen. Rettungsteams aus den USA würden schnell in die Türkei entsandt, um die Rettungs- und Bergungsarbeiten in dem Erdbebengebiet zu unterstützen und den Menschen vor Ort zu helfen.

Beschädigte Fahrzeuge vor einem eingestürzten Gebäude in Diyarbakir.
Beschädigte Fahrzeuge vor einem eingestürzten Gebäude in Diyarbakir.Depo Photos/AP

Eines der am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete war die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies dürfte dort die staatliche Nothilfe erschweren. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg in Syrien kontrollieren Regierungstruppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel des Landes.